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Italien
Ciao, Don Camillo

"Don Camillo und Peppone", der Dorfpfarrer und der kommunistische Bürgermeister, sind Kult. Brescello, wo ihre Geschichte spielt, ist eine Pilgerstätte. Denn verglichen mit den heutigen politischen Verhältnissen sehen die alten Machtkämpfe idyllisch aus.

Von Thomas Migge | 06.09.2018
    Szene aus einem "Don Camillo und Peppone"-Film: Luigi Cervi (r.) Rolle als kommunistischer Bürgermeister mit Fernand Joseph Desire Contandin als Pfarrer.
    Kommunion trifft Kommunismus: Die Rivalen Don Camillo und Peppone (imago stock&people)
    Der Klang der Glocke der Kirche Santa Maria Nascente hat sich nicht verändert. Er ist immer noch der gleiche wie in jenen Jahren, als in Brescello politisch und religiös Klarheit herrschte. Wo jeder wusste, wo er hingehört: entweder zur Christdemokratie oder zur Kommunistischen Partei, KPI. Eine Klarheit, die heute verschwunden ist.
    Brescello. Bei diesem Namen fallen literatur- und filmkundigen Italienbesuchern die beiden Namen Don Camillo und Peppone ein. Zwei Italiener, der eine Pfarrer, der andere Bürgermeister, zwei Rivalen, die im Kleinen einen großen Machtkampf austrugen: den Machtkampf zwischen Kirche und Kommunisten. Ein gesellschafts-politisches Stereotyp, das fast 50 Jahre existierte.
    Die Geschichten um den schlagfertigen katholischen Geistlichen und den bärbeißigen aber im Grunde seines Herzens liebenswerten Kommunistenchef Peppone wurden ein internationaler Bestseller. Bis heute sind sie in rund 100 Sprachen übersetzt. Autor Giovannino Guareschi, er starb vor 50 Jahren, wurde durch die Don-Camillo-Bücher weltberühmt. Guareschi siedelte seine Erzählungen in einer Kleinstadt in der Emilia Romagna an, im Norden Italiens. 1955 wurden sie verfilmt und gleich ein Riesenerfolg. Fernandel spielte den Mann in schwarzer Soutane, Gino Cervi den Peppone. Das Duo wurde so bekannt, dass Touristen bis heute nach Brescello pilgern, inzwischen auch aus der Volksrepublik China.
    Zwei Kirchen: die katholische und die kommunistische
    Auch wenn sich im historischen Zentrum von Brescello seit Guareschis Zeiten auf den ersten Blick nicht viel verändert hat, ist alles anders als damals. Jene Linie, die das katholisch-christdemokratische Italien vom kommunistischen Italien der KPI trennte, existiert nicht mehr. Die politische Landschaft ist unübersichtlich geworden. "Kirchen", seien sie katholisch oder kommunistisch, ordnen nicht mehr das Denken und Handeln, meint Luigi Gaudiano, Kirchenhistoriker in Bologna und, wie kann es anders sein, Guareschi-Kenner:
    "Es war die Präsenz eines Bewusstsein, das klar umrissen war, religiös wie auch politisch. In diesem Sinn repräsentierten Don Camillo und Peppone ein italienisches Kuriosum, das die Komplexität dieses Land bis sagen wir in die späten 1980er Jahre hinein auf einen Punkt brachte, kristallisierte: einerseits die katholische Kirche und ihre allmächtige Partei der Christdemokraten DC. Andererseits die KPI. Beide repräsentierten ‘Kirchen’, wenn man so will. Beide verfügten über Gläubige. Beide bekämpften sich deshalb. Die Geschichte dieser beiden Realitäten wurde zu einen Synonym für die italienische Geschichte mehrerer Jahrzehnte".
    Diese nicht nur religiöse, sondern auch gesellschaftliche, soziale und kulturelle Spaltung durchdrang die gesamte italienische Nachkriegsgeschichte. Gegenüber standen sich zwei politische Glaubensgemeinschaften, in denen sich eine Mehrheit der Italiener versammelte: die christdemokratische und die kommunistische Partei. Autor Guareschi gelang es wie keinem anderen italienischen Schriftsteller, dieser einfachen Konstellation facettenreiche Geschichten abzugewinnen: freundlich, humorvoll und menschlich-allzumenschlich, aber auch beißend scharf.
    Politische Archäologie
    Guareschis Italien endete Anfang der 1990er Jahre, mit dem Zusammenbruch der Christdemokraten unter zahllosen Korruptionsskandalen und mit der Transformation der KPI in eine sozialdemokratische Partei.
    Der Politikwissenschaftler Ernesto Galli della Loggia:
    "Und damit begann eine andere Geschichte Italiens. Damit endete die so genannte erste Republik, die von dem von Guareschi beschriebenen Zustand dominiert war: die DC gegen die KPI, Katholiken gegen Kommunisten. Die heute regierenden neuen Parteien, die ausländerfeindliche Lega und die populistische 5-Sterne-Bewegung, haben nichts gemein mit jenen Parteien, die bis 1994 den Ton angaben."
    Heute gibt es in Italien bis auf kleine und unbedeutende Splittergruppen keine Kommunisten mehr. Und auch keine christdemokratische Partei, die in Größe und Bedeutung mit der CDU vergleichbar wäre. Die kleinen christdemokratisch inspirierten Gruppierungen fallen nichts ins Gewicht auch deshalb, weil der Vatikan seinen Kurs änderte: Es war zunächst Papst Benedikt XVI., der die Einmischung der katholische Kirche in die italienische Politik skeptisch sah. Papst Franziskus scheint ähnlich zu denken.
    Die Lektüre von "Don Camillo und Peppone" wirkt deshalb heute wie politische Archäologie. Auch wenn sich die Anhänger beider "Kirchen", der katholischen und der kommunistischen, ständig bekämpften, verband sie die Inbrunst, mit der sie ihre jeweilige Wahrheit verteidigten. In ihrer Sprache etwa ähnelten sich Don Camillo und sein Gegenpart Peppone - vor allem wenn es darum ging, dem anderen die Gläubigen abspenstig zu machen, wie etwa in dieser Filmszene, in der Don Camillo an die Bevölkerung von Brescello appelliert:
    "Gott hat seinen Sohn nicht als Bourgeois der Menschheit geschenkt, sondern als Proletarier. Das Christentum ist eine demokratische Religion, die auf der Arbeit basiert!"
    Gemeinsam gegen die Mafia
    So spricht heute in Italien niemand mehr - weder ein Geistlicher noch ein Politiker.
    Wie sehr sich Brescello und ganz Italien verändert haben, zeigt auch die einst unvorstellbare Präsenz der organisierten Kriminalität in Brescello. Jüngsten Ermittlungen der Anti-Mafia-Polizei zufolge kontrollieren die Bosse der Mafia inzwischen in der ganze Region Emilia Romagna bestimmte Geschäftszweige und haben zahllose Politiker bestochen.
    2016 wurde die Stadtverwaltung von Brescello in der norditalienischen Emilia wegen Unterwanderung durch kriminelle Clans aufgelöst. Heute gibt es wieder einen Bürgermeister, präziser: eine Bürgermeisterin, aber die Anti-Mafia-Polizei hat immer noch ein scharfes Auge auf die malerische Kleinstadt. Brescello, klagt Marina Di Monte, Lehrerin an einer lokalen Schule, ist nicht mehr die Alte:
    "Die werden schon ihre Gründe dafür haben unsere Stadt immer noch zu kontrollieren. Und das tut mir sehr leid, das verbittert mich. Schon der Verdacht, dass man hier mit der Mafia gemeinsame Sache gemacht haben könnte oder immer noch macht, ist sehr schlimm."
    Vermutlich würde Don Camillo heute mit der Bürgermeisterin gemeinsame Sache gegen die Mafia machen.