"Zunächst einmal muss ich mir ja darüber klar werden, dass ich damals einen falschen Weg eingeschlagen hatte. Wenn ich den Koran richtig studiere, und bei diesem Studium von jemanden, der sich auskennt, begleitet werde, dann kann nur schwer daraus der Wunsch nach Gewalt entstehen."
Nennen wir ihn Khaled. Seinen wahren Namen will er nicht öffentlich machen. Khaled ist 35 Jahre alt. Der Tunesier aus Hammamet kam vor vier Jahren als illegaler Flüchtling nach Italien, arbeitete als Landarbeiter in Apulien und kam dort mit radikalmuslimischen Landsleuten in Kontakt.
Er selbst gibt zu, dass er wahrscheinlich in islamistische Kreise abgerutscht wäre, wenn die Polizei ihn nicht rechtzeitig verhaftet hätte, weil er bei der Kontrolle keine Aufenthaltsgenehmigung vorweisen konnte. Nicht wenige seiner damaligen Freunde in Apulien haben sich religiös radikalisiert. Heute sitzt Khaled in Haft in Rom, und wartet dort auf seine Abschiebung nach Tunesien.
Drei Mal in der Woche kommt ein Imam oder eine Imamin ins Gefängnis, etwa 30 muslimische Häftlinge, darunter Khaled, nutzen die Gelegenheit zum Gespräch. Diese Geistlichen haben den Segen des italienischen Innenministeriums - und sie erfüllen einen besonderen Auftrag: Sie sollen die Radikalisierung von Gefangenen verhindern.
Dazu Izzedin Elzir, Präsident der muslimischen Gemeinden in Italien. Elzir arbeitet seit Jahren mit dem Innenministerium zusammen:
"Wir haben derzeit etwas mehr als zehn Imame im Einsatz in italienischen Gefängnissen. Sie leisten normale Häftlingsseelsorge. Die neuen acht Imame hingegen sind Teil eines Testprojekts, bei dem es ausschließlich darum geht, Häftlinge, die sich von religiöser Radikalisierung angezogen fühlen, von diesem Weg abzubringen. Das ist eine enorm wichtige Aufgabe, denn die Möglichkeit, dass einsitzende muslimische Häftlinge sich islamistisch radikalisieren, ist auch in Italien sehr hoch."
"Als Mohammed erweckt wurde, wurde er nicht Terrorist"
Dem italienischen Justizministerium zufolge sitzen derzeit rund 11.000 Häftlinge muslimischen Glaubens in Gefängnissen. So entschied das Innen- zusammen mit dem Justizministerium den bereits existierenden 411 Gefängnisgeistlichen auch Imame zur Seite zu stellen. Vor allem aus einem Grund, meint Martino Cannese, Gefängnisseelsorger in Rom:
"Der Hauptgrund ist vor allem der: Wir müssen vermeiden, dass unsere Gefängnisse immer öfter zu Brutstätten radikaler Islamisten und für spätere Terroristen werden."
Vier Imaminnen wurden eingestellt. Ein Novum in einem Land, das anders als Deutschland, keine weiblichen muslimischen Geistlichen kennt. Amina Salah unterstützt das Projekt des Justiz- und Innenministeriums. Sie ist Präsidentin der Islamischen Frauen in Italien:
"Also der Islam: Als Mohammed erweckt wurde, wurde er nicht etwa ein Terrorist. Wir dürfen seine Schriften nicht als Kampfaufrufe missverstehen. Das müssen die weiblichen Imame, wie auch ihre männlichen Kollegen, den Häftlingen deutlich machen. Hier müssen Männer wie auch Frauen religiöse Irrtümer aufdecken und vermeiden helfen."
Die Identitäten der vier weiblichen Imame werden geheim gehalten. Nicht unumstritten ist ihre Tätigkeit innerhalb der muslimischen Gemeinden Italiens.
Bis jetzt nehmen, so offizielle Daten aus dem Justizministerium, in den acht Haftanstalten, die an dem Testprojekt beteiligt sind, rund 400 Häftlinge an den Sprechstunden mit den neuen Imamen teil. Die meisten von ihnen gelten dem Ministerium zufolge als mögliche schlafende Zellen islamistischer Gruppierungen in Italien. Aufgabe der acht neuen Imame ist es also, sich besonders um diese Häftlinge zu kümmern. Die männlichen Imame um die männlichen Häftlinge, die weiblichen Imame um die einsitzenden Frauen.
Weibliche muslimische Häftlinge, die sich religiös radikalisiert haben, machen rund zwei Dutzend jener 400 Einsitzenden aus, um die sich die neuen Gefängnis-Imame kümmern, rechnet Daniela De Robert vor. Die Präsidentin des staatlichen Kontrollorgans für die Rechte von Häftlingen unterstützte von Anfang an die Idee von Imamen, Männern wie Frauen, in der gezielten Häftlingsseelsorge zur Vermeidung religiöser Radikalisierungen:
"Es ist wichtig, dass wir uns auf die Bedeutung zweier Begriffe konzentrieren: Vorbeugung und Verständnis. Mit dem Ziel terroristisch-religiösen Radikalisierungen vorzubeugen - mit Hilfe religiöser Aufklärung, und mit Verständnis in dem Sinne, dass diese Seelsorger die muslimischen Häftlinge nicht einfach nur belehren wollen, sondern qua Verständnis von ihrer Sache zu überzeugen versuchen. Nur so können wir verhindern, dass Radikalisierungen entstehen."
"Fast immer wollen sie einen konservativen Imam"
Das sieht auch der Imam Abejalil Al Alami so. Der junge Mann ist einer der vier neuen Häftlingsseelsorger:
"Fast immer wollen die muslimischen Häftlinge einen Imam, der konservativ ausgerichtet ist. So, wie sie es aus Marokko und von anderswoher kennen. Meine, unsere Aufgabe ist es, diesen Leuten klarzumachen, dass der Islam keine Terrorreligion ist. Wir wollen ihnen die Augen öffnen, denn der Islam ist seit 1.400 Jahren eine moderate Religion."
Das denkt inzwischen auch der in Rom inhaftierte Tunesier Khaled, der auf seine Ausweisung in seiner Heimatland wartet:
"Wenn ich mich mit meiner Religion auseinandersetze, nicht als blinder Fanatiker, dann habe ich, und das ist mir jetzt klar geworden, dank der vielen Gespräche hier im Gefängnis mit einem Imam, eine andere Sicht der Dinge. Ich bete dafür, dass es so bleibt."