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Italien
Gewalt gegen Frauen als Machtinstrument

Jedes Jahr werden in Italien etwa 100 Frauen von ihren Partnern, Ex-Partnern oder Liebhabern getötet. Hauptmotive: Eifersucht und Trennungsangst. Jede vierte Frau in Italien wurde schon Opfer von sexueller Gewalt. Ein Zeichen dafür, dass die Gleichberechtigung in der italienischen Gesellschaft noch lange nicht angekommen sei, sagen Expertinnen.

Von Jan-Christoph Kitzler |
    Eine Frau hält sich die Hände vor das Gesicht.
    Jede vierte Frau in Italien wurde schon Opfer von sexueller Gewalt. (imago / Pixsell)
    Diese Fälle gehen alle paar Wochen durch die italienischen Medien. Frauen, die Gewaltopfer werden, die misshandelt, belästigt, vergewaltigt werden, bis hin zum Mord. Und es gibt immer mehr, die sagen: Italiens Gesellschaft hat ein Problem mit männlicher Gewalt. Das sagt auch Alessia Morani, die stellvertretende Fraktionschefin der Regierungspartei PD im Abgeordnetenhaus:
    "Sicher wir haben in Italien eine sehr machohafte Kultur. Wenn man bedenkt, dass das Ehrenverbrechen erst in den 80er-Jahren aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde, begreift man, wie stark diese machohafte, patriarchale Kultur in Italien war."
    Besonders krasser Ausdruck davon ist die hohe Zahl an Frauen, die umgebracht werden, weil sie Frauen sind. Ein eigenes Wort haben sie im Italienischen dafür: Feminicidio. Um die 100 Frauen sind es jedes Jahr, getötet von ihrem Partner, Ex-Partner, vom Liebhaber, Ehemann und so weiter. Die Zahl der Morde ist in Italien insgesamt rückläufig, die der Morde an Frauen sinkt jedoch weniger stark. Und was im Krimi abstrakt als Beziehungstat bezeichnet wird, ist für die Kriminologin und Professorin Anna Costanza Baldry ein gesellschaftliches Problem. Seit 20 Jahren untersucht sie die Gewalt gegenüber Frauen:
    "Es gibt kulturelle Muster. Was immer wieder auftaucht ist: sie wollte ihn verlassen, hat ihn verlassen, hat einen neuen Partner, also wenn die Frau ihre Nicht-Unterordnung bekräftigt. Aber es ist so, als ob einige der Männer Gewalt ausüben, bis hin zum Mord, als sehr effektive Art zu betonen wer Entscheidungen treffen kann und wer nicht."
    Italiens Gesetzgebung war lange rückständig
    Und das möglicherweise auch, weil die alten Rollenmuster immer öfter infrage gestellt werden. Frauen als Chefs; Frauen, die die Familie ernähren, die besser ausgebildet sind und die besseren Jobs bekommen – für manch einen Italienischen Mann ist das ein Problem. Und das, wo das italienische Fernsehen immer noch ein Frauenbild transportiert, in dem Veline, Tänzerinnen, die nur knapp mit Tüchern bekleidet sind, vorkommen, in dem Frauen Objekte sind oder bestenfalls Dekoration. Auch Italiens Gesetzgebung war lange Zeit rückständig: Erst seit 1996 gilt zum Beispiel sexuelle Gewalt als eine Straftat gegenüber einer Person, vorher war das ein Verstoß gegen die Öffentliche Ordnung. Aber das hat sich inzwischen gründlich geändert, auch weil alle politischen Lager daran gearbeitet haben, sagt Alessia Morani, die Politikerin:
    "Mit der Mitte-Links-Regierung haben wir nicht nur die Strafen für verschiedene Taten gegen Frauen erhöht, von der schlechten Behandlung bis zur sexuellen Gewalt und anderem. Wir haben aber auch die Instrumente der Prävention geschaffen, nicht nur der Unterdrückung. Ich denke, dass die italienische Gesetzgebung da inzwischen ganz gut ist."
    Opfer stehen oft alleine da
    …aber die Gesellschaft ist oft noch nicht so weit. Von den vielen Morden an Frauen einmal abgesehen: fast jede vierte Frau in Italien hat schon sexuelle Gewalt erlebt. Die Dunkelziffer ist viel höher, auch bei anderen Formen der Gewalt gegen Frauen. Aber über 90 Prozent der Opfer trauen sich nicht, Anzeige zu erstatten, weil die Justiz in Italien oft langsam ist und das Opfer dann nicht selten erst einmal allein dasteht. Anna Costanza Baldry meint daher, dass der Schlüssel im Kampf gegen das Problem die Männer sind:
    'Es gibt in Italien immer noch männliche Gewalt in Form von Belästigung, wenn der weibliche Körper zum Objekt wird. Das ist vielleicht auch ein weltweites Phänomen. Aber in Italien gibt es auf dem Papier Chancengleichheit, Geschlechtergerechtigkeit, und ich frage die Männer: Ist das für Euch in Ordnung? Es ist so, als ob es im männlichen Werkzeugkasten, die Gewalt gibt als ein Instrument, das zu ihrer kulturellen, nicht nur individuellen Erziehung gehört."
    Bisher reicht es in den italienischen Medien oft nur zum kurzatmigen Aufschrei, wenn wieder eine Frau ermordet wird, weil sie Frau ist. Aber bis zur grundsätzlichen Lösung des Problems in den Köpfen ist es noch ein weiter Schritt.