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"Italien hat jetzt wirklich die eigenen Hausaufgaben zu machen"

Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft Europas und ächzt unter Milliarden-Schulden. Zwar hat Premier Silvio Berlusconi ein Sparprogramm aufgelegt, "aber in der Umsetzung gibt es bereits wieder Aufweichungen," moniert Siegfried Brugger von der Südtiroler Volkspartei.

Siegfried Brugger im Gespräch mit Gerwald Herter |
    Gerwald Herter: Irland, Portugal, Griechenland und jetzt womöglich auch noch Italien. Da konnten die Finanzminister der Euro-Zone gestern noch so überzeugend versichern, dass man an einen Erfolg der italienischen Sparanstrengungen glaubt; Tatsache ist: Bestimmte italienische Staatsanleihen werden seit Ende letzter Woche nur noch mit erheblichen Risikoaufschlägen gehandelt. Es fehlt das Vertrauen. Das wiegt schwer, denn die italienische Volkswirtschaft ist in der Europäischen Union kein Leichtgewicht.
    Dass es der italienischen Wirtschaft schlecht geht, daran hat sicher die Regierung Berlusconi ihren Anteil. Der Premier ist inzwischen amtsmüde. Berlusconi will bei der Parlamentswahl 2013 nicht mehr antreten. Wird das noch eine Zitterpartie mit ungewissem Ausgang? Darüber habe ich soeben mit dem Südtiroler Abgeordneten Siegfried Brugger gesprochen. Er ist Mitglied der Südtiroler Volkspartei und ihr Fraktionsvorsitzender. Seit 1994 gehört er dem italienischen Parlament an, jenem Jahr also, in dem Berlusconi zum ersten Mal Regierungschef wurde. Guten Morgen, Herr Brugger.

    Siegfried Brugger: Guten Morgen!

    Herter: Herr Brugger, noch bevor die deutsche Kanzlerin gestern einen isländischen Staatsgast empfing und dann nach Afrika abreiste, hielt sie es für nötig, am Sonntag den italienischen Regierungschef Berlusconi am Telefon um klare Signale an die Märkte zu bitten. War das überflüssig, oder war das sogar bitter nötig, um die Finanzmärkte zu beruhigen?

    Brugger: Nein, das war nicht überflüssig. Das war nötig und Frau Merkel hat das sehr gut gemacht. Ich glaube, Italien hat jetzt wirklich die eigenen Hausaufgaben zu machen, und da wird schon wieder etwas laviert. Es ist ein Sparpaket in Auftrag gegeben worden, aber in der Umsetzung gibt es bereits wieder Aufweichungen. Insofern war das mehr als richtig.

    Herter: Nimmt Berlusconi überhaupt noch zur Kenntnis, dass er mit seinen öffentlichen Äußerungen erheblichen Schaden anrichten kann und leider auch anrichtet?

    Brugger: Berlusconi ist nun mal so, wie er ist. Er hat sich im Wesentlichen nie verändert. Er hat sich immer so gegeben, als sei er eigentlich nicht der Regierungschef, sondern einer der Bürger, die selbst gegen die Obrigkeit bei jeder Gelegenheit sich aufbäumen. Und insofern: Er ist nicht schlechter geworden, er ist so, wie er immer war.

    Herter: Er hält sich für ein Genie und alle anderen für blöd. Das soll Berlusconi über Finanzminister Tremonti gesagt haben, steht in einem Interview mit der Zeitung "Repubblica". Tremonti galt bisher in Brüssel als der Garant eines soliden finanzpolitischen Kurses. Stimmt das nun, oder hat Berlusconi recht?

    Brugger: Tremonti ist wirklich einer der ganz wenigen Spitzenpolitiker Italiens, die auch im Ausland eine gute Figur machen, und wenn jetzt ein Sparpaket geschnürt wird, dann ganz sicher, weil Tremonti die Voraussetzungen dafür geschaffen hat. Aber Tremonti allein kann, wie man ja sieht, die Politik Italiens nicht bestimmen. Im Gegenteil: Berlusconi versucht jetzt, auch Tremonti schlecht zu machen, andere Politiker seines Lagers aufzubauen und insofern Tremonti letztendlich zu desavouieren. Das ist schlecht für Italien, das ist schlecht für Europa.

    Herter: Hängt das auch mit der Amtsmüdigkeit von Berlusconi zusammen?

    Brugger: Das mit der Amtsmüdigkeit, das kommt immer wieder bei Berlusconi. Berlusconi ist ein absoluter Machtmensch. Es wird schon stimmen, dass er irgendwie müde geworden ist. Aber immerhin: Der Mann ist auch 74 Jahre alt und er würde sich sicher lieber mit anderen Dingen herumschlagen. Auf der anderen Seite genießt er, in der Öffentlichkeit zu stehen. Insofern ist auch die Amtsmüdigkeit aus meiner Sicht ziemlich relativ.

    Herter: Wie groß ist das Risiko für die italienische Haushaltspolitik?

    Brugger: Das Risiko hängt davon ab, ob tatsächlich internationale Spekulationen sich gegen Italien richten und man gegen den Staat an sich, gegen die Anleihen des Staates spekulieren wird, mit natürlich verheerenden Folgen, nicht nur für Italien, sondern für ganz Europa, für alle Euro-Länder, denn eines ist: Wenn man in Griechenland Schwierigkeiten hat, oder in Portugal, das sind kleinere Länder, Italien ist ein großes Land und ich glaube nie, dass der Euro und das Europa von heute eine Zukunft hat, wenn ein großer Staat wie Italien ich will gar nicht mal sagen pleitegeht, aber unter ganz starken Druck gerät und somit die eigene Währung infrage stellen muss.

    Herter: Sie hören den Deutschlandfunk und gerade ein Interview mit Siegfried Brugger von der Südtiroler Volkspartei. Er ist Fraktionsvorsitzender der SVP im italienischen Abgeordnetenhaus. – Herr Brugger, haben wir alle geglaubt, es würde mit Berlusconi schon gut gehen, und lagen wir damit falsch?

    Brugger: Berlusconi ist ein Politiker sui generis. Er ist nicht ein Politiker, der mit anderen teilen kann. Er ist auch nicht der Staatsmann, der wirklich Staatsinteressen, die Interessen Italiens grundsätzlich verfolgt, sondern er verfolgt seine eigenen, seine eigenen als Großunternehmer, die er immer parallel zu denen des Staates gesehen hat. Die eklatanten Inkompatibilitäten und Unvereinbarkeiten, die kennen wir aus den vergangenen Jahren. Insofern wäre es natürlich gut, wenn Italien ein ganz normales Land würde, dass es eine Mitte-Links- oder eine Links-Mehrheit einmal gibt, oder einen anderen Mitte-Rechts- oder Rechts-Block. Das ist in Italien alles anders und Berlusconi hat hier einen ganz großen Anteil.

    Herter: Von Berlusconi abgesehen, soll ein Berater des Finanzministers Tremonti in eine Affäre verwickelt sein. Wie ernst nehmen Sie das?

    Brugger: Das ist irgendwie schon ernst zu nehmen, denn dieser Mitarbeiter von Tremonti, der sicher ein Eigenleben insofern führte, als Tremonti ganz bestimmt nicht von den Machenschaften dieses Herrn wusste. Wenn das alles stimmt, was in der Öffentlichkeit, in den Medien berichtet wird, hatte er ein System von Vernetzungen aufgebaut und auch Geldflüsse organisiert für verschiedentlichste Gefallen, was uralte italienische Politik ist und die Italien wieder einmal in Europa schlecht macht. Das sind alles Langzeitwirkungen, die einem Staat wie Italien schlecht tun, denn da sieht man dann immer wieder, dass es Politiker auch auf hoher Ebene gibt, die einfach nicht Staatsmänner sein können, sondern die Geschäfte machen, in diesem Fall sogar illegale.

    Herter: Herr Brugger, noch ganz kurz: Glauben Sie, dass Italien bald ein neues Parlament wählen muss?

    Brugger: Ich hoffe es nicht und ich hoffe es nicht, weil Italien im Augenblick wirklich nichts anderes tun muss als den eigenen Haushalt in Ordnung bringen. Es braucht eine politische Stabilität. Es ist auf der anderen Seite bei den Oppositionsparteien derzeit auch nicht zum besten. Es gibt keine Leader-Figur, die derzeit das Land übernehmen könnte. Also meine Hoffnung ist, dass es keine Neuwahlen im Augenblick gibt. Das Beste wäre eine große Koalition, um die wirklich großen Probleme der Wirtschaft und des Haushaltes in Ordnung zu bringen, und dann soll man wählen gehen. Aber wie gesagt, in den nächsten Monaten würde das für weitere Instabilität in Italien und in Europa und wahrscheinlich auch auf der ganzen Welt sorgen.

    Herter: ... , sagt Siegfried Brugger, der Fraktionsvorsitzende der Südtiroler Volkspartei im italienischen Abgeordnetenhaus. Herr Brugger, vielen Dank und alles Gute.

    Brugger: Danke auch.


    Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

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