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Italien
Immer weniger kirchliche Trauungen

Der Trend weg von der kirchlichen Trauung ist in Italien seit Jahren ungebrochen. Schon bald könnte es die Hochzeit in Weiß, die zum traditionellen Image Italiens gehört, nicht mehr geben. Der gesellschaftliche Wandel auf dem Weg in eine immer stärker säkular orientierte Gesellschaft macht auch vor diesem Ritus keinen Halt.

Von Thomas Migge |
    Kirche Santa Prassede in Rom-Italien
    Kirche Santa Prassede in Rom-Italien (Travel-Stock-Image)
    Santa Prassede ist mit hunderten von weißen Rosen herausgeputzt. Der beeindruckende Innenraum der frühchristlichen Kirche im historischen Stadtzentrum Roms präsentiert sich mit Blumengebinden und einem roten Teppich. Über diesen Teppich schreiten Valeria und Vincenzo zum Altar - sie ganz in weiß und mit einem Kleid von einem römischen Modeschöpfer und er in einem maßgeschneiderten schwarzen Anzug.
    Santa Prassede ist eine der schönsten Kirchen Roms - auch wegen der Kunst aus rund eintausend Jahren. Die Kirche ist voller Menschen, Vincenzo und Valeria haben etwa 180 Personen eingeladen. Gekommen sind fast doppelt so viele.
    Als Vincenzo seiner Valeria den Ring ansteckt, springen vier Fotografen um das Paar - und den sichtlich genervten Geistlichen - herum: mit zwei Filmkameras und mit zwei Fotoapparaten soll jeder Moment der Trauung festgehalten werden.
    Das gilt auch für den Auszug des Paares aus der Kirche, auf den kleinen Vorplatz, auf dem bereits ein weißer Fiaker mit zwei Schimmeln wartet.
    Erdrutsch
    Trauungen dieser Art haben selbst im katholischen Italien inzwischen Seltenheitswert. Kirchliche Trauungen, die noch vor einigen Jahren zum Straßenbild gehörten, gehören nun zu einer aussterbenden Gattung. So, dass Fazit einer vor kurzem erschienenen Studie des römischen Sozialforschungsinstituts CENSIS, mit dem bezeichnenden Titel "Non mi sposo più", ich heirate nicht mehr. Man müsse, so Massimiliano Valerii, Soziologe und Koordinator der Studie, von einem, Zitat, "Erdrutsch in Sachen religiöser Trauungen" sprechen:
    "Der Trend geht in die Richtung von immer weniger kirchlichen Trauungen. Ein Trend, der seit rund 20 Jahren anhält. Sollte diese Entwicklung mit dieser Geschwindigkeit anhalten, dann wird es im Jahr 2031 keine einzige religiöse Trauung mehr in Italien geben."
    Dem nationalen Statistikamt in Rom zufolge ließen sich 1994 noch rund 291.000 Paare kirchlich trauen. 2014 waren es hingegen nur noch 185.000. Im Jahr 2020, so der Censis-Bericht, wird es, wenn die derzeitige Entwicklung anhält, mehr zivile als religiöse Trauungen geben.
    Die Gründe für diese Entwicklung? Massimiliano Valerii: "Der allgemeine Trend der Individualisierung der italienischen Gesellschaft macht sich verstärkt bemerkbar. Zuerst spricht sich eine Mehrheit der Italiener für das Recht auf Scheidung aus, dann für den Schwangerschaftsabbruch. Immer mehr Italiener, das ergaben unsere Befragungen, wollen ihre Beziehungen außerhalb des traditionellen Rahmens leben."
    Einer Umfrage des Wochenmagazins L’Espresso zufolge wollen mehr als 50 Prozent aller jungen Italiener nicht mehr kirchlich heiraten. Als "Warum" gaben sie vor allem zwei Gründe an: ihre fehlende konfessionelle Bindung und die Entscheidung, Geld zu sparen. Nicht nur für aufwändig gestaltete Blumengestecke oder Festessen muss viel Geld ausgegeben werden. Auch das Anmieten eines Gotteshauses ist ein erheblicher Kostenpunkt. Italiens Geistliche lassen sich die von ihnen organisierten Zeremonien einiges kosten. Für eine Trauung in einer besonders beliebten Kirche muss man bis zu 6.000 Euro hinblättern. Immer mehr Paare entscheiden sich deshalb - auch das ergeben Umfragen - anstelle einer festlichen Kirchenzeremonie für eine Fernreise.
    Immer weniger Paare drücken die Schulbank
    Auch die Ehevorbereitungskatechese stößt bei jungen heiratswilligen Paaren auf immer weniger Interesse. Sie ist bei einer kirchlichen Trauung vorgeschrieben und dauert bis zu drei Monate. Immer seltener wollen Paare - in der Regel einmal pro Woche - die Schulbank drücken, um sich über den religiösen Wert, die Aufgaben, die Freuden und die Verpflichtungen eines vor Gott geschlossenen Ehebundes aufklären zu lassen.
    Für Mailands Erzbischof Angelo Scola hat das Desinteresse an kirchlichen Trauungen vor allem einen Grund:
    "In Italien hat sich der Individualismus dahingehend entwickelt, dass jeder macht, was er will. Das ist sehr postmodern, aber sehr kurzsichtig."
    Die Bischofskonferenz will dieser Entwicklung entgegensteuern: Katholische Geistliche werden aufgefordert, nicht mehr so viel Geld für Trauungen zu kassieren. Geplant ist auch, die Dauer von Ehevorbereitungskatechesen drastisch zu reduzieren und im Herbst Werbung für religiöse Trauungen zu schalten. Doch nicht alle Religionsgemeinschaften in Italien haben das Problem der katholischen Kirche. Immer mehr Ausländer und Nichtkatholiken setzen bei ihrer Trauung auf religiöse Zeremonien.
    Besonders beliebt ist das bei US-Amerikanern und bei Franzosen. Und mit immer mehr Einwanderern kommt es auch zu immer mehr religiösen Trauzeremonien. Nur die finden nicht in katholischen Gotteshäusern statt, sondern, zum Unmut der Kirche, in Moscheen.