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Italien
Katholischer Pfarrer bringt Flüchtlinge in Privathäusern unter

Für die italienische Kooperative "Percorso Vita" gibt es dieses Jahr, so viel zu tun wie nie. Sie bemüht sich Flüchtlingen professionelle Hilfe anzubieten. In Venetien kümmert sich ein katholische Pfarrer mit dieser Hilfskooperative um die Aufnahme und Betreuung schiffsbrüchiger Bootsflüchtlinge - die meisten bringt er in Privathäusern unter.

Von Kirstin Hausen |
    Eine Snackbar mit Glasfronten und Plastikstühlen. Es ist kurz vor 8 Uhr und noch nicht viel los. Nur ein Tisch ist besetzt. Vier Frauen und ein Mann von Ende 20 sitzen mit aufgeklappten Laptops und Terminkalendern in einer Nische und besprechen sich. Als ein Mann mit schulterlangen blonden Haaren dazu kommt, lächeln sie erfreut.
    "Wie geht's?" fragt Luca Favarin in die Runde und winkt auch schon nach der Bedienung, um Kaffee und Croissants für alle zu bestellen.
    "Dieses Lokal wird von unserer Kooperative betrieben und ist als Restaurant mit Mittagstisch beliebt bei allen, die hier in der Nähe arbeiten. Die Einnahmen fließen in unsere Projekte und hier arbeiten auch Flüchtlinge, die wir aufgenommen haben."
    Aufnahme und Betreuung schiffbrüchiger Bootsflüchtlinge
    Eine Hose aus grobem Stoff mit vielen Taschen, Turnschuhe, das tintenblaue Poloshirt viel zu weit. Luca Favarin ist Mitte 40 und katholischer Pfarrer, sieht aber mehr nach Erzieher oder Sozialarbeiter aus. Und das ist er auch. Mit seiner Hilfskooperative kümmert sich Favarin um die Aufnahme und Betreuung schiffbrüchiger Bootsflüchtlinge, die das Innenministerium von Sizilien nach Padua schickt. Sein Konzept ist anders, völlig neu. Statt in anonymen Aufnahmezentren oder Militärkasernen, bringt er die meist jungen, meist männlichen Afrikaner in Privathäusern unter.
    "Eine Privatperson hat ein Haus oder eine Wohnung, die nicht genutzt wird und er oder sie vermietet sie an unsere Kooperative oder gibt sie uns gratis zur Nutzung. Das bedeutet, die Häuser werden nicht direkt an die Asylbewerber vermietet, sondern an unsere Organisation. Die Vermieter wissen also, dass wir die Verantwortung tragen, was viele sehr beruhigt. Hier kommen zwei Dinge zusammen: eine humanitäre Geste in einem historischen Moment wie diesem und ein wirtschaftliches Interesse."
    Denn der italienische Immobilienmarkt steckt in der Krise und viel Wohnraum steht leer. Wer verkaufen will, aber auf bessere Zeiten wartet, vermietet oft nicht, aus Angst, die Mieter später nicht mehr loszuwerden. Da kommt eine zeitlich befristete Nutzung gerade recht. Und Luca Favarin betreut die Bootsflüchtlinge nur solange ihr Status noch nicht geklärt ist. Werden sie als politische Flüchtlinge anerkannt, dürfen sie in Italien bleiben, müssen sich aber selbst Arbeit und Wohnung suchen. Werden sie nicht anerkannt, müssen sie Italien verlassen.
    "Ab dann sind sie illegal hier und können nicht in den von uns betreuten Häusern bleiben. Wir sind von Anfang an ehrlich zu ihnen. Am Sonntag hatte ich ein Treffen mit einer Gruppe von neu Angekommenen und ich habe zu ihnen gesagt: Wir sind nicht die Guten, die euch nun in Watte packen. Wir können euch nur vorübergehend aufnehmen, eure Reise ist noch nicht beendet."
    Unzufrieden mit der europäischen Flüchtlingspolitik
    Den harten Worten folgt ein melancholisches Lächeln. Luca Favarin ist mit der europäischen Flüchtlingspolitik ganz und gar nicht einverstanden, weil sie zwischen politischen Flüchtlingen und Wirtschaftsflüchtlingen unterscheidet und auf Abschottung setzt. Aber statt zu lamentieren, konzentriert er sich auf die paar Monate, die er hat, um seinen Schützlingen etwas mitzugeben. Auch wenn er dafür angefeindet und gehasst wird. Denn Padua wird von der Lega Nord regiert, die für ihre rassistischen Hetzkampagnen bekannt ist.
    "Ich bin unbequem, weil mein Konzept zu einer unkontrollierten Verbreitung von Ausländern in der ganzen Stadt führt. Die Häuser, in denen Flüchtlinge leben, schießen wie Pilze aus dem Boden und das schürt unglaubliche Wut. Wenn ich zu Fuß durch die Stadt gehe, werde ich häufig beschimpft und beleidigt. Man hat mich schon bespuckt und den Tag meiner Geburt verflucht. Die Polizei wollte mir Personenschutz geben, sie schickt bei Veranstaltungen, an denen ich öffentlich spreche immer eine Streife vorbei, aber das ist nun einmal Teil des Spiels, eine Art Berufsrisiko."
    Der Lega-Nord-Bürgermeister weigert sich mit Händen und Füßen gegen die Aufnahme neuer Flüchtlinge und er beschuldigt den kämpferischen Pfarrer, die Stadt mit Einwanderern zu verseuchen.
    "Wie soll denn die bloße Existenz dieser Menschen irgendwas verseuchen?" fragt Luca Favarin auf dem Weg zu seinem Auto und schüttelt fast schon belustigt den Kopf. Absurd findet er die Beschuldigungen gegen ihn, und hält sich nicht weiter mit ihnen auf.
    45 Minuten nach dem morgendlichen Meeting steuert er eine Wohngemeinschaft mitten im historischen Stadtzentrum von Padua an.
    "Venetien ist reich geworden dank seiner Produktivität, jetzt ist es in der Krise und hat seine Vergangenheit vergessen. Niemand hier hat die Armut unserer Großväter und Urgroßväter erlebt. Wenn die Menschen mir sagen, dass ihnen die Schwarzen Angst machen, finde ich das traurig. Sie haben eine Angst, die tief in den Eingeweiden sitzt und wenn sie sehen, wie ich mit ihnen scherze oder sie freundschaftlich umarme, dann blicken sie auf mich wie einen, der sich gerade die Pest holt."
    Vorbereitung auf die Befragung durch die Kommission
    Im dritten Stock eines alten Palazzo öffnet ein schlaksiger junger Mann mit kurzen Rastazöpfen die Tür. Harry aus Gambia. Die übrigen Bewohner sitzen bereits um den Esstisch herum und schauen erwartungsvoll. Luca Favarin hat keine großen Neuigkeiten, aber er will sie auf den Tag vorbereiten, an dem sie vor einer Kommission, die über ihren Status entscheidet, ihre Lebensgeschichte erzählen müssen.
    Luca Favarin spricht Italienisch, mit ein paar Brocken Englisch und vielen Gesten gewürzt. Er spricht Klartext. Wenn die Kommission entschieden hat, müsst ihr hier raus.
    Weint dann nicht, überlegt euch vorher, wie es danach weitergehen soll, sagt Luca. Dann fragt er nach Steven, der nicht mit am Tisch sitzt, sondern schon seit Tagen kaum noch das Bett verlässt und die Decke anstarrt. Harry zeigt stumm auf eine Zimmertür. Luca reibt sich über das Gesicht, dann schaltet er sein Handy aus und lässt es auf dem Tisch liegen. Das Gespräch kann länger dauern.