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Italien
Literaturpreis für einen Mafiakiller

Darf ein verurteilter Mafiakiller einen Literaturpreis erhalten? In Italien braust seit der Vergabe des Preises "Premio Sciascia" ein Sturm der Entrüstung über die Jury hinweg. Vor ein paar Tagen wurde der Roman "Malerba" ausgezeichnet. Dessen Autor, Giuseppe Grassonelli, sitzt lebenslang in Haft – er ist ehemaliger Mafioso.

Von Thomas Migge |
    Bücherstapel liegen auf einem Verkaufstisch.
    Matteo Collura, und mit ihm verschiedene andere italienische Autoren, darunter Dacia Maraini und Andrea Camilleri, bezeichnen die Entscheidung der Jury des diesjährigen Premio Sciascia als Fehlgriff. (dpa / picture alliance / Roland Weihrauch)
    "Seit jenem Moment 1986 hat sich Porto Empedocle radikal verändert. Und deshalb ist dieses Buch so wichtig, weil es einen erschreckenden Moment unserer Geschichte nacherzählt. Das Massaker von Porto Empedocle hat dafür gesorgt, dass Monate lang niemand mehr auf die Straße ging."
    Der sizilianische Historiker Gennaro Carlizzi war am 21. September 1986, einem warmen Abend, mit Freunden in einer Pizzeria, als mitten im Stadtzentrum von Porto Empedocle Schüsse fielen. Verschiedene Mitglieder der Mafiafamilie Grassonelli starben. Sie wurden, schreibt Giuseppe Grassonelli in seinem im Juli erschienenen autobiografischen Roman "Malerba", von einem gegnerischen Clan ermordet. Mit diesem Massaker begann einer der blutigsten Mafiakriege der italienischen Nachkriegsgeschichte, erklärt der Journalist Carmelo Sardo, Mitautor von "Malerba":
    "'Malerba' ist die Geschichte eines jungen Sizilianers, der als 20jähriger aus nächster Nähe miterlebt, wie brutal die Mafia ist, und wie er nach diesem Erlebnis selbst zum Mafiakiller wird, um den Tod seiner Angehörigen zu rächen. Malerba ist der Spitzname von Giuseppe Grassonelli. Er rächt sich, flieht nach Deutschland, entkommt zwei Anschlägen, kehrt nach Sizilien zurück und ermordet, einen nach dem anderen, die Mörder seiner Familie. Er wurde vor 23 Jahren gefasst und zu lebenslanger Haft verurteilt."
    Preis in Erinnerung an mafiakritischen Schriftsteller
    Für großes Aufsehen sorgt jetzt dieser Roman, weil er den Literaturpreis erhielt, den angesehenen Premio Sciascia, der in Erinnerung an den mafiakritischen Schriftsteller Leonardo Sciascia vergeben wurd.
    "Malerba" zeigt, wohl vor allem dank des flüssigen Schreibstils des Journalisten Sardo, ein packendes Panorama der sizilianischen Gesellschaft, von den 1980er Jahren bis heute. Dass nun der Ex-Killer den begehrten Literaturpreis erhielt und nicht Caterina Chinicci, die Tochter eines von der Mafia ermordeten Richters, die mit ihrem Roman "E' cosi lieve il tuo bacio sulla fronte" als aussichtsreichste Kandidatin für den Premio Sciascia galt, sorgt in Italiens Feuilletons für Diskussionen. Der Literaturkritiker Gaspare Agnello, ein Freund von Sciascia, hat diese Preisvergabe so empört, dass er umgehend von seinem Posten als Jurymitglied des Premio Sciascia zurücktrat:
    "Sciascia war der Schriftsteller, der als erster in Italien das Thema Mafia behandelt und offen verurteilt hat. Es geht doch nicht, dass jetzt ein Mafiakiller diesen Literaturpreis erhält. Das ist keine Literatur. Das ist purer Sensationalismus. Das muss deutlich gesagt werden."
    Kritiker: "Malerba" keine auszeichnungswürdige Literatur
    Doch die Mehrheit der Preisjury, der Mitautor von "Malerba" und andere Journalisten, die sich mit dem Thema Mafia beschäftigen, darunter auch der Enthüllungsjournalist Roberto Saviano, sehen das nicht so. Warum soll, argumentieren sie, ein ehemaliger Mafiakiller, der sich reuig zeigt und sich für seine Vergangenheit entschuldigt hat, keine Möglichkeit haben, ein Buch zu schreiben, zusammen mit dem Journalisten Carmelo Sardo, und damit einen Literaturpreis zu gewinnen. Entschieden abgelehnt wird im Zusammenhang mit dem Roman "Malerba" der in diesen Tagen in Italiens Zeitungen oft benutzte Begriff der sogenannten "Mafiakultur". So fragt beispielsweise "la Repubblica", ob "Malerba" nichts anderes sei als eine Verherrlichung brutalster Mafiakultur.
    "Blödsinn", meint der Schriftsteller Matteo Collura, Freund und Biograf von Leonardo Sciascia:
    "Die Kritik, wie die von Agnello, richtet sich nicht gegen den Autor des Buches, einen reuigen Mafioso, sondern gegen die fehlende literarische Substanz des Buches. Einen Literaturpreis sollte doch ein literarisch bedeutsames Buch auszeichnen und das ist hier nicht der Fall. Wenn der Teufel in Person ein Buch verfassen würde, und dieses Buch ist richtig gut, warum sollte er dann keinen Preis erhalten, denn bei einem Literaturpreis geht es nicht um das moralisch einwandfreie Verhalten des Autors."
    Matteo Collura, und mit ihm verschiedene andere italienische Autoren, darunter Dacia Maraini und Andrea Camilleri, bezeichnen die Entscheidung der Jury des diesjährigen Premio Sciascia als Fehlgriff. Nicht wegen der Biografie des Autors, sondern, so Collura, "weil der sicherlich spannende und ergreifende Roman keine auszeichnungswürdige Literatur darstellt".