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Italien
Machtkampf zwischen traditionellen und modernen Linken

Am Freitag soll es in Italien einen Generalstreik geben. Er richtet sich vordergründig gegen das Reformpaket von Regierungschef Matteo Renzi, das den Arbeitsmarkt flexibilisieren soll. Doch es geht auch um die Frage, ob Italiens Linke sich von alten Zöpfen trennen will oder ob sie an ihren traditionellen Werten festhält.

Von Kirstin Hausen | 11.12.2014
    Matteo Renzi
    Matteo Renzi, viele Italiener sehen ihn als "Verschrotter". (dpa / picture-alliance / Alessandro Di Meo)
    Studenten der Mailänder Universität stürmen ein Büro der "Demokratischen Partei". Sie schütten rote Farbe auf Fenster und Tür, sprühen Graffiti. "Vergogna, Schande über euch!" schreit ihr Sprecher, ein 22-Jähriger mit schulterlangem Haar und Palästinensertuch.
    Die Studenten protestieren gegen die Arbeitsmarktreform der Mitte-Links-Regierung von Matteo Renzi. Links sei daran nichts, im Gegenteil. Die Lockerung des Kündigungsschutzes zeige, wo Renzi wirklich stehe, nämlich rechts, weit rechts, erklären die Studenten mit vor Wut geballten Fäusten.
    Die Abschaffung des Artikels 18 sei ein Verbrechen, brüllt der junge Mann, der die Gruppe anführt. Er ist der italienischen Arbeiterbewegung fast schon heilig. Dieser Artikel gehört zu einem Gesetz aus dem Jahr 1970, das den Titel "Statut der Arbeiter" trägt, er ist inzwischen Symbol eines Machtkampfes zwischen traditionellen und modernen Linken in Italien. Ursprünglich sollte der Artikel Beschäftigte vor ungerechtfertigten Entlassungen schützen. Doch wann ist eine Entlassung ungerechtfertigt?
    Italienische Arbeitnehmer haben schon erfolgreich gegen Kündigungen geklagt, obwohl sie wochenlang nicht am Arbeitsplatz erschienen , sie in ihrer Arbeitszeit nachweislich Privates erledigten oder sogar beim Stehlen erwischt worden waren. Auch finanzielle Probleme einer Firma und damit verbundene Entlassungen sind nicht unbedingt gerichtsfest. Der Artikel 18 ist eine Errungenschaft der Gewerkschaften, die inzwischen zum Bollwerk gegen Neueinstellungen geworden ist. Zum Nachteil der Berufseinsteiger, die sich wie diese junge Frau häufig von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln statt fest angestellt zu werden.
    "So wächst eine Generation heran, die nicht nur wirtschaftliche Unsicherheit erlebt, sondern auch persönliche."
    Der Streit innerhalb des linken Spektrums ist aber nicht einfach nur ein Generationenkonflikt. Wie der Studentenprotest in Mailand zeigt, ist es ein Konflikt zwischen Fundamentalisten und Modernisierern. Der 65-jährige Bruno Pasetti stammt aus einer Arbeiterfamilie und war bis vor einigen Jahren in der Gewerkschaft CGIL engagiert. Heute nicht mehr. Heute ist er ein Anhänger von Matteo Renzi , der sich mit der CGIL vollkommen überworfen hat. Pasetti unterstützt Renzis Kurs.
    "Die Richtung stimmt, weil sich die Arbeitswelt radikal gewandelt hat und man dem auch politisch Rechnung tragen muss. Es gibt aber zwei Aspekte zu berücksichtigen. Erstens muss der Staat mit sozialen Leistungen einspringen, wenn jemand seinen Arbeitsplatz verliert und dafür fehlt bei der jetzigen Wirtschaftslage das Geld. Und zweitens macht Renzi einen Fehler. Er ist zu sehr auf Konfrontation aus, will den Bruch mit den Gewerkschaften. Die sind in Italien aber wichtige Partner, um soziale Konflikte zu verhindern. Ich bestreite nicht, dass die italienischen Gewerkschaften an veralteten Konzepten festhalten, aber die Art, wie Renzi mit ihnen umgeht, ist vollkommen falsch. Und die negativen Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Land sind bereits zu beobachten."
    In verschiedenen Städten Italiens hat es in den vergangenen Wochen Proteste gegen die Regierung gegeben, der Generalstreik morgen vereint die Unzufriedenen. Matteo Renzi, der als "Verschrotter" der alten Garde in seiner eigenen Partei angetreten war, zeigt sich demonstrativ unbeeindruckt. Wo gehobelt werde, fallen eben Späne. Er wolle die Gewerkschaften schwächen wie es Margret Thatcher in Großbritannien gemacht hat, werfen ihm die Gegner aus den eigenen Reihen vor. Der ehemalige Gewerkschafter Bruno Pasetti schüttelt nachdenklich den Kopf:
    "Dieser Bruch führt zu einem Vertrauensverlust. Das ist schlecht, weil wir alle die Notwendigkeit spüren, über das Althergebrachte hinaus zu gehen und neue Räume für Ideen zu finden."