Sarah Zerback: Diese vielen Fragezeichen, die da aufgeworfen wurden, die wollen wir jetzt mal besprechen und fragen nach bei Bert van Roosebeke, dem Wirtschaftsexperten am Zentrum für Europäische Politik in Freiburg. Guten Tag, Herr van Roosebeke.
Bert van Roosebeke: Guten Tag, Frau Zerback.
Zerback: Jetzt haben wir es gehört. Vorab wurde ja mit einem wahren Schock an den Finanzmärkten gerechnet. Der wurde befürchtet. Und wir sehen jetzt beim Blick an die Börsen: Der DAX ist im Plus, auch der italienische Aktienmarkt hat leicht ins Plus gedreht. Warum ist dieser Crash ausgeblieben?
van Roosebeke: Die Märkte haben es einfach schon einkalkuliert. Die Umfragen waren relativ eindeutig im Vorfeld, dass es bei einem Nein bleiben würde oder dazu kommen würde. Deswegen sind die Märkte jetzt relativ unüberrascht. Und ich denke, die meisten Investoren gehen davon aus, dass wir jetzt bis nächstes Jahr eine Übergangsregierung haben werden und dass sich zumindest kurzfristig nicht so viel ändern wird.
"Italien hat nach wie vor ein massives strukturelles Problem"
Zerback: Aber ist die Gefahr denn damit tatsächlich gebannt, oder besteht die mittelfristig weiter?
van Roosebeke: Nein, die Gefahr ist relativ präsent, würde ich sagen, mittelfristig. Italien hat nach wie vor ein massives strukturelles Problem. Es ist im Moment wirklich die Frage erlaubt, ob Italien mittelfristig in der Eurozone bleiben kann, und wenn Italien das will, dann wird es sehr umfangreiche Reformen durchführen müssen. Und jetzt ist wirklich die Frage angebracht, welche Regierung in den nächsten Jahren dafür eine Mehrheit haben wird.
Zerback: Der Ausgang des Referendums, wir haben das gehört, der könnte ja Populisten wie die Fünf-Sterne-Bewegung stärken rund um Beppe Grillo. Die haben ja wiederum immer wieder laut mit der Rückkehr zur Lira gedroht. Wie wahrscheinlich ist das denn, dass Italien die Währungsunion verlässt?
van Roosebeke: Die Partei der Fünf-Sterne-Bewegung ist nicht so ganz klar in ihren Aussagen. Im Moment scheint es nicht so zu sein, dass sie tatsächlich den Euro verlassen wollen. Wenn sie tatsächlich die künftige Regierung stellen würden, wäre es natürlich machbar, dass sie einfach per Gesetz sagen, wir treten aus. Das halte ich aber für relativ unwahrscheinlich. Italien ist einfach ein sehr großes Mitglied der Eurozone und ich kann mir nicht vorstellen, dass die übrigen Länder der Eurozone das einfach zulassen werden, dass wir in dieses Chaos stürzen. Sprich: Bevor es dazu kommen wird, gehe ich davon aus, dass die sonstige Eurozone, sprich auch Deutschland natürlich als großer Mitgliedsstaat, die Europäische Zentralbank als "Lender of last resort", als Auffänger sämtlicher Probleme, die die Politik nicht lösen kann, dass die erst mal sehr, sehr viel machen werden, um Italien auch finanziell zu unterstützen.
Zerback: Jetzt haben Sie angesprochen, einmal ist die Frage: Will Italien überhaupt aus der Eurozone raus? Aber die andere Frage wäre ja, muss Italien vielleicht raus bei der Wirtschaftsleistung, die ja viel schlechter ist als noch vor zehn Jahren, bei dieser hohen Staatsverschuldung, der hohen Arbeitslosigkeit? Kann das ohne tiefgreifende Reformen gelingen und auch ohne den wichtigen Reformpartner Renzi?
van Roosebeke: Es gibt eigentlich zwei Möglichkeiten. Entweder Italien wird, ich sage es jetzt mal platt, durchsubventioniert von den anderen Mitgliedsstaaten der Eurozone, ohne Reformen, ohne Reformänderungen in Italien. Das ist natürlich schwer zu verkaufen in diesen anderen Mitgliedsstaaten. Die wenigsten Wähler in den anderen Ländern werden dazu Lust haben, Italien auf Dauer viel Geld zur Verfügung zu stellen. Was eigentlich mittelfristig notwendig ist, sind tatsächliche Reformen, und da hatte Renzi natürlich schon relativ viel gemacht. Vielleicht ist er auch deswegen jetzt abgewählt worden, sage ich mal indirekt.
"Wir haben ein Riesen-Bankenproblem in Italien"
Zerback: Er wurde zu unbequem.
van Roosebeke: Oder zu unbequem geworden, genau. Italien hat einen Haufen wirtschaftliche Probleme. Zum einen ist der Standort an sich nicht attraktiv genug. Die Lohnstückkosten gehen in Italien seit Jahren hoch und die Divergenz, der Unterschied zu den anderen Staaten der Eurozone, was das angeht, wird immer größer. Die öffentlichen Schulden sind sehr hoch. Deswegen kann der Staat nicht investieren und die Infrastruktur verkümmert. Die privaten Investitionen sind sehr, sehr gering. Auch netto negativ, da passiert auch nichts. Wir haben ein Riesen-Bankenproblem in Italien. Gerade diese Woche nach diesem Referendum muss die älteste Bank Italiens und dazu auch noch zusätzlich die größte Bank, zwei Banken müssen in der Summe 15 Milliarden am Markt bewegen, einsammeln, um weiter arbeiten zu können, und das genau in dieser Woche nach einem Referendum. Und dazu haben wir ja ein politisches Problem. Das Land scheint sehr gespalten zu sein zwischen Populisten einerseits und anderen Parteien, wo auch nicht ganz klar ist, ob die wirklich bereit sind, ernsthafte Reformen durchzuführen. Es ist unterm Strich ein Chaos und wir können nur hoffen, dass jetzt die Übergangsregierung da kurzfristig eine gewisse Stabilität einbringt. Aber wie das mittelfristig weitergehen würde, das ist wirklich nach gestern sehr fragwürdig.
Zerback: Bei dem hohen Berg, muss man ja sagen, an faulen Krediten, auf denen italienische Banken sitzen - der ist ja höher als das Eigenkapital in den Büchern -, hätte diese Bankenkrise in Italien, hätte die auch das Potenzial, eine Bankenkrise in der ganzen Eurozone auszulösen?
van Roosebeke: Da bin ich etwas zurückhaltend. Wir haben jetzt seit einigen Jahren, seit zwei Jahren durchaus europäische Regeln darüber, wie diese Banken abgewickelt und refinanziert werden können. Die Regeln sind auf dem Papier sehr gut; wir haben sie in einem ernsten Fall noch nie anwenden müssen. Was die Regeln nämlich vorsehen als zentrales Element ist ein sogenanntes Bail-in. Das heißt, die Gläubiger dieser Banken werden dann zur Kasse gebeten, um zu verhindern, dass der Steuerzahler, ob das der italienische sei, oder indirekt auch der deutsche über die verschiedenen europäischen Mechanismen, dass diese Steuerzahler das zahlen müssen. Nur das Problem in Italien ist: Die Hauptgläubiger dieser Banken, das sind ja private Investoren. Das sind Privatleute wie Sie und ich, die letztlich von diesen Banken noch sehr viel Geld bekommen. Und das ist natürlich schwer vorstellbar, dass Banken abgewickelt werden und letztlich der ganz gemeine normale italienische Steuerzahler über seine Bank sehr viele Verluste hinnehmen muss. Die Regierung, die das macht in Italien, …
Fünf-Sterne-Bewegung könnte für Italien zum Problem werden
Zerback: Die könnte nicht unpopulärer sein.
van Roosebeke: …, die macht sich unpopulärer wie sonst keine bisher.
Zerback: Sie haben jetzt gerade die EZB als last resort, so haben Sie es ausgedrückt, ja schon angesprochen. Am Donnerstag, da kommt die EZB zu ihrer nächsten Sitzung zusammen, und nach dem Referendum, da dürfte jetzt auch die Debatte darüber erst mal vom Tisch sein, die Anleihekäufe abzusenken. Welches Signal erwarten Sie denn am Donnerstag?
van Roosebeke: Ja, das wird sich zeigen. Eigentlich erwarten alle, dass Ende März 2017 das Kaufprogramm runtergefahren wird. Ob das jetzt wirklich in der Deutlichkeit noch mal am Donnerstag wiederholt wird von Herrn Draghi, das weiß ich nicht. Da muss man gespannt zuhören. Ich kann mir vorstellen, dass er kleinere Hinweise gibt, dass man die Situation in Italien im Auge behält und bei Bedarf dann bereitsteht. Was natürlich für die EZB sehr gefährlich ist, ist dort sozusagen Sklave der Politik zu werden. Das will die EZB zu jedem Preis vermeiden. Wenn tatsächlich in einer künftigen Wahl, wann auch immer in Italien, die Fünf-Sterne-Bewegung an die Macht kommt und wenn diese Partei tatsächlich die staatlichen Ausgaben so massiv erhöht, wie sie sich angekündigt hat, dann dürfte Italien wirklich ein Problem bekommen. Dann werden Investoren dem Land nicht mehr so bereitwillig Geld geben werden wollen wie heute. Dann werden die Zinsen für Italien steigen und dann ist die EZB in einer sehr schwierigen Situation. Da kann sie es sich eigentlich nicht leisten, Italien nicht zu unterstützen.
"Man kann Italien nicht mit Griechenland oder mit Irland vergleichen"
Zerback: Kann denn die Eurozone diese Art von Schocks verkraften? Da haben wir ja heute den deutschen Finanzminister gehört, der sich sehr optimistisch geäußert hat, und auch den EU-Wirtschaftskommissar Moscovici. Wie groß ist da tatsächlich die Gefahr?
van Roosebeke: Ein Land wie Italien kann man auf Dauer meiner Meinung nach nicht retten mit der Hilfe der anderen Eurostaaten. Man kann Italien nicht mit Griechenland oder mit Irland vergleichen. Man muss sich natürlich immer die Summen angucken, die dann genau in dem Fall notwendig wären, wieviel Milliarden bräuchte Italien dann, um sich über Wasser zu halten. Aber das kann man vielleicht kurzfristig machen, aber dann wird man sehr schnell massive Änderungen in der Regierung, Reformen brauchen, weil das Land ist an sich einfach zu groß. Das ist eine Zeitbombe. Gucken Sie sich an: Wir haben Wahlen in fast allen großen Staaten in den nächsten Jahren, in Deutschland, in Frankreich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man vor diesem Hintergrund auch nur den Anschein wecken will, dass man mittelfristig bereit ist, ein großes Land wie Italien finanziell zu unterstützen.
Zerback: Zur Furcht vor einer erneuten Eurokrise nach dem gescheiterten Referendum gestern in Italien war das Bert van Roosebeke, Wirtschaftsexperte am Zentrum für Europäische Politik in Freiburg. Vielen Dank für Ihre Zeit.
van Roosebeke: Gern geschehen!
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