Vor wenigen Monaten betrat Matteo Renzi zum ersten Mal die große europäische Bühne. Damals wirkte der 39-Jährige zwischen Merkel, Cameron und Hollande noch wie ein Abc-Schütze unter alten Hasen, stolz am Tisch der Großen zu sitzen. Wenn Italien am 1. Juli die Ratspräsidentschaft übernimmt, kann Matteo Renzi mit breiter Brust auftreten. Er ist der einzige Regierungschef in einem großen Land, dessen Partei bei den Europawahlen zulegen konnte. Seine PD holte historische 40,8 Prozent.
"Natürlich bin ich froh, bei den Verhandlungen einen Staat zu repräsentieren, der ein erstaunliches Hoffnungszeichen an Europa gesendet hat. Denn, wenn es einen Staat gab, wo die Populisten eine deutliche Mehrheit bekommen konnten, dann war das Italien."
Matteo Renzi hat die Populisten Beppe Grillo und Silvio Berlusconi auch mit ihren eigenen Waffen geschlagen, indem er sich nämlich den Zorn der Italiener über die von Brüssel verordnete Sparpolitik zu Eigen gemacht hat.
"Das Ziel der italienischen Regierung ist es, zu unterstreichen, dass die strenge Sparpolitik, die nicht auf Wachstum und Entwicklung abzielt, heute an ihre Grenzen geraten ist, dass die Phase vorbei ist. Und mir scheint, dass sich sowohl bei den Anhängern als auch bei den Kritikern das Bewusstsein durchgesetzt hat, dass ein neues Kapitel anfangen muss."
Am liebsten würde natürlich Matteo Renzi höchst persönlich dieses neue Kapitel in der Geschichte der Europäischen Union aufschlagen. Doch um ab 1. Juli tatsächlich Akzente setzen zu können, fehlt Renzi ein entscheidender Faktor: eine funktionstüchtige EU-Kommission. Bis es soweit ist, können noch Monate vergehen. Das Tauziehen um den Kommissionspräsidenten hält an. Renzi, der als Sozialdemokrat im Wahlkampf den SPD-Kandidaten Martin Schulz unterstützt hatte, hält sich bei der aktuellen Diskussion über das Brüsseler Spitzenpersonal diplomatisch zurück:
"Die Namen, um die es jetzt geht, folgen aus dem Weg, den wir einschlagen. Erst müssen wir darüber nachdenken und dann über den Rest."
Erst Programm, dann Personal
Soll heißen: Erst muss sich Europa für ein Programm entscheiden, dann für das Personal, das dieses umsetzen soll. Ganz oben auf der Prioritätenliste der italienischen Regierung steht das Thema Migration. Mehr als 50.000 Bootsflüchtlinge haben seit Jahresbeginn italienische Küsten erreicht. Italien fühlt sich bei der Rettung und der Aufnahme dieser Menschen von der EU im Stich gelassen und fordert eine gerechte, EU-weite Lastenverteilung. Europaminister Sandro Gozi:
"Das Abkommen von Lissabon ermöglicht eine gemeinsame Grenzpolitik, eine gemeinsame Einwanderungspolitik und ein richtiges europäisches Asylrecht. Wir wollen, dass Europa in der neuen Legislaturperiode daran arbeitet."
Italien investiert Millionen in die Marinemission Mare Nostrum, die vor allem humanitären Zwecken dient. Hier wünscht sich die Regierung weniger eine militärische, sondern vor allem eine finanzielle Beteiligung der EU. Für Matteo Renzi steht die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union auf dem Spiel.
"Wir sagen Europa, es kann nicht die Banken und Staaten retten und die Mütter und ihre Kinder nicht retten, die um Asyl bitten und aus dem Krieg kommen. Europa muss helfen. Unsere Marine hilft, unsere Freiwilligen, die Einwohner von Lampedusa, und das sollten auch alle europäischen Institutionen tun und sich nicht umdrehen und so tun, als ob nichts wäre."
So klingt das neue, selbstbewusste Italien. Die Zeiten, als sich die Italiener für Berlusconi fremd schämen mussten, sind vorbei. Und auch die Zeiten, als man angesichts des gigantischen Schuldenbergs kleinlaut und bußfertig nach Brüssel reiste. Ein starkes Italien kann Europa nur guttun. Denn an einem hat Matteo Renzi nie einen Zweifel gelassen, dass er ein überzeugter Europäer ist.