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Italien und Eurozone nach dem Referendum
"Das was man sich niemals getraut hat zu denken, ist Wirklichkeit geworden"

In Italien habe man sich viel zu lange nicht getraut, die strukturellen Probleme anzugehen, kritisierte der Chefvolkswirt von ING-DiBa, Carsten Brzeski, im DLF. Man habe stattdessen immer wieder "diesen stinkenden Haufen unter den Teppich geschoben". Trotz des Referendums glaubt Brzeski jedoch nicht an einen Austritt Italiens aus der Eurozone.

Carsten Brzeski im Gespräch mit Daniel Heinrich |
    Blick vom Mailänder Dom aus auf die Skyline von Mailand mit dem Finanzviertel Porta Nuova.
    Die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone, Italien, steckt seit Jahren in der Krise. (picture alliance/dpa/Daniel Kalker)
    Daniel Heinrich: Am Telefon ist Carsten Brzeski. Er ist Chefvolkswirt der ING DiBa. Herr Brzeski, italienische Staatsanleihen haben in den letzten Wochen ganz schön Federn gelassen. Muss man sich jetzt nach dem Referendum Sorgen machen?
    Carsten Brzeski: Man muss sich eigentlich nicht mehr Sorgen um Italien machen, als man das auch schon vor dem Referendum machen musste. Wenn wir uns zum Beispiel auch die Renditen anschauen auf italienische Staatsanleihen, dann sind die zwar in den letzten Wochen gestiegen, aber das absolute Niveau ist doch immer extrem niedrig. Italien kann sich im Augenblick für zwei Prozent finanzieren. Das ist immer noch billiger als der amerikanische Staat.
    Heinrich: Also kein Austritt aus der Eurozone?
    Brzeski: Ich denke, dass da bei einigen Finanzmarkt-Teilnehmern ein bisschen die Gäule durchgegangen sind, auch in den letzten Wochen. Man spekuliert ja unheimlich gerne immer und je weiter man weg ist von Europa, ich glaube, desto weniger versteht man auch die Komplexität von Europa. Der Austritt Italiens aus dem Euroraum, das ist absolut unglaubwürdig. Da müsste es schon unheimlich viele Wenns und Eventuells geben, sodass in Jahren ein Austritt aus dem Euroraum bevorstehen würde.
    Das Einzige, was wirklich irgendwann mal relevant sein könnte, ist nicht ein Austritt aus dem Euroraum, sondern eher ein EU-Austritt, und da sind die Italiener im Augenblick absolut dagegen.
    Heinrich: Sie sagen, Gäule durchgehen. Wir hören Bankenkrise, Eurokrise, vor dem Referendum ist das in Brüssel durch die Flure gegeistert. Woher kommt denn diese Panik?
    Brzeski: Es ist natürlich so, dass man im Augenblick festgestellt hat: Unverhofft kommt oft. Das was man sich niemals getraut hat zu denken, ist Wirklichkeit geworden. Das ist der Brexit, das ist die Wahl von Herrn Trump. Das ist im Grunde genommen, wenn man sich die ganzen letzten Jahre anschaut, eine Krise, die immer wieder neue Gesichter gezeigt hat, die man eigentlich vorher fast nie so erwartet hat. Das heißt auch, dass im Augenblick wirklich Panik ist, dass Panik teilweise auch geschürt wird, auch von den Finanzmärkten, die damit natürlich Geld verdienen können, und dass wirklich das kleinste Ereignis unter die Lupe gelegt wird und immer wieder auch Erwartungen geschürt werden, dass dann am Tag X alles zusammenbrechen könnte. Da hat man, denke ich, Europa nicht so ganz verstanden. Europa hat mittlerweile schon sehr viel mitgemacht und existiert noch immer.
    Heinrich: Lassen Sie uns mal auf die italienischen Banken blicken. Die sitzen auf rund 360 Milliarden Euro Schulden. Warum sind die eigentlich immer noch in dieser Lage?
    Brzeski: Italien und die italienischen Banken haben eigentlich ein sehr langes Problem. Das ist ein Problem von keinem Wachstum. Die italienische Wirtschaft stagniert eigentlich seit zehn Jahren. Da haben sich so lange über die Jahre hinweg diese Kredite, die faulen Kredite in den Büchern der italienischen Banken angehäuft, Kredite, die immer mal wieder verlängert wurden, die aber dann jetzt von Kunden, Unternehmern, Verbrauchern nicht mehr zurückgezahlt werden können, weil dort Unternehmen bankrottgehen oder auch vom Verbraucher kein Geld mehr haben.
    Jetzt hat sich das aufgehäuft. Man hat immer wieder diesen stinkenden Haufen unter den Teppich geschoben und sich nie getraut, strukturell die Probleme in Italien anzugehen, anders als das zum Beispiel in Spanien der Fall gewesen ist, anders als das aber auch in anderen Ländern der Fall gewesen ist.
    "Die italienischen Banken brauchen mehr Kapital"
    Heinrich: Was müsste da passieren?
    Brzeski: Eine Lösung wäre, wie es immer so schön heißt: Die italienischen Banken brauchen mehr Kapital, um wieder ein bisschen stabiler zu sein, um gesünder zu sein. Das kann dann über Privatinvestoren gehen, das könnte aber auch über den italienischen Staat gehen. Das andere ist, dass man versuchen muss, diese faulen Kredite auszugliedern aus den Büchern der Banken. Dann muss man eine sogenannte "Bad Bank" eröffnen. Auch da spielt der Staat wiederum eine Rolle. Und dann braucht man Zeit. Das heißt, man muss den Bankensektor umstrukturieren, man muss Kapital reinstecken und man braucht Zeit.
    Heinrich: Was muss denn da getan werden, damit es nicht die Kleinanleger erwischt?
    Brzeski: Das ist im Augenblick das Problem, weil wir haben europäische Regeln und die europäischen Regeln sagen, es soll eigentlich keine Bank mehr gerettet werden auf dem Rücken der Steuerzahler. Das heißt, es gibt diese sogenannte Gläubigerbeteiligung.
    Der Punkt ist nur, dass in Italien unheimlich viele Kleinanleger auch Aktien und Anleihen von den lokalen Banken gekauft haben, immer in dem Glauben, in der Annahme, das wäre eine sichere Anlage. Die müssten jetzt zur Kasse gebeten werden und das ist natürlich auch nicht der Sinn der Buchstaben dieser neuen europäischen Regeln.
    Das heißt, man muss auch hier wieder eine Ausnahme finden. Das heißt aber auch, man muss auch in Deutschland verkaufen, dass man hier erst mal eine Ausnahme macht auf die gerade erst beschlossenen europäischen Regeln.
    "Um ein gutes Europa zu haben, brauchen wir wieder mehr politische Führung"
    Heinrich: Herr Brzeski, wir sprechen von Europa. Unsicherheiten bezüglich Regierungen sind auf unserem Kontinent, sind in der EU auch nicht neu. Wenn wir an Belgien denken, lange keine Regierung. Die spanische Wirtschaft, Sie haben es angesprochen, hat sich von ihrer Krise erholt, und das trotz mehrerer Parlamentswahlen.
    Sind die politischen Führungen am Ende gar nicht so entscheidend für die Wirtschaft?
    Brzeski: Ja genau. Die Beispiele, die Sie ansprechen, scheinen das ja zu belegen. Aber natürlich brauchen wir schon politische Führungen. Ich denke, wenn jetzt so etwas wie in Italien zeigt, dass der Euroraum nicht sofort zusammenbrechen wird, dass Italien nicht austreten wird, dann heißt das aber auch im Gegenschluss nicht, dass alles gut ist.
    Um wirklich wieder ein gutes Europa zu haben, dafür bräuchten wir wohl politische Führung, nicht nur auf der nationalen Ebene, aber auch mehr geschlossen auf der europäischen Ebene.
    Heinrich: Das sagt, denkt und hofft Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING DiBa. Herr Brzeski, vielen Dank für das Gespräch.
    Brzeski: Gern geschehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.