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Italien vor der Wahl
Antonio Tajani als beruhigender Faktor

Geht es nach dem Mitte-Rechts-Bündnis, soll Antonio Tajani neuer Ministerpräsident Italiens werden. Tajani habe Italien als EU-Ratspräsident zuletzt mit viel Würde vertreten und soll daher in jede Richtung beruhigend auf das Land wirken, sagte Ernst Hillebrand von der Friedrich-Ebert-Stiftung im Dlf.

Ernst Hillebrand im Gespräch mit Sarah Zerback |
    Antonio Tajani
    Im Falle eines Wahlsieges des Mitte-Rechts-Bündnisses soll Antonio Tajani Ministerpräsident Italiens werden (imago /Belga)
    Sarah Zerback: Sie haben versucht, sich mit schrillen Tönen zu übertönen, mit fremdenfeindlichen auch, sich zu überbieten mit absurd hohen Steuergeschenken, und haben damit wohl vor allem eins erreicht, dass sich die Wähler noch ein Stück weit frustrierter von der Politik abwenden. Ab heute ist der Wahlkampf in Italien offiziell vorbei. Jetzt heißt es noch mal durchschnaufen, bevor die Italienerinnen und Italiener am Sonntag dann ein neues Parlament wählen. Wer das Rennen macht, das ist in diesem Jahr tatsächlich so offen wie nie, zumal bei vielen Parteien und Bündnissen noch nicht mal ganz klar ist, für wen die Wähler da eigentlich ihr Kreuz machen. Das wiederum ist ja auch für uns hier in Deutschland, in Europa nicht ganz uninteressant zu wissen. – Das können wir nun analysieren und besprechen mit Ernst Hillebrand, dem Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rom, die der SPD nahesteht. Guten Morgen, Herr Hillebrand!
    Ernst Hillebrand: Guten Morgen!
    Zerback: Beim Blick auf die Kandidaten, da fällt natürlich sofort gerade hier mit deutscher Brille ein alter Bekannter auf: Silvio Berlusconi ist zurück. Geht es denn seiner Forza Italia so schlecht, oder haben die Italiener ein so schlechtes Gedächtnis?
    Hillebrand: Der Forza Italia geht es eher gut. Sie hat ja ein relativ vernünftiges Ergebnis mittlerweile. Und die Italiener haben tatsächlich ein schlechtes Gedächtnis, was die Person Silvio Berlusconis betrifft, aber sie haben natürlich auch ein gutes Gedächtnis, was die wirtschaftliche Situation des Landes betrifft, und unter Silvio Berlusconi ist es dem Land zumindest über längere Zeit seiner Regierungstätigkeit natürlich besser gegangen als in den letzten zehn Jahren, die von einer langen Krise geprägt waren. Entsprechend ist ein bisschen Nostalgie wahrscheinlich dabei, dass der Mann immer noch oben schwimmen kann, obwohl er so viel Ballast mit sich herumträgt.
    Wenig Kritik an Berlusconis Rolle im Wahlkampf
    Zerback: Immerhin ist er rechtskräftig als Steuerbetrüger verurteilt. Viermal war er Ministerpräsident, darf aber wegen dieser Verurteilung bis 2019 kein politisches Amt ausüben, lächelt aber trotzdem von den Wahlplakaten. "Berlusconi Presidente" steht da. Fühlen sich da die Italiener nicht veräppelt? Das hilft doch sicher nicht, Vertrauen in die Politik zu stärken, oder?
    Hillebrand: Erstaunlicherweise nicht. Eine Kritik daran, dass Berlusconi so zentral den Wahlkampf des rechten Bündnisses dominiert, kann man eigentlich wenig lesen und hören. Es wird irgendwie akzeptiert, dass Forza Italia nun mal das politische Vehikel von Silvio Berlusconi ist, und die Leute, die dann letztendlich agieren, das in enger Abstimmung mit ihm tun werden. Er ist die Zentralfigur und wird interessanterweise in dieser Rolle als Zentralfigur dieses Rechte-Mitte-Bündnisses nicht in Frage gestellt.
    Zerback: Auch wenn er jetzt nicht antreten kann, hat er ja einen Favoriten, der an seiner Stelle Ministerpräsident werden soll, wenn sein Bündnis denn gewinnt. Antonio Tajani ist das, ein enger Weggefährte und aktuell EU-Parlamentspräsident. Der hat das jetzt auch bestätigt, hat gesagt, er würde es machen. Das ist natürlich eine gute Nachricht für Silvio Berlusconi, der das wollte. Und für die Italiener? Was halten die denn von Antonio Tajani?
    Hillebrand: Das ist nicht so klar. Ich meine, der Mann ist natürlich hier nicht so präsent wie andere Politiker. Er hat sich im Wahlkampf praktisch überhaupt nicht eingebracht. Aber mein Eindruck ist, dass Tajani in der Bevölkerung einigermaßen bekannt ist, man den Eindruck hat, er vertritt Italien mit Würde sozusagen im Europäischen Parlament oder in den europäischen Institutionen, dass er da als Parlamentspräsident einen halbwegs anständigen Job macht. Insofern habe ich den Eindruck, dass das eine Wahl ist, die in jede Richtung beruhigend wirken soll. Nach innen, dass es klarmacht, es wird eine Regierung sein, die nicht ganz so populistisch ist, und nach außen, dass es eine Regierung sein soll, die keineswegs die Europabindung Italiens in Frage stellt.
    Koalition sehr wahrscheinlich
    Zerback: Vorstehen soll er ja dann dem rechten Bündnis beziehungsweise antreten für dieses rechte Bündnis, dem ja, Sie sagten es, sehr gute Chancen eingeräumt werden in diesem Dreikampf mit dem linken Wahlbündnis von Ministerpräsident Paolo Gentiloni und der Fünf-Sterne-Bewegung als stärkster Einzelpartei. Ob es da aber für die absolute Mehrheit reicht, das ist ja fraglich, auch wegen des neuen Wahlrechts. Welche Koalition halten Sie denn aktuell für die wahrscheinlichste?
    Hillebrand: Es ist überhaupt wahrscheinlich, dass es zu einer Koalition kommt, denn selbst zusammengezählt haben die drei Parteien oder vier Parteien des rechten Bündnisses ja nur 36, 37 Prozent. Dass irgendeiner dieser Blöcke eine alleinige Mehrheit bekommt, ist ausgesprochen unwahrscheinlich.
    Ich muss sie auch in einem Punkt, entschuldigen Sie bitte, korrigieren. Die Führerschaft sozusagen im linken Lager hat natürlich der Parteivorsitzende der PD, Matteo Renzi, und nicht Paolo Gentiloni. Aber ich glaube, im Moment, wenn die Wahlergebnisse so tatsächlich sind, wie die Umfragen es vorhersagen, läuft es doch in Richtung einer Art großkoalitionären Lösung auch für Italien.
    Zerback: Danke für die Korrektur. Da gebe ich Ihnen natürlich recht. Wobei das gar nicht so klar war, wer da wirklich als Spitzenkandidat antritt. Soweit ich mich erinnere, hat selbst Matteo Renzi gesagt, da liegt das letzte Wort dann bei Staatspräsident Sergio Mattarella, nicht wahr?
    Hillebrand: Ja, satzungsmäßig ist es eindeutig. Die PD tritt mit dem Spitzenkandidaten an, der Generalsekretär ist. Das wurde extra so gebaut, um Klarheit in dieser Frage zu haben, und es hat überhaupt kein Zweifel lange Zeit bestanden, auf wen die Kampagne zugeschnitten ist. Es hat sich nur gezeigt, dass Paolo Gentiloni der mit Abstand beliebteste Politiker Italiens ist, und deswegen wurde er in der Kampagne in der letzten Phase auch stärker ins Zentrum gerückt, weil er natürlich auch für eine koalitionäre Lösung ein sehr glaubwürdiger Ministerpräsident wäre. Insofern: Die Kampagne war eigentlich klar auf Matteo Renzi ausgerichtet. Aber in dem Maße, wie das jetzt zu Ende geht und die Perspektiven danach in den Blick geraten, rückt auch die Figur von Paolo Gentiloni wieder stärker in den Fokus.
    "Italienische Linke würde ich nicht als schwach bezeichnen"
    Zerback: Gesetzt auf Matteo Renzi und damit ja auf einen der unbeliebtesten Politiker des Landes. Kann man sagen, dass die Rechte auch nur deshalb so stark ist in Italien, weil die Linke so schwach ist?
    Hillebrand: Das sind, denke ich, in den meisten Ländern kommunizierende Röhren. Die Stärke eines Lagers hat Auswirkungen auf die des anderen. Aber ich würde die italienische Linke nicht als schwach bezeichnen. Die Wahlergebnisse oder die Umfragewerte der PD sind durchaus höher als die vergleichbarer sozialdemokratischer Parteien. Es gibt daneben noch eine linke Partei, die im Bereich von fünf oder sechs Prozent liegt, …
    Zerback: Die sich ja abgespalten haben von der PD.
    Hillebrand: Genau.
    Zerback: Das schwächt natürlich die PD.
    Hillebrand: Ja, das schwächt die PD. Aber es schwächt nicht das linke Lager unbedingt, denn so was kann ja auch ein Plussummenspiel sein.
    Zerback: Aber wollen die denn miteinander koalieren, ist die Frage. Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Wir reden leider ein ganz kleines bisschen übereinander, weil wir eine kleine Zeitverzögerung haben. Das wollte ich noch ganz kurz erklärenderweise dazu sagen.
    Hillebrand: Im Moment redet man nicht über so eine Koalition, weil so eine Koalition auch für diese beiden Parteien keinerlei Mehrheitsperspektive hätte. Insofern: Die Suche nach einer tragfähigen Regierung in Italien müsste über ein Bündnis zwischen diesen Abspaltung und der PD hinausgehen. Das ist ohnehin klar. Aber an sich, ideologisch trennt die nicht so viel. Es war tatsächlich eher eine Abspaltung aus persönlichen Gründen, aus Unzufriedenheit mit dem Führungsstil Matteo Renzis. Aber die wirklich inhaltlich-politischen Differenzen würde ich mal für relativ gering halten. Die lassen sich mit Sicherheit überwinden. Und die Regierungsbilanz der PD in den letzten Jahren kann sich durchaus sehen lassen. Es ist nicht unbedingt eine Schwäche dieses Lagers, sondern, glaube ich, ähnliche Umstände wie woanders, die dazu führen, dass sie im Moment ein bisschen Probleme in der Wählerakzeptanz haben.
    Zerback: Herr Hillebrand, mit der Bitte um eine ganz kurze Antwort. Das klingt nach einer schwierigen Regierungsbildung. Was glauben Sie, wie lange könnte sich das hinziehen?
    Hillebrand: Das kann sich lange hinziehen. Deutsche Dimensionen würde ich nicht ausschließen wollen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.