Sie stehen in der Schlange, um Essen zu bekommen, einen heißen Tee oder eine warme Jacke. Die brauchen sie, denn abends sinken die Temperaturen auf um die Null Grad. 50, 60 Migranten sind am Abend zur Stazione Tiburtina gekommen, einem der großen Bahnhöfe von Rom. Andrea Costa organisiert das Ganze. Früher hatten sie ein ganzes Zeltlager, aber das wurde immer wieder geräumt.
Und jetzt fährt Italiens Regierung einen noch härteren Kurs, den viele Migranten zu spüren bekommen. Doch Andrea denkt heute nicht so sehr an seine Leute hier, die er versorgt. Er denkt an die zwei Rettungsschiffe vor der Küste Maltas, die Flüchtlinge aus Seenot gerettet haben, und die noch immer keinen Hafen anlaufen dürfen:
"Das ist fast zum Lachen, dass da Schiffe mit 49 Menschen an Bord auf dem Meer sind, darunter Frauen und Kinder. Und Europa streitet darüber wer sie nimmt. Das ist eine Schande. Das wäre auch eine Schande, wenn es 490 oder 4.900 wären. Man lässt diese Menschen nicht allein – vor allem, wenn man daran denkt, was Europa im letzten Jahrhundert durchgemacht hat."
Dass nach dem Zweiten Weltkrieg Millionen Menschen in Europa auf der Flucht waren, ist vergessen – jetzt streitet sich der Kontinent um die Verteilung von 49.
Die Regierung schürt Ängste und will Härte zeigen
Dabei geht es Italiens populistischer Regierung gar nicht so sehr um die Zahlen. Es geht darum, Ängste zu schüren und Härte zu zeigen. Zum Beispiel mit dem neuen Sicherheitsgesetz, das das Parlament vor kurzem beschlossen hat. Bis zu 140.000, sogenannte irreguläre Migranten könnten bald ohne Papiere dastehen - dürfen keine Arbeit annehmen, haben kein Aufenthaltsrecht, schätzen Experten. Viele kleinere Flüchtlingsunterkünfte sollen geschlossen werden.
Doch es regt sich Protest: Vertreter der katholischen Kirche laufen gegen die Gesetze Sturm. Und auch einige Bürgermeister drohen offen mit Ungehorsam, zum Beispiel Leoluca Orlando, seit Jahren schon Bürgermeister von Palermo:
"Dieses Gesetz hat nur den Zweck Legale zu Illegalen zu machen – und sie in die Verzweiflung zu treiben, in die Hände organisierter Banden. Ich habe verfügt, dass das ausgesetzt wird und die Richter sollen entscheiden, ob dieser Beschluss des Parlaments rechtens ist. Und wenn die Richter das nicht klären können, muss eben das Verfassungsgericht entscheiden."
Und Orlando ist nicht allein: Der Widerstand kommt aus Parma und Florenz, aus Bologna und Mailand. Neapels Bürgermeister Luigi de Magistris hat seine Bürger aufgefordert, solidarisch zu sein. Er kritisiert, dass Grundrechte eine Frage der Hautfarbe geworden sind und will auch vor das Verfassungsgericht ziehen.
Kritik vor allem am Innenminister
Die Kritik richtet sich vor allem gegen Matteo Salvini, Innenminister und Chef der rechtsnationalen Lega. Er hat das so genannte Sicherheitsgesetz durchs Parlament gebracht. Die Kritik lässt er an sich abprallen:
"Orlando, De Magristris, Nardella, die Assessoren von Mailand und Bologna, kümmern sich darum, Irregulären Migranten Papiere und Rechte zu geben. Ich sage diesen Bürgermeistern: Das schöne Leben ist vorbei, sie werden sich gegenüber ihren Bürgern rechtfertigen müssen, die ihr Gehalt bezahlen und gegenüber ihren Kindern, den künftigen Generationen. Denn wir waren schon großzügig und haben in den letzten Jahren zu viele aufgenommen. Und wenn ein Bürgermeister nicht einverstanden ist, soll er zurücktreten."
In Rom, an der Stazione Tiburtina, sagt Andrea Costa, dass das neue Sicherheitsgesetz genau das Gegenteil erreicht. Dadurch, dass Migranten kriminalisiert würden, steige weder für sie die Sicherheit, noch für die Italiener. Aber es gibt einen positiven Effekt der Politik der italienischen Regierung:
"Ich muss sagen, das war sehr schön mit dieser Kälteperiode, mit dieser Ungehorsams-Kampagne der Bürgermeister. Wir hatten noch nie so viel Unterstützung wie in diesen Tagen. Sieh doch – viele Menschen bringen Kleidung oder helfen bei der Verteilung, um fünf am Nachmittag kommen sie mit warmer Milch, Tee, oder Kakao. Diese Solidarität bewegt mich. Und je härter die Gesetze sind, je mehr es gegen Migranten geht, umso mehr wächst die Solidarität der Bürgerinnen und Bürger."
Wie der Widerstand der Bürgermeister ausgeht ist derweil völlig offen. Zumindest Matteo Salvini scheint nicht zum Einlenken bereit. Auch nicht bei den 49 Migranten an Bord der beiden Schiffe. Als aus der Regierung der Vorschlag kam, doch wenigstens Frauen und Kinder an Land zu lassen, ließ Salvini verlauten. "Ich ändere meine Meinung nicht. Italiens Häfen sind geschlossen."