Elvira Guida ist Rentnerin. Sie lebt in einer guten Gegend in Rom. Die Wohnung ist voller Bücher und gehört ihr. Das ist nichts Besonderes: Mehr als 80 Prozent der italienischen Familien wohnen im Eigenheim. 38 Jahre lang hat Elvira als Psychologin gearbeitet, mit ihrer Rente kommt sie gut klar, auch weil sie nicht viel ausgibt, wie sie sagt. Vermutlich geht es Elvira Guida besser als vielen anderen Rentnern in Italien, aber trotzdem steht sie exemplarisch für die Italiener der älteren Generation: "Meine Töchter haben es ziemlich schwer, auch weil sie recht fordernde Berufe haben. Eine ist Physikerin und die andere Ärztin. Sie sind beide sehr beansprucht. Sie schaffen es, aber ich helfe, wo ich kann - als Babysitter und auch anders."
"Sie kommen jeden Tag zum Mittagessen"
Mehr als die Hälfte der italienischen Großeltern hilft ihren Söhnen und Töchtern bei der Kinderbetreuung. Elvira Guida selbst hat immer gearbeitet, seit sie denken kann. Besonders nach der Scheidung war das nötig – sie musste ihre Familie durchbringen. Seit fast zehn Jahren ist die zierliche Frau mit den roten Haaren schon in Rente. Jetzt hat sie die Zeit, ihren vier Enkeln zwischen fünf und zwölf Jahren das zu geben, was sie ihren eigenen Kindern damals nicht geben konnte. "Sie kommen jeden Tag zum Mittagessen zu mir. Das ist mir sehr wichtig. Sie würden sonst Pizza auf dem Nachhauseweg essen oder ungesundes Zeug zu Hause. Ich erfinde jeden Tag besondere Gerichte, und sie lernen so, richtig zu essen. Das ist nicht nebensächlich. Mir sind einige Werte wichtiger geworden, die mir früher nicht so viel bedeuteten."
Italien ist mit inzwischen fast 17 Millionen Rentnern eine immer älter werdende Gesellschaft. Die Geburtenrate ist nur wenig höher als die in Deutschland. Auch weil es Familien schwer haben, gleichzeitig zu arbeiten und Kinder zu haben. Deshalb tragen die Großeltern, tragen Frauen wie Elvira Guida die Last der Betreuung. Und so sehr sie ihr Italien liebt wegen der Schönheit des Landes, so sehr leidet sie unter dem Vielen, das nicht funktioniert: "Der Öffentliche Dienst ist heruntergekommen. Dort herrscht Inkompetenz. Im Öffentlichen Dienst sind die Menschen nicht ausgebildet, selbst der Busfahrer nicht. Sie respektieren den Bürger nicht und suchen Ausreden, um nicht arbeiten zu müssen. Nicht zu glauben!"
"Es ist unsere letzte Chance"
Italien sei heruntergewirtschaftet, findet sie, und die Frage, wie das Land aus der Krise kommen soll, beunruhigt die Rentnerin: "Das erschreckt mich sehr. Ich kann die Schäden nicht einschätzen, und ich weiß nicht, wie viele Jahre wir benötigen, um sie wiedergutzumachen. Es ist unsere letzte Chance, wieder anzufangen. Wir haben so lange geschwiegen, haben zu lange diskutiert, machst du oder mache ich."
Auch in Italien wird das Versprechen ewigen Wachstums nicht mehr eingelöst. Die junge Generation, die gerade unter der Krise leidet, unter fehlenden Perspektiven und der Jugendarbeitslosigkeit ist auch hier die erste seit Jahrzehnten, der es nicht besser geht als ihren Eltern. Dennoch hat sich Elvira Guida einen Rest Zuversicht bewahrt. Auch weil sie der Generation ihrer Kinder viel zutraut: "Ich bin eher optimistisch. Nicht weil Italien sich immer dumme Sachen ausgedacht hat, so auf die Berlusconi-Art. Ich denke, dass die jungen Leute ein Gefühl der Wiedergeburt, des Risorgimento, erleben werden. Das muss so sein, denn das Übel, die Oberflächlichkeit, die Dummheit haben sie in vollen Zügen ausgekostet. Das müsste aufgebraucht sein. Und die Korruption: Die Leute haben davon die Nase voll."