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Italienische Schuldenpolitik
Weizsäcker: Italien handelt gegen eigenes Interesse

Die italienische Regierung schneide sich im Haushaltstreit mit der EU ins eigene Fleisch, sagte SPD-Politiker Jakob von Weizsäcker im Dlf. Italien sei im Begriff gegen europäische Fiskalregeln zu verstoßen. Das werde zu einem Defizitverfahren führen - an dessen Ende eine Strafe verhängt werden könne.

Jakob von Weizsäcker im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Die italienische (l) und die EU-Flagge wehen 2001 am Palazzo di Montecitorio, dem Sitz des italienischen Parlaments in Rom.
    Beim EU-Bankenstresstest stehen besonders die italienischen Banken im Fokus (picture alliance/dpa)
    Christoph Heinemann: Europas Banken bekommen heute ein Zeugnis. Über Monate mussten die Geldhäuser Krisenszenarien durchrechnen. Heute Abend will die Europäische Bankenaufsicht EBA und die Europäische Zentralbank EZB die Ergebnisse des diesjährigen Stresstests veröffentlichen. Mit Sorgen blicken Finanzfachleute auf Italien. Die EU-Kommission hat die Haushaltsplanung der italienischen Regierung zurückgewiesen. Ein Defizit von 2,4 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt, das erhöhte den unüberschaubaren italienischen Schuldenberg weiter. Die Handelnden in Rom zeigen sich aber wenig beeindruckt von der Roten Karte.
    Am Telefon ist Jakob von Weizsäcker, SPD-Mitglied des Wirtschafts- und Währungsausschusses des Europäischen Parlaments. Guten Tag!
    Jakob von Weizsäcker: Guten Tag!
    Nicht im Interesse Italiens
    Heinemann: Herr von Weizsäcker, halten Sie die Haushaltspolitik der italienischen Regierung für gefährlich?
    Weizsäcker: Ja, und zwar in erster Linie für Italien selbst. Wir werden ja heute erfahren, wie die Stresstests für die europäischen Banken und insbesondere die Banken der Eurozone ausgehen werden, und da haben die italienischen Banken bereits heute ein Problem. Seit Regierungsantritt der neuen Regierung in Italien hat sich der Zinsaufschlag für italienische Staatsanleihen gegenüber den deutschen Anleihen etwa verdoppelt. Das bedeutet, dass die italienischen Staatsanleihen, die zuhauf in den Bilanzen der italienischen Banken schlummern, sehr deutlich bereits an Wert verloren haben, denn höher Zinsen, also Zinsaufschlag, bedeutet immer niedriger Wert der vorhandenen Staatsanleihen, und das reißt ein tiefes Loch in die Bilanzen der italienischen Banken. Das wiederum führt dazu, dass die Banken weniger freudig an vernünftige Vorhaben in Italien Geld verleihen, droht also das Wirtschaftswachstum zu verlangsamen. Das heißt, wir haben die paradoxe Situation, dass die italienische Regierung, die unvernünftige Wahlversprechungen gemacht hat bei der Wahl, dass die italienische Regierung versucht, diese Versprechungen zu erfüllen, die Märkte reagieren darauf mit höheren Zinsen, das wiederum sorgt dafür, dass die italienische Wirtschaft schlechter mit Krediten versorgt wird.
    Heinemann: Das weiß aber auch die … Bitte.
    Weizsäcker: Das heißt also, diese Vertrauenskrise, die wir jetzt erleben, da schneidet sich die italienische Regierung ins eigene Fleisch, und das macht mich so besorgt.
    Heinemann: Genau, aber das weiß auch die Regierung in Rom, aber sie bleibt dabei. Wie sollte die EU-Kommission darauf reagieren?
    Weizsäcker: Das ist das große Problem. Ich bin nicht ganz sicher, ob die italienische Regierung die Tragweite ihres Handelns überschaut, und zwar für Italien. Die befindet sich im Moment in so einem Modus, wo sie sagt, wir machen einfach die Dinge, die verboten sind laut europäischem Regelwerk und wehren uns damit in Italien gegen das Diktat aus Brüssel. Das ist aber, wie eben dargelegt, ein tiefes Missverständnis, und deshalb mache ich mir so große Sorgen. Wenn die italienische Regierung rational handeln würde, dann würde ich sagen, findet man einen rationalen Kompromiss, aber wenn erkennbar der Verhandlungspartner auf der anderen Seite Dinge tut, die eigentlich gar nicht im eigenen Interesse sein können, dann haben wir ein gravierendes Problem, und das macht mich so besorgt.
    "Wirtschaftswachstum und mehr Jobs schaffen"
    Heinemann: Ist die Frage, ob das alles unsinnig ist - nehmen wir das frühere Rentenalter: wenn man ältere Menschen früher in den Ruhestand schickt, dann können einige der vielen arbeitslosen jungen Menschen in Lohn und Brot gebracht werden, ist das nicht dringend notwendig in Italien?
    Weizsäcker: Also auf jeden Fall ist es notwendig, dass man mehr Wirtschaftswachstum und mehr Jobs schafft. Leider ist es so, dass die Rechnung, wir schicken ältere Leute in den Ruhestand, und dann können jüngere Leute die Jobs übernehmen, eine Milchmädchenrechnung, denn es ist keineswegs so, dass die Zahl der Arbeitsplätze in einem Land konstant ist. Die Zahl der Arbeitsplätze in einem Land hängt sehr davon ab, welche Art von Politik gemacht wird und natürlich auch, ob Banken für die Privatwirtschaft für vernünftige Projekte Geld zur Verfügung stellen können. Deshalb fürchte ich, dass das, was Sie da gerade schildern, also erst mal einleuchtend klingt, nicht so aufgeht. Das haben wir auch in Deutschland gemerkt, dass durch Frühverrentung auf die Dauer die wirtschaftliche Gesundheit eines Landes eher bedroht ist als befördern wird.
    Heinemann: Herr von Weizsäcker, wären Sie dafür, wenn jetzt alles dabei bleibt, wenn Italien, wenn die Regierung in Rom sagt, wir ziehen das jetzt durch, wären Sie dann dafür, dass Italien zum Beispiel EU-Fördergelder gestrichen würden?
    Weizsäcker: Der Weg ist ein anderer, der vorgesehen ist. Wir haben ja europäische Fiskalregeln, gegen die Italien im Begriff ist auf sehr wahrnehmbare und absichtliche Art und Weise zu verstoßen, dann wird ein Defizitverfahren stehen, und am Ende dieses Defizitverfahrens - das kann im Übrigen relativ rasch gehen, weil ja auch schon in der Vergangenheit in Italien nicht alles im grünen Bereich war, was die Fiskalpolitik anging - kann dann eine Strafe verhängt werden. Das ist der vorgesehene Weg. Es geht also nicht um Fördergelder, sondern es geht um ein Defizitverfahren, und in diesem Defizitverfahren stehen dann am Ende möglicherweise auch Strafen. Das kommt jetzt sehr darauf an, wie die italienische Regierung sich verhält. Das Paradoxe an der Situation ist natürlich, ein Land, was sich selbst gerade im Begriff ist zu bestrafen durch eine Regierung, die nicht besonders kluge Dinge tut, das noch zusätzlich zu bestrafen, ist möglicherweise auch schwierig, aber das sind die Regeln. Es geht also nicht um Fördermittel, sondern es geht um die Spielregeln des Defizitverfahrens.
    Italien zu bestrafen "nicht Aufgabe der Geldpolitik"
    Heinemann: Wird die Lage in Italien dazu führen, dass die EZB das laufende Aufkaufprogramm von Staatspapieren und damit die Zeit der niedrigen Zinsen später als geplant auslaufen lassen wird? Werden wir das hier zu spüren bekommen?
    Weizsäcker: Nein. Ich glaube, es ist wirklich ganz wichtig, dass man die Dinge auseinanderhält. Wir haben fiskalische Regeln, diese fiskalischen Regeln sind verstärkt worden in den letzten Jahren auf Basis der Erfahrungen, die man in der Krise gesammelt hat. Das ist das Instrument, mit dem eine Regelübertretung in einem Land der Eurozone geahndet wird. Es ist nicht Aufgabe der Europäischen Zentralbank Länder, die sich nicht an die Regeln halten, zu bestrafen oder, wie Sie jetzt in Ihrer Frage implizieren, zu belohnen, sondern es ist Aufgabe der Europäischen Zentralbank, die Preisstabilität sicherzustellen, und da hat die EZB ja bereits angedeutet, dass sie ihr Anleihekaufprogramm auf geordnete Art und Weise zurückführt, vorerst nicht die Zinsen erhöht, weil die Inflationsraten im Durchschnitt der Eurozone noch nicht über zwei Prozent liegen. Sobald man in die Nähe der zwei Prozent kommt, werden natürlich auch Zinsen angehoben, was im Übrigen bedeutet, dass die Refinanzierung von einer sehr hohen Staatsschuld - in Italien 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - dann noch schwieriger wird. Da kann und wird die Europäische Zentralbank keine Rücksicht nehmen, aber umgekehrt wird die Europäische Zentralbank natürlich auch nicht, weil sich Italien nicht an die Regeln hält, nun die Zinsen schneller erhöhen, um ein Land wie Italien zu bestrafen. Das ist nicht Aufgabe der Geldpolitik.
    Heinemann: Der SPD-Europapolitiker Jakob von Weizsäcker, danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Weizsäcker: Bitte sehr, Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.