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Italiens Auseinandersetzung mit der Flüchtlingsproblematik

Bootsflüchtlinge aus Afrika überqueren das Mittelmeer, um in Italien ein neues Leben zu beginnen. Die Insel Lampedusa ist für sie das Tor nach Europa, doch die meisten Flüchtlinge werden zurückgeschickt. Um den richtigen Umgang mit den verzweifelten Menschen dreht sich die Einwanderungsdebatte.

Von Kirstin Hausen | 11.08.2011
    Der Albaner Astrit Cela verlässt mit Mitte 20 sein Elternhaus, seine Freunde, seine Heimat. Auf einem rostigen Frachtschiff flüchtet er zusammen mit Tausenden Landsleuten nach Bari in Süditalien.

    "Die erste Nacht haben wir im Hafen verbracht. Wir haben auf Plastiktüten auf dem Boden geschlafen. Die Leute gaben uns, was sie hatten: Essen, Kleidung."

    Und nicht nur das. Bei der Hafenbehörde in Bari melden sich Unternehmen, die Arbeit anbieten und Familien, die bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen.

    "Am Anfang waren die Flüchtlinge aus Albanien Helden, die aus einem Unrechtsstaat in die Freiheit strebten","

    sagt die Soziologin Laura Zanfrini. Astrit Cela wird nach Mailand geschickt, wo er Arbeit in einer Verpackungsfabrik findet. Der ehemalige Lehrer entlädt nun Lastwagen. Acht Stunden pro Tag, sechs Tage die Woche. Ein Knochenjob, aber er verdient Geld. Und bekommt eine Aufenthaltsgenehmigung. Das war im August 1991. Heute ist es längst nicht mehr so leicht, legal in Italien zu bleiben. Denn die gesetzliche Lücke, von der die ersten Flüchtlinge aus Albanien vor 20 Jahren noch profitiert haben, ist geschlossen worden.

    ""1998 wurde unser Gesetz über Zuwanderung verabschiedet. Es ist heute noch gültig, auch wenn es inzwischen um einige Beschränkungen ergänzt wurde."

    Die Beschränkungen hat die Regierungspartei Lega Nord durchgesetzt. Sie würde am liebsten überhaupt keine Einwanderer mehr ins Land lassen. Laura Zanfrini:

    "Historisch gesehen gibt es einen großen Unterschied zwischen Italien und den Ländern Nordeuropas. Italien hat sich nicht bewusst entschieden, Ausländer ins Land zu holen, es hat keine Anwerbeabkommen geschlossen und keine Einwanderungspolitik betrieben. Italien ist zu einem Einwanderungsland geworden, ohne es zu wollen."

    Und es hadert immer noch mit dieser Entwicklung. Doch Italiens Wirtschaft braucht heute Arbeitskräfte aus dem Ausland. Deshalb gibt es die sogenannte Quoten-Regelung. Statt die Zahl der Einwanderer dem Zufall zu überlassen, werden jährliche Quoten festgelegt. Einreisen darf nur, wer bereits einen Arbeitsvertrag und eine Aufenthaltsgenehmigung hat. Eine unrealistische Regelung, denn die wenigsten italienischen Arbeitgeber stellen jemanden ein, den sie noch nie gesehen haben. In Wirklichkeit suchen die Immigranten Arbeit, wenn sie schon im Land leben. Illegal, oft mehrere Jahre. Das Problem des unkontrollierten Zuzugs hat das Gesetz also nicht gelöst. Im Gegenteil. Claudio Martelli, früher Mitglied der sozialistischen Partei Italiens und ehemaliger Justizminister, wirft der Lega Nord deshalb vor, versagt zu haben.

    "Die Lega Nord ist beim Thema Einwanderung auf ganzer Linie gescheitert. Denn das Hauptproblem haben diese Politiker außer Acht gelassen. Das Hauptproblem sind nicht die Bootsflüchtlinge, sondern diejenigen, die mit einem Touristenvisum legal einreisen und nach seinem Ablauf im Land bleiben. Das sind Schätzungen zufolge 300. bis 350.000 Menschen und über die verliert die Lega Nord kein Wort."

    Stattdessen dreht sich die Einwanderungsdebatte in Italien jeden Sommer aufs Neue um die verzweifelten Menschen, die unter Lebensgefahr das Mittelmeer überqueren. Statt Bari und Brindisi, wo vor 20 Jahren die Flüchtlingsschiffe aus Albanien ankamen, steht die Insel Lampedusa vor Sizilien nun im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Wie damals gibt es Schwierigkeiten mit der Versorgung der Flüchtlinge. Wie damals wissen die Hafenbehörden oft nicht, wohin mit all den Menschen. Nur eines ist heute ganz klar: Aufenthaltsgenehmigungen erhalten die wenigsten dieser Bootsflüchtlinge.