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Italiens Haushaltsentwurf
"Die Europäische Kommission kann gar nicht anders"

Nach der Zurückweisung des italienischen Haushaltsentwurfs bestehe die Gefahr, dass sich die EU-Kommission zu sehr auf Italien fokussiere, sagte Joachim Fritz-Vannahme von der Bertelsmann-Stiftung im Dlf. Problematisch sei, dass es eine Vertrauenskrise innerhalb der Europäischen Union gebe.

Joachim Fritz-Vannahme im Gespräch mit Tobas Armbrüster |
    Joachim Fritz-Vannahme, Bertelsmann-Stiftung, Direktor des Programms "Europas Zukunft"
    Joachim Fritz-Vannahme, Bertelsmann-Stiftung, Direktor des Programms "Europas Zukunft" (Bertelsmann-Stiftung / Katrin Christiansen)
    Jürgen Zurheide: Jetzt haben wir ja zwei Aspekte, die wir debattieren können. Das ist eine ökonomische Debatte, aber auch eine politische. Ich würde gerne politisch anfangen mit Ihnen. Welches Spiel spielen die Italiener da?
    Fritz-Vannahme: Die Italiener versuchen, vor allem erst mal ihr eigenes Publikum hinter sich weiter zu versammeln. Wir haben am letzten Wochenende Regionalwahlen in Südtirol gehabt, wo die Lega Nord, die Partei des Innenministers Salvini, hervorragend abgeschnitten hat. Und man surft auf einer Welle des Erfolgs, bei der man aus innenpolitischer Sicht einfach sagen kann, wir müssen die Wähler am Leben halten, in der Bewegung halten und dann mal schauen, wie hoch sie uns eigentlich noch trägt.
    Vertrauenskrise gegenüber sich selbst
    Zurheide: Das heißt, Europa hat eigentlich nur schlechte Optionen, denn je härter Europa auftritt, umso mehr können die dann wieder (Salvini) auf Europa schimpfen und das stärkt die Populisten bei der EU-Wahl, bei der Wahl zum Europäischen Parlament?
    Fritz-Vannahme: Ja, in der Tat. Das ist ein bisschen das Risiko, was aus europäischer Sicht dahinter steht. Wir haben aber das Phänomen – und da möchte ich für einen Augenblick vielleicht ein bisschen ablenken von unserem Thema – ja nicht nur in Italien. Es wäre völlig falsch, sich auf Italien zu fokussieren. Wir haben, während wir heute Abend reden, gerade die deutsch-polnischen Konsultationen zwischen den Staatspräsidenten erlebt, wo man sich gegenseitig mehr oder weniger deutlich zwischen polnischem Präsident und deutschem Präsident bezichtigt hat, ihr seid eigentlich nicht solidarisch. Wir haben dasselbe Phänomen mit den Ungarn seit langer Zeit, wir haben das Phänomen mittlerweile mit den Bulgaren, mit den Rumänen. Eigentlich erleben wir einen fundamentalen, würde ich behaupten, Vertrauensbruch zwischen Partnern, die im Prinzip sich mit der Signatur unter europäischen Verträgen verpflichtet haben, gemeinsam zu arbeiten. Im Moment hat man den Eindruck, einer arbeitet gegen den anderen. Im Moment sind das die Italiener, die mit Brüssel, auch mit einigen anderen Partnern da einen Streit auszufechten haben. Morgen könnten das wieder ganz andere sein. Das Problem, das ich im Moment sehe, dass diese Vertrauenskrise innerhalb der Europäischen Union einerseits eine Vertrauenskrise zwischen Partnern ist – ganz eindeutig -, aber vor allem eine Vertrauenskrise ist gegenüber sich selbst. Europa traut sich nichts mehr zu.
    Zurheide: Welche Optionen hat dann diese Europäische Union? Nur schlechte wahrscheinlich. Wenn man jetzt ein Exempel statuiert, dann kommt das zu dem hinzu, was ohnehin schon negativ auf Europa einzahlt, selbst wenn es innenpolitisch so gedrechselt worden ist, oder?
    Fritz-Vannahme: Richtig. Das ist die Ambivalenz, die in all diesen Manövern liegt. Aber da würde ich immer dran festhalten. Wir haben erstens Verträge und wir haben zweitens klare Rollenzuschreibungen. Hüterin der Verträge ist die Europäische Kommission. Die kann im Moment gar nicht anders reagieren gegenüber Italien, als sie das tut. Sie kann auch gar nicht anders gegenüber Polen reagieren oder Ungarn reagieren, als sie das derzeit tut. Sie hat das vor 15 Jahren – da darf man sanft dran erinnern – versäumt, als Frankreich und Deutschland im Stabilitätspakt innerhalb des Euro angefangen haben, ich würde mal sagen, die Definitionen ein bisschen zurechtzubiegen.
    Zurheide: Das ist nett formuliert.
    Fritz-Vannahme: Da blieb die damalige Kommission merkwürdig zurückhaltend. Heute hat man dazugelernt im ganzen Prozess. Man hat immer wieder festgestellt: Oh Gott, wir haben gestern was falsch gemacht, das können wir heute nicht wiederholen, wir müssen es heute richtig machen. An dem Punkt sind wir jetzt auch gegenüber Italien. Die Europäische Kommission kann gar nicht anders, als sie jetzt reagiert. Ich fand hoch interessant, dass man zwei EU-Kommissare in die Bütt, wie man im Rheinland sagen würde, geschickt hat. Der eine war der "Bad Cop", der andere war der "Good Cop". Der eine hat gesagt, ihr müsst hier gefälligst alles einhalten. Der kam aus dem Baltikum, wo man ja einige Erfahrungen mit Reformprozessen hat. Der andere kam aus Frankreich, die ja auch ein bisschen jedenfalls in Deutschland immer wieder unter Verdacht stehen, ob sie wirklich die Prinzipien so hochhalten, und der hat gesagt: Na ja, das ist jetzt nicht das Ende eines Diskussionsprozesses, sondern der Anfang. Wir fangen jetzt wieder an, weiterzureden, wir bleiben im Gespräch. Das ist im Prinzip taktisch richtig, aber wenn man sich fragt, wohin soll das eigentlich führen, bei einer so beinharten Regierung in Rom, da habe ich meine Zweifel, ob das schrecklich viel weiterführt als gegenüber einer ebenso beinharten Regierung in Warschau oder in Budapest.
    Schwieriges Agieren mit "beinharter Regierung" in Italien
    Zurheide: Na ja. Da kommt dann der Aspekt hinzu – und jetzt wenden wir uns vielleicht auf die ökonomische Seite: Die Märkte werden es entscheiden. Das sagen viele. Die Zinsen werden steigen, damit geraten die Banken in Italien unter Druck, und da kann man sagen, da hat zunächst mal Europa wenig mit zu tun.
    Fritz-Vannahme: Richtig. Das ist die kleine Hoffnung, die man im Fall von Italien haben kann, weil wir diese Erfahrung ja beim Beispiel Griechenland machen konnten. Das gilt aber nicht für zum Beispiel Polen oder Ungarn, die ja nicht im Euro drin sind. Das gilt übrigens auch nicht bei den ganzen Brexit-Verhandlungen, weil Großbritannien ja auch nicht Teil des Euro ist. Insofern ist die Entscheidung, den Euro zu favorisieren als das einigende, zwingende, disziplinierende Band in der Europäischen Union, im Prinzip ja richtig gewesen. Da haben wir noch eine Handhabe aus europäischer Sicht.
    Während wir bei den anderen Beispielen, die ich eben genannt habe, fürchten müssen, dass man doch relativ leicht sagen kann: Na ja, gut, dann soll Brüssel oder der EuGH, der Europäische Gerichtshof in Luxemburg entscheiden. Das ficht uns nicht an, wir machen weiter, dass dies eine Lösung sein könnte.
    Zurheide: Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen anderen Aspekt kommen. Ich sage es zugespitzt: Wofür steht denn dieses Europa, das da sehr auf Haushaltsdisziplin achtet? Da gibt es natürlich schnell den Link: Na ja, das sind die gleichen, die wenig gegen Jugendarbeitslosigkeit und gegen wachsende Ungleichheit getan haben. – Ich mache das bewusst karikierend und kurz. Wie kann Europa verhindern, dass es um dieses Europa geht? Es geht ja um was anderes eigentlich.
    Fritz-Vannahme: Ja, es geht um was anderes, und da finde ich – ich sage das sehr deutlich – die deutsche Politik einer schwarzen Null nicht falsch, aber zu kurz gegriffen. Wir sind in Deutschland die führende europäische ökonomische monetäre Macht. Und wenn wir nicht anfangen, hier zu einer gewissen Flexibilität mit Anreizen und Verboten, Anreizen und Verboten überzugehen, dann werden wir gerade in Deutschland, die wir enorm von der Europäischen Union und vom Euro profitiert haben, über kurz oder lang nicht nur Widerstände spüren, sondern den Kürzeren ziehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.