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Italiens Migrationspolitik
Neue Routen, alte Probleme

Seit Jahresbeginn sind in Italien viermal so viele Flüchtlinge angekommen wie 2019 im gleichen Zeitraum. Viele von ihnen schlagen über Tunesien eine neue Route ein. Die Regierung arbeitet an einer neuen Migrationspolitik – und fühlt sich weiterhin von der EU alleine gelassen.

Von Christine Auerbach, Lisa Weiß und Christoph Schäfer |
Flüchtlinge auf Lampedusa
Flüchtlinge auf Lampedusa: Italien fordert von der EU Unterstützung ein (picture alliance / NurPhoto)
Es ist Abend, 19:30 Uhr. Andrea Costa steht hinter drei Klapptischen. Darauf eine große Plastikbox mit frisch gekochter Pasta, Bohnen und Tomatensauce. Mit einer großen Kelle verteilt Costa die Portionen auf kleine Plastikteller. Vor ihm drängen sich ungefähr 70 Männer. Sie haben alle dunkle Haut, kommen aus Ländern wie dem Sudan, Eritrea, Somalia, Gambia, Ghana oder aus Nordafrika.
Freiwillige wie er haben die Pasta gekocht, sagt Andrea Costa. Jeden Abend und jeden Morgen verteilt die Organisation Baobab Essen an die Migranten, die in Rom hinter der Bahnstation Tiburtina wohnen. Obwohl wohnen nicht die Situation beschreibt, in der sie leben – sie schlafen auf Pappkartons auf einem Betonplatz hinter dem Bahnhof.
"Wir versorgen hier Migranten, die frisch von den Booten kommen und in andere Länder weiterwollen. Sie sind hier ein bis zwei Wochen. Andere sind hier schon seit Monaten. Immer auf der Straße. Viele von denen waren in Flüchtlingszentren untergebracht, aber weil Salvini die Aufnahmeeinrichtungen reduziert hat, sitzen sie jetzt auf der Straße. Dieses Leben frisst sie auf, einige werden fast verrückt."
Immer wieder rasen Krankenwagen vorbei oder knatternde Motorräder. Stille gibt es kaum. Schon immer gab es in Italien wenige Integrations- und Aufnahmeeinrichtungen. Während Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega Innenminister war, wurden auch die meisten davon noch geschlossen.
Flüchtlinge werden während der Coronakrise ignoriert
Dabei wären sie im Moment wichtiger denn je, denn während der Coronakrise ist, weitgehend ignoriert von der europäischen Öffentlichkeit, die Zahl der ankommenden Boote wieder gestiegen. Seit Anfang des Jahres sind rund viermal so viele Menschen über das Mittelmeer nach Italien gekommen wie im gleichen Zeitraum im vergangenen Jahr – insgesamt sind es rund 20 000. Die Aufnahmezentren auf Lampedusa und Sizilien sind hoffnungslos überfüllt.
Ein vollbesetztes Flüchtlingsboot mit Flüchtlingen treibt auf dem Meer westlich von Tripolis
EU-Asylpolitik und die Seenotrettung
Die EU-Staaten finden seit Jahren keinen Konsens bei der Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen. Zu Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft macht Innenminister Seehofer erneut Werbung für seinen Vorschlag zum Umgang mit Bootsmigranten nach einer Seenotrettung. Ein Überblick.
Die meisten der Boote kommen im Moment aus Tunesien, wo die Arbeitslosigkeit hoch und die Wirtschaft durch die Corona-Maßnahmen schwer getroffen ist. Aber mit den Booten kommen nicht nur Tunesier an, sagt Luigi Patronaggio, Chef der Staatsanwaltschaft im Süden Siziliens.
"Wir haben den Eindruck als Ermittler, dass sich eine neue Migrationsroute geöffnet hat. Aus Libyen und aus Ägypten werden Migranten gezielt nach Tunesien gebracht."
Eigentlich ist Patronaggio einer der prominentesten Anti-Mafia-Ermittler Italiens, aktuell landen aber vor allem Akten in Sachen Migration auf seinem Schreibtisch. Bekannt geworden ist er als Gegenspieler des ehemaligen Innenministers Matteo Salvini, als er gegen dessen Widerstand Schiffen von Nicht-Regierungsorganisationen erlaubt hat, in Sizilien anzulegen.
Migranten müssen auf Quarantäneschiffe
Die aktuelle Regierung hat es nach ihrem Amtsantritt den Seenotrettern in der Praxis wieder etwas leichter gemacht, in Italien an Land zu gehen. Dann kam die Corona-Pandemie – und die Häfen wurden wieder geschlossen, unter anderem, weil nach Auffassung der Regierung die medizinische Versorgung für Migranten nicht sichergestellt werden konnte. Das entsprechende Dekret ist weiterhin in Kraft, mittlerweile dürfen aber immer wieder Seenotrettungsschiffe anlanden. Die Migranten müssen allerdings erst einmal auf Quarantäneschiffen bleiben.
Dass nun Tunesien der Startpunkt von Fluchtrouten über das Mittelmeer ist, liegt für Staatsanwalt Patronaggio vor allem an der Situation in Libyen. Durch ihre Verwicklung in den Bürgerkrieg würden kriminelle Milizen keine Überfahrten mehr organisieren. Stattdessen übernähmen kriminelle Organisationen in Tunesien. Diese seien in der Lage, in kürzester Zeit mehrere tausend Menschen nach Europa zu bringen.
"In Tunesien werden diese Migranten von Personen an die Hand genommen, die sehr gut mit Fischerbooten umgehen können, weil sie meist selbst früher Fischer waren. Sie sind es gewohnt, von Sfax oder Monastir nach Sizilien oder Lampedusa zu fahren."
Die Tunesier sind momentan die größte Gruppe der Migranten, die über das Mittelmeer nach Italien kommen: Rund 7.000 Menschen sind es bisher allein in diesem Jahr, sagt auch Christopher Hein. Er ist Professor für Asyl- und Migrationsrecht an der Universität LUISS in Rom. Am Telefon schildert er, dass die Menschen vor allem aus wirtschaftlichen Gründen aufbrechen:
"Es gibt eine sehr schwerwiegende ökonomische Krise. Die Tunesier, die kommen, kommen aus dem östlichen und südöstlichen Teil des Landes, wo traditionell viele Menschen nach Libyen gehen, in Libyen gearbeitet haben."
Tunesien leidet unter der Corona-Pandemie
Wegen des Bürgerkriegs ist dies derzeit allerdings unmöglich. Hinzu kommt: Menschen, die in Tunesien vom Tourismus gelebt haben, finden jetzt kein Auskommen mehr. Unter anderem wegen der Corona-Pandemie ist der Tourismus dort so gut wie zum Erliegen gekommen, erklärt Hein.
In einem Punkt jedoch widerspricht der Migrationsforscher dem italienischen Staatsanwaltschaft Patronaggio: Und zwar, wenn es um die Frage geht, wer die Überfahrten von Tunesien aus organisiert. Seiner Einschätzung nach sind es einzelne Schlepper und kleinere Gruppen.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
"Das ist schon ein anderes Phänomen als das, was wir seit Jahren in Libyen beobachten. Dass es wirklich eine massive Organisation, kriminelle Organisationen gibt, das scheint jedenfalls in Tunesien bisher nicht der Fall zu sein."
Allerdings sei diese neue Generation von Menschenschmugglern besser ausgestattet als ihre Vorgänger und habe Boote, die sie mit Migranten unter Deck fast direkt an die Küste Siziliens steuern, betont Staatsanwalt Patronaggio:
"Geändert hat sich, dass nicht mehr die Gummiboote aus chinesischer Produktion unterwegs sind, die Luft verloren haben, sobald sie die libyschen Hoheitsgewässer verlassen haben. Aus Tunesien legen Fischerboote ab, die kaum auffallen zwischen allen anderen, die auf dem Mittelmeer unterwegs sind. Und die deswegen von Flugzeugen der Küstenwache, der Finanzpolizei oder von Frontex nicht leicht zu identifizieren sind."
Neue Route über Tunesien mit vielen Problemen
An abgelegenen Stränden würden die Migranten von Bord gelassen. Viele versuchten sich auf eigene Faust durchzuschlagen, würden aber häufig von der Polizei aufgegriffen. Die neue Route über Tunesien, sagt Patronaggio, bringe aber noch ein zusätzliches Problem mit sich.
"Die Tunesier machen zurzeit gemischte Zusammenstellungen. Es sind zum einen Menschen aus der Subsahara an Bord, die vorher in Libyen oder Ägypten waren. Zum anderen sind es Tunesier, die schon mal aus Italien abgeschoben wurden und Vorstrafen haben. Wir haben eine beträchtliche Zahl von Personen festgenommen wegen illegaler Wiedereinreise nach Italien."
Das trifft auf knapp 30 Prozent der ankommenden Tunesier zu. Ihnen werden Drogenhandel und Eigentumsdelikte vorgeworfen, sagt Patronaggio. Das alles gibt rechtspopulistischen Politikern wie Lega-Chef Matteo Salvini Aufwind und führt dazu, dass die Migrationsdebatte im Land weiter an Fahrt aufnimmt. Oppositionspolitiker Salvini beschuldigt die Regierung, die Ankunft der Boote nicht zu verhindern – oder sogar den Menschenhandel zu unterstützen.
Diese vermeintlich liberale Haltung der Regierung gegenüber ankommenden Migranten sei zudem ein Grund, warum die Corona-Infektionszahlen in Italien stiegen. Denn es seien die Flüchtlinge – so zumindest Salvini – die das Virus ins Land brächten.
Abkehr von der Politik Salvinis
Italiens Regierungschef Giuseppe Conte kennt die Kritik aus der Opposition und hat sich bereits in der Vergangenheit im Interview mit einer italienischen Nachrichtenagentur offen gegen Lega-Chef Salvini positioniert. Dieser schüre, so Conte, ungerechtfertigt Misstrauen gegenüber seinem Kabinett und schade dem Ansehen Italiens in Europa. Zugleich betont der Ministerpräsident allerdings auch - jedenfalls im Land selbst - immer wieder, wie hart seine Regierung gegen die illegale Migration vorgehe. Wie hier am Rande einer Pressekonferenz im August:
"Wir können nicht zulassen, dass man illegal nach Italien einwandert und dass die Opfer, die die Italiener im Kampf gegen das Coronavirus gebracht haben, durch Migranten zunichtegemacht werden, die sich der medizinischen Überwachung entziehen. Wir müssen hart und unbarmherzig vorgehen. Und wir müssen mehr abschieben".
Bei einem Besuch in Tunis hat auch Außenminister Luigi di Maio klargestellt, dass Tunesien für die Regierung in Rom als sicheres Herkunftsland gilt. Tunesier sollen also grundsätzlich zurück in ihre Heimat abgeschoben werden dürfen. Im Gegenzug will Italien in Tunesien investieren und so die Wirtschaft stärken.
Es sind Roms Versuche, mit der anhaltenden Flucht nach Italien umzugehen. Die Problematik hat jedoch auch eine europapolitische Dimension: Immer noch gilt die sogenannte Dublin-3-Verordnung. Das heißt, jeder Migrant muss in dem Mitgliedsstaat einen Asylantrag stellen, in dem er oder sie das erste Mal einen Fuß auf EU-Boden setzt. Oder jedenfalls zum ersten Mal registriert wird. Das bedeutet: Italien muss sich um all die Menschen kümmern, die über das Mittelmeer ins Land kommen – und fühlt sich dabei vom Rest der EU allein gelassen.
Rom bittet die EU um Unterstützung
Erst kürzlich hat Rom – wieder einmal - die EU um Unterstützung gebeten, damit Migranten besser auf verschiedene EU-Länder verteilt werden können. Eigentlich hatten sich schon 2019 bei der so genannten Malta-Vereinbarung einige EU-Länder darauf geeinigt, Migranten aus dem Mittelmeer aufzunehmen. Diese Vereinbarung ist laut Luca Barana vom Think Tank Istituto Affari Internazionali in Rom durchaus ein Schritt zu einem europäischen Verteilmechanismus, allerdings auch nur auf die Mittelmeer-Route und nur auf Malta und Italien beschränkt, schließt also betroffene Länder wie Spanien und Griechenland nicht ein. Mit der Corona-Pandemie sei der Mechanismus zudem beeinträchtigt und die Verteilungen schwierig umsetzbar – und festgelegte, europaweite Quoten seit Covid19 sowieso aussichtslos.
"Sanktionen, sogar Wirtschaftssanktionen waren denkbar, gegen jene Regierungen, die keine Quoten für die Umverteilung von Flüchtlingen akzeptiert hatten. Diese Forderungen sind in den letzten Monaten ziemlich aufgegeben worden, auch, weil die Prioritäten andere geworden sind."
A view taken on May 12, 2020 in Venice shows a deserted Grand Canal near the Rialto bridge, during the country's lockdown aimed at curbing the spread of the COVID-19 infection, caused by the novel coronavirus. With the tourism sector reeling, the European Commission was on May 13, 2020 to present a rescue plan for the sector. Vincenzo PINTO / AFP
Coronakrise: Italiens Not und Europas Geld
"Erst starben die Menschen, jetzt stirbt die Wirtschaft": So hört man es aus Italien. Dort hoffen Regierung und Bürger auf europäische Solidarität und milliardenschwere Hilfszahlungen.
Wie zum Beispiel der Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft. Darüber hinaus fehlt es Luca Barana zufolge einfach an Solidarität unter den Mitgliedsstaaten. Zwar wird jetzt in der Öffentlichkeit viel über die neuen Migranten aus Tunesien gesprochen, aber die Situation derer, die schon seit Jahren in Europa sind, bleibt nach wie vor schwierig. Das zeigt sich auch an der Essensausgabe der Hilfsorganisation Baobab. Einige der Migranten, die Baobab versorgt, haben inzwischen eine jahrelange Odyssee hinter sich, die immer wieder in Italien endet, sagt Giulia Rompel, eine der Helferinnen. Sie ist in Deutschland geboren und lebt in Italien:
"Wir haben eine riesengroße Anzahl an Migranten, die aus Deutschland abgeschoben worden sind und wieder nach Italien geschickt worden sind, weil die halt die Fingerabdrücke haben. Und die haben hier überhaupt keine Unterkunft, keine Arbeitsmöglichkeiten, also gar nichts. Sie sind einfach irregulär."
"Er spricht sehr gut Deutsch. Er hat in Deutschland gelebt."

"Im Main-Tauber-Kreis, Baden-Württemberg. Ich habe vier Jahre in Deutschland gelebt, Arbeiten, Schule machen. Aber jetzt ich komme in Italia."
Vor einem Jahr und sechs Monaten war das. Seitdem schläft er auf der Straße.
"Ich schlafe hier, die Polizei kommt jeden Tag. Das ist schwierig. Das ist das Problem."
Für die meisten Migranten ist Italien nur Zwischenstation
Für die meisten Migranten ist Italien nur Zwischenstation. Sie wollen weiter nach Frankreich, Deutschland oder in die Schweiz. Aber eben wegen der Dublin-3-Verordnung, die festlegt, dass Migranten im Ankunftsland Asyl beantragen müssen, müssen viele zurück nach Italien – oder erreichen ihr Wunschziel gar nicht erst.
"Deswegen stecken sie halt in Italien fest und das ist ein Leben, das halt nie beginnen kann wirklich."
"Das Dublin-Verfahren ist in der Tat einer der wesentliche Knoten, die es zu lösen gilt", fügt Luca Barana vom Istituto Affari Internazionali hinzu. Er befürwortet deshalb die Idee eines neuen Pakts für Migration, wie ihn die Europäische Kommission diesen Herbst vorschlagen will. Bestandteile dessen sollen unter anderem sein: ein gemeinsames europäisches Asylsystem, eine Dublin-Reform und eine engere Zusammenarbeit mit Herkunftsstaaten wie Tunesien:
Die Pläne der EU-Kommission könnten dabei auch Punkte beinhalten, die der deutschen Bundesregierung im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft wichtig sind: Menschen sollen bereits an den EU-Außengrenzen einem Asylverfahren beziehungsweise einer sogenannten Vorprüfung unterzogen und ihre Anträge in beschleunigter Weise bearbeitet werden. Abgelehnte Bewerber würden direkt abgeschoben.
Ein Kind spielt in einem provisorischen Zeltlager in der Nähe des Camps für Migranten in Moria.
Asylreform in Europa: Neue Hoffnung und alte Rezepte
Die Aufnahme von Geflüchteten ist seit langem ein Streitthema in der EU. Dadurch werden auch in Deutschland aufnahmewillige Bundesländer ausgebremst. Eine Lösung könnte sein, nicht mehr vergeblich alle Staaten in die Pflicht zu nehmen.
Ein solches EU-weites Verfahren erinnert Luca Barana an den Hotspot-Ansatz, der seit mehreren Jahren praktiziert wird. Flüchtlingscamps wie Moria auf der griechischen Insel Lesbos wurden als Sicherheitszonen errichtet und über Asylanträge sollte rasch entschieden werden.
"Der Mechanismus ist derselbe. Die Forderung von europäischen Ländern an Ankunftsländer in Europa ist, sehr viel Hilfe zu leisten. Wie damals im Jahr 2015 – dafür haben Länder finanzielle Mittel erhalten – und im Gegenzug sollten sie effizienter die Aufnahme verwalten und schneller die Prüfverfahren in den Hotspots vollziehen."
Stattdessen: Überfüllte Camps, Menschen, für die es weder vor-, noch zurückgeht. All das dürfe sich bei einer Reform eines europäischen Asyl- und Migrationssystems nicht wiederholen, meint Barana.
Italien arbeitet an einer Reform der Migrationspolitik
Zeitgleich arbeitet die italienische Regierung an einer Reform der eigenen Migrationspolitik. Und derzeit zeichnet sich durchaus eine Verbesserung für die Migranten ab: Die Regierungsparteien haben angekündigt, einige der Vorschriften zurückzunehmen, die der frühere Innenminister Salvini eingesetzt hat.
So sollen unter anderem die Millionenstrafen für Schiffe von Hilfsorganisationen gekippt werden. Legen sie ohne Erlaubnis mit Migranten an Bord an italienischen Häfen an, zahlt die NGO nur noch unter ganz engen Bedingungen eine Strafe. Außerdem soll es wieder leichter werden, einen Aufenthaltstitel zu beantragen.
Und auch das Aufnahmeverfahren will Innenministerin Luciana Lamorgese wieder ändern: Asylbewerber sollen wieder die Möglichkeit bekommen, sich behördlich zu melden – wichtig auch für die Gesundheitsversorgung. Anstatt wie unter Salvini in Erstaufnahmelagern festgehalten zu werden, sollen sie während des Asylverfahrens wieder in normalen Unterkünften wohnen dürfen und bis zu einem gewissen Punkt Integrationsleistungen erhalten. Innenministerin Lamorgese:
"Die Arbeit ist abgeschlossen. Ich warte jetzt noch die Meinung der Gemeinden ab. Das System der Aufnahme ist leicht verändert. Es ist also nur gerecht, die Gemeinden zu Wort kommen zu lassen, denn sie werden am Ende die Aufnahmezentren verwalten."

Dieser Plan könnte zu einem wesentlichen Kurswechsel in der Migrationspolitik Italiens führen, findet auch Professor Christopher Hein.
"Das, was man weiß von dieser politischen Übereinkunft, geht absolut in die richtige Richtung und beendet eigentlich eine traurige Phase, die nur zu größerer Unsicherheit, auch in den Städten, in den Gemeinden geführt hat. Von Asylbewerbern, die überhaupt nicht mehr ins Verfahren reinkommen konnten und daher auch keine Aufenthaltsgenehmigung hatten."
Derzeit befinden sich die Pläne bei Premierminister Giuseppe Conte. Im Herbst will das Regierungskabinett über die Pläne von Innenministerin Lamorgese debattieren.
Die Reform könnte die Arbeit von Hilfsorganisationen wie Baobab erleichtern. So hofft es der Chef Andrea Costa wenigstens. Allerdings bleibt er zugleich skeptisch. Für ihn ist das Flüchtlingsthema eines, mit dem die Politik gut von den wirklichen Problemen Italiens ablenken kann: marode Brücken, kaputte Autobahnen, schwache Wirtschaft. Er ist sich sicher: "Die Einwanderung ist kein Problem, sondern ein Thema, das erst dann zum Problem wird, wenn man sich nicht darum kümmert."