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Italiens 'Ndrangheta
Neue Strategie im Kampf gegen die Mafia

Der Kampf gegen die kalabrische 'Ndrangheta ist auch deshalb so schwierig, weil die Clans eine verschworene Gemeinschaft bilden. Schon die Kinder werden in kriminelle Machenschaften hineingezogen. Roberto Di Bella, Präsident eines Jugendgerichts, entzieht Mafiabossen das Sorgerecht und nimmt die Minderjährigen aus den Familien heraus.

Von Jan-Christoph Kitzler |
    Auf einem Video der italienischen Polizei wird die Festnahme von zwei Mafia-Bossen gezeigt.
    Die italienische Polizei nimmt zwei Mafia-Bosse fest: Kriminelle Väter der 'Ndrangheta bringen schon kleinen Kindern bei, wie man Drogen streckt oder schießt. (picture alliance/dpa/ EPA/POLICE PRESS OFFICE)
    In Kalabrien, ganz im Süden Italiens, findet gerade ein Experiment statt. Man versucht dort, den Kampf gegen die Mafia mit anderen Mitteln zu führen. Verhaftungen, Beschlagnahmungen, law and order, reichen nicht aus gegen die 'Ndrangheta, die kalabrische Version der Mafia. Sie gilt als die zur Zeit mächtigste Form des organisierten Verbrechens, erwirtschaftet Untersuchungen zufolge über 50 Milliarden Euro Jahresumsatz: mit Drogen- und Waffengeschäften, Müllentsorgung und Bauaufträgen.
    Die eigentliche Macht der 'Ndranghta aber sind die Familien. Sie halten zusammen. Und die Kinder der Clans sind der Nachwuchs. Auch deshalb drängt Roberto Di Bella, der Präsident des Jugendgerichts in Reggio Calabria, darauf, umzudenken:
    "In den letzten drei Jahren haben wir unsere Verfahrensweise verändert. Wir nehmen den Mafiabossen das Sorgerecht und nehmen die Minderjährigen aus den Mafia-Familien heraus, dann, wenn ihnen offensichtlich Schaden zugefügt wird. Wir greifen also nicht ein, nur weil es eine Familie der Mafia ist, sondern wenn die mafiösen Erziehungsmethoden eine konkrete Gefahr für die psychophysische Entwicklung des Kindes darstellen."
    Ein Versuch, den kriminellen Kreislauf zu durchbrechen
    In den Clan-Familien wird schon kleinen Kindern beigebracht, wie man Kokain streckt, wie man schießt. Di Bella hat immer wieder minderjährige Killer vor sich. Wer die Kinder aus den Familien holt, so die Rechnung, der durchbricht den ewigen Kreislauf. Di Bella ist es leid, dass erst unweigerlich die Väter verurteilt werden, dann die Kinder und schließlich die Enkelkinder. Dass der Weg der Kinder der 'Ndrangheta vorgezeichnet ist.
    Roberto Di Bella, Präsident Jugendgericht Reggio Calabria
    Roberto Di Bella, Präsident Jugendgericht Reggio Calabria (Deutschlandradio / Jan-Christoph Kitzler )
    Es ist ein Experiment: die Eltern verlieren das Sorgerecht, und ihre Kinder kommen dann zum Beispiel zu Enrico Interdonato – es ist gar nicht weit zu ihm, mit der Fähre nach Messina – aber es ist eine andere Welt:
    "Ich benutze gern dieses Bild, diesen Scherz: Die Gesetzeshüter, die Polizei unterwandern die 'Ndrangheta mit verdeckten Ermittlern. Wir machen das Gegenteil, wir schleusen die Jugendlichen inkognito in die Antimafia-Welt ein. Dadurch haben die Jugendlichen eine Chance, ohne dass jemand ihren Nachnamen kennt. So können sie frei und spontan sein."
    Die Kinder der 'Ndrangheta sollen einen fürsorglichen Staat kennenlernen, nicht einen, der nur Gewalt anwendet. Und sie sollen erfahren, dass ein anderes Leben möglich ist, auch wenn der Vater in einer Clanfehde getötet wurde, oder im Gefängnis sitzt.
    "Frei eine Entscheidung zu treffen" bedeutet: Du kannst oder besser, du musst deinen Vater lieben. Auch wenn du ihn jeden Monat im Gefängnis besuchen musst, auch wenn er getötet hat, bleibt er dein Vater. Ich weiß, dass du ihn liebst und das ist richtig so. Doch es steht nirgendwo geschrieben, dass du auch dort landen musst."
    Auch Mütter folgen dem Beispiel
    Rund 30 Kinder haben sie schon aus den Familien geholt, den Eltern die Sorge entzogen. Dagegen gibt es Widerstand, vor allem von den Vätern. Roberto Di Bella, der Jugendrichter, kann sich nur mit Eskorte bewegen. Aber inzwischen gibt es ein paar Frauen, die ihren Familien den Rücken kehren, die für ihre Kinder eine andere Zukunft wollen als Tod oder Gefängnis, sagt Mimmo Nasone aus Reggio Calabria, der für die Antimafia-Organisation Libera arbeitet:
    "In diesen Jahren ist etwas wirklich Revolutionäres passiert: Einige Mütter oder Ehefrauen dieser Mafiosi, aus Mafia-Familien, haben starke Gewissenbisse bekommen. Sie haben schon einen Preis bezahlt. Denn oft sind die Ehen in Mafia- oder 'Ndrangheta Familien hier in Reggio Calabria nicht der Liebe entsprungen. Oft sind es zwischen mafiösen Familien arrangierte Ehen, um Verbündete zu haben und die Macht zu stärken. Einige Mütter entscheiden, dass ihre Kinder nicht dieselbe Gewalt erleben sollen, die sie selbst erlebt haben."
    Es ist ein zarter Anfang. Aber vielleicht lässt sich so der Kampf gegen die 'Ndrangheta doch noch gewinnen. Irgendwann.