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Medikament gegen Flussblindheit
Ivermectin wird wegen falscher Hoffnungen knapp

Obwohl es keine Belege für seine Wirksamkeit gegen Covid-19 gibt, gilt Ivermectin vielen als Wundermittel gegen Corona. Deshalb wird das Medikament jetzt in Regionen knapp, wo es tatsächlich helfen könnte: beim Kampf gegen den Erreger der Flussblindheit.

Von Volkart Wildermuth | 19.11.2021
Fadenwürmer unter dem Mikroskop
Fadenwürmer unter dem Mikroskop (imago / blickwinkel )
Ivermectin ist ein seit Jahrzehnten zugelassenes Medikament zur Behandlung von Parasitenbefall und Wurmerkrankungen. Im Verlauf der Coronapandemie hat es eine zweifelhafte Berühmtheit erlangt. Ohne Belege dafür, dass es auch gegen SARS-CoV-2 hilft, gab es in sozialen Medien einen regelrechten Hype um den Wirkstoff. Mit der Folge, dass Ivermectin jetzt ausgerechnet dort knapp wird, wo sein Einsatz wirklich einen Unterschied macht: Bei der Behandlung der Flussblindheit.

Ivermectin hilft nicht gegen Corona - ist das inzwischen sicher?

Nach derzeitigem Stand des Wissens hilft das Wurm-Medikament nicht gegen COVID-19. In Industrieländern wird Ivermectin vor allem in der Tiermedizin verwendet. Den Hype ausgelöst hatten Zellkulturexperimente aus Australien, in denen das Medikament die Virenvermehrung dramatisch verlangsamte. In den Social-Media-Foren avancierte es dann schnell zum Wundermittel gegen Corona - angeblich unterdrückt von der Mainstream-Medizin. Verzweifelte Menschen bestellen es im Internet. Aber in viele klinischen Studien versagte Ivermectin bei der Behandlung von Corona. Eine große Studie in Brasilen zum Beispiel wurde nach der Zwischenanalyse diesen Juni abgebrochen - mangels positiver Effekte. Eine Publikation, derzufolge es tatsächlich positive Ergebnisse gegeben haben sollte, erwies sich später als Fake. Kürzlich erschien ein Cochrane-Review unter Beteiligung von Forschern aus Würzburg. Die haben 14 Studien mit rund 1.700 Patienten angesehen, aber konnten keinen Effekt belegen. Es laufen zwar noch Studien mit Ivermectin für die Corona-Behandlung. Aber niemand sollte das Wurmmittel unkontrolliert einnehmen. Wenn man es zu hoch dosiert, kann es nämlich zu Todesfällen kommen. Das ist bereits mehrfach passiert. Erwiesenermaßen hilfreich ist Ivermectin aber bei der Behandlung der Flussblindheit.
 
Flussblindheit - was ist das für eine Krankheit?

Sie zählt zu den fünf wichtigsten vernachlässigten Tropenkrankheiten. Ausgelöst wird sie durch Fadenwürmer, die von Kribelmücken übertragen werden und die leben wiederum an Flüssen, daher der Name. Über 20 Millionen Menschen sind mit diesen Fadenwürmern, den sogenannten Filarien, infiziert. Der überwiegende Teil davon lebt in Afrika. Über eine Million Menschen sind durch Filarien erblindet, also die auch Onchozerkose genannte Krankheit verursacht wirklich viel Leid.

Welche Rolle spielt Ivermectin bei der Behandlung?

Das Medikament tötet die Jugendform der Filarien ab und wird meist in Kombination mit einem zweiten Mittel gegen die ausgewachsenen Würmer verabreicht. In den 1970er-Jahren breitete sich die Flussblindheit aus. In einigen Ländern Afrikas haben die Menschen deshalb sogar die eigentlich fruchtbaren Flusstäler verlassen. Die Weltgesundheitsorganisation startete dann ein Bekämpfungsprogramm, das zunächst auf Insektizide gegen die Kribelmücken setzte. Seit 1988 wird aber Ivermectin prophylaktisch möglichst viele Menschen in den Risikogebieten gegeben. Dafür reicht tatsächlich eine Pille ein- oder zweimal im Jahr, denn der Wirkstoff tötet die jungen Filarien über Monate hinweg. Irgendwann vermehren sich aber die erwachsenen Würmer, deshalb muss die Therapie über zehn, 15 Jahre durchgehalten werden.  Das Medikament wird von Merck hergestellt und kostenfrei abgegeben, die Verteilung organisieren Organisationen wie die Christoffel Blindenmission oder The Carter Center. Die Massenanwendung behindert die Verbreitung der Filarien und hat dazu geführt, dass die Flussblindheit aus vielen Ländern verschwand. Das würdigte der Medizin-Nobelpreis 2015 für die Entdecker von Ivermectin: William Campbell und Satoshi Omura. Eigentlich hatte die WHO die Hoffnung, die Flussblindheit bis 2020 weltweit ausrotten zu können. Aber das ist leider nicht gelungen.

In welchen Regionen grassiert die Flussblindheit?

Im Jemen, in Lateinamerika und in Afrika. In Lateinamerika ist es gelungen, den Erreger in vielen Länder zurückzudrängen. Er kommt nur noch am Amazonas im Grenzgebiet zwischen Venezuela und Brasilien vor, unter den zurückgezogen lebenden Yanomami. Auch in Afrika gibt es große Erfolge. Auf der Tagung der American Society of Tropical Medicine & Hygiene wurde gestern berichtet, dass es gelungen ist, die Flussblindheit aus zwei großen Provinzen Nigerias ganz zurückzudrängen. Damit sind über fünf Millionen Menschen sicher vor dieser Form der Erblindung. Und auch in der Delta-Provinz Nigerias ist es gelungen, die Ausbreitung der Filarien erheblich einzuschränken. Das sind wirklich gute Nachrichten meinte Abel Eigege von The Carter Center in Nigeria, denn in Nigeria würde der Kampf gegen die Flussblindheit verloren oder gewonnen. Das ist zumindest ein Etappensieg und der wurden nur möglich durch Ivermectin.

Nehmen die Leute Ivermectin bereitwillig?

Tatsächlich ja. Natürlich werden sie aufgeklärt, dass die Pille der Flussblindheit vorbeugt. Aber die Krankheit ist schon seltener geworden, da ist der Druck für eine Therapie nicht so groß. Mindestens genauso wichtig ist deshalb, dass die Behandlung auch direkt gegen Wurmbefall und damit gegen Darmbeschwerden wirkt und auch gegen Läuse. Also der kurzfristige und direkt sichtbare Erfolg ermöglicht hier die langfristige Strategie der Verdrängung des Erregers. Aber dafür braucht es langen Atem. In Nigeria laufen die Programme seit 25 Jahren. Und da wird die Corona-Pandemie jetzt leider zunehmend zum Problem. In einem Bericht vom September beklagt die Weltgesundheitsorganisation WHO, dass die Versorgung mit den Medikamenten unter anderem gegen die Flussblindheit in der Pandemie stark eingeschränkt war. Vor der Pandemie wurden mehr als 153 Millionen Menschen weltweit mit Ivermectin versorgt. Diese großflächigen Behandlungsprogramme waren 2020 in mehr als der Hälfte der beteiligten Länder beeinträchtigt, so Afework Tekle von der Abteilung für vernachlässigte Tropenkrankheiten der WHO. Das ist nur ein Beispiel für die indirekten Effekte der Coronapandemie.