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IW fordert mehr Unterstützung für Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose

Die bis zu zwei Millionen schwer vermittelbaren Arbeitslosen müssten stärker von den Jobcentern unterstützt werden, sagt Holger Schäfer. Der Arbeitsmarktexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) fordert eine Aktivierung dieser Arbeitskräfte durch enge Führung.

Holger Schäfer im Gespräch mit Gerd Breker |
    Tobias Armbrüster: In Berlin stecken SPD und Union mittendrin in den Koalitionsverhandlungen, und auch wenn noch keine richtigen Pflöcke eingeschlagen sind, dann kann man doch auf so einigen Feldern sehen, wohin die Reise gehen soll in den kommenden vier Jahren. Wir haben in den letzten Tagen unter anderem erfahren, dass das Mietrecht geändert werden soll und dass die neue Koalition auch die Teilzeit, also Teilzeitstellen, weiter ausbauen will. Allerdings – auch das wird deutlich in diesen Tagen – müssen SPD und Union aufpassen, dass sie nicht zu viel Geld ausgeben. Einige Finanzpolitiker schlagen bereits Alarm, denn dies könnte tatsächlich eine sehr teuere Koalition werden.

    Wir haben es zum Schluss gehört: Diese neue Große Koalition plant eine Arbeitsmarktreform und Union und SPD wollen unter anderem die Zahl der Teilzeitstellen erhöhen. Außerdem scheint es – auch das haben wir in den vergangenen Tagen gehört – Einigkeit zu geben in Sachen Mindestlohn und auch beim Existenzgründer-Zuschuss. – Mein Kollege Gerd Breker hat über diese Arbeitsmarktpläne gestern Abend mit Holger Schäfer gesprochen. Er ist Arbeitsmarktexperte beim Institut der deutschen Wirtschaft. Und er wollte von ihm zunächst wissen, ob der Großen Koalition hier tatsächlich der große Wurf bei der Arbeitsmarktreform gelingt.

    Holger Schäfer: Nein! Ich glaube, es gelingt nicht der große Wurf, und man muss vielleicht dazu sagen: Der große Wurf wäre auch gar nicht nötig. Wir haben ja eine Arbeitsmarktsituation, die relativ gut ist. Viele Reformen, die da jetzt auch diskutiert werden, sei es der Mindestlohn, sei es das Rückkehrrecht in Vollzeit, bewirken ja das Gegenteil von dem, was wir von einem funktionierenden Arbeitsmarkt erwarten. Insofern werden da eher im Moment Maßnahmen diskutiert, die den Arbeitsmarkt zurückwerfen.

    Gerd Breker: Ein Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit und dann die Rückkehr in einen Vollzeitjob, das Ganze sinnigerweise unter der Überschrift "Familienpolitik", ist das der Einstieg in die gewünschte Flexibilität am Arbeitsmarkt?

    Schäfer: Es ist natürlich so, ein Rückkehrrecht in Vollzeitarbeit – das Recht auf Teilzeit gibt es ja schon – wäre eine Maßnahme, die den Betrieben größere Flexibilitätsanforderungen auferlegt, weil die Betriebe dann gezwungen sind, quasi für die Teilzeitphase, die ja dann befristet wäre, personellen Ersatz zu beschaffen, und das können sie ja nur tun, indem sie, weil diese Phase ja endlich ist, befristet einstellen oder Zeitarbeit nutzen. Das heißt, die Betriebe brauchen zusätzliche Flexibilitätsinstrumente, wie Befristung, wie Zeitarbeit, um diese neue gesetzliche Anforderung letztendlich auch erfüllen zu können.

    Das Fatale an der Sache ist, dass gerade diese Flexibilitätsinstrumente, die die Betriebe nutzen könnten, nämlich Zeitarbeit und Befristung, auch noch weiter reguliert werden sollen, sodass diese Kanäle auch verstopft werden.

    Breker: Das ist für größere Betriebe sicherlich ein kleineres Problem als für kleine und mittlere Betriebe.

    Schäfer: Völlig richtig. Die kleineren und mittleren Betriebe sind insbesondere davon betroffen, von dem Rückkehrrecht in Vollzeit. Größere Betriebe haben noch mehr Möglichkeiten, das Personal zu disponieren, aber bei einem kleineren Betrieb, der hat ja das Problem, wenn ein Mitarbeiter in Vollzeit zurückkehren will, dass er möglicherweise gar keinen Bedarf an zusätzlichen Arbeitsstunden hat und das auch nicht durch Umorganisation organisieren kann.

    Breker: Herr Schäfer, was sind denn aus Ihrer Sicht die wirklichen Probleme des deutschen Arbeitsmarktes?

    Schäfer: Das wesentliche Problem, was wir auf dem Arbeitsmarkt noch haben: wir haben ja wie gesagt sehr viele Fortschritte gemacht, aber was wir noch nicht besonders gut geschafft haben, ist die Integration von Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen, die auch eine große Schnittmenge haben. Da haben wir immer noch rund ein bis zwei Millionen Personen, die sehr schwer in den Arbeitsmarkt zu integrieren sind. Da müssen wir weiter dran arbeiten mit Aktivierung, das heißt auch mit ganz enger Führung und ganz engen Anforderungen seitens der Jobcenter an die Hilfebedürftigen, aber auch dann mit entsprechender Unterstützung. Das heißt, ich muss auch in der Lage sein, denen Angebote zu machen. Ich glaube, da haben wir in dieser Hinsicht noch ein bisschen Luft nach oben.

    Breker: Ist denn bislang erkennbar, dass die Bundesagentur für Arbeit dagegen die richtigen Schritte überhaupt unternimmt?

    Schäfer: Wir haben in der letzten Zeit, gerade so in den letzten sechs Monaten, durchaus einige Fortschritte zu verzeichnen gehabt. Man hat zum Beispiel einige Modellversuche unternommen, wo man die Hartz-IV-Empfänger stärker aktiviert hat, das heißt auch die Betreuung verbessert hat, mehr Fallmanager eingestellt hat, um die besser zu betreuen, und man hat festgestellt anhand auch dieser Modellversuche, dass das was gebracht hat, dass auch die Zahl der Vermittlungen in Arbeit dann besser geworden ist. Ich glaube, das ist so ein Weg, den wir weitergehen sollten.

    Breker: Wie steht es eigentlich mit den Problemen des Niedriglohnsektors? Ist erkennbar, dass die Große Koalition da Schritte unternehmen will, die sinnhaft erscheinen?

    Schäfer: Na ja, die Große Koalition unternimmt ja oder versucht ja, den Niedriglohnsektor gewissermaßen gesetzlich zu verbieten, indem sie einen Mindestlohn einführen will. Das kann man natürlich so machen. Damit wird dann auch der Niedriglohnsektor tatsächlich ausgetrocknet.

    Aber die Frage ist natürlich, was mit den Arbeitnehmern passiert, ob die dann wirklich höhere Löhne bekommen, oder ob die dann ihren Arbeitsplatz verlieren. Das ist dann praktisch einerlei, weil das Ziel, die Relation des Niedriglohnsektors, haben sie dann auf jeden Fall geschafft. Aber das heißt nicht, dass die Betroffenen dann unbedingt besser dran sind.

    Breker: Der ewige Praktikant, den es gab, wird es den weiter geben, oder wird der auch sterben?

    Schäfer: Die Generation Praktikum, muss man ja sagen, war ja ohnehin immer ein Mythos. Das war ja vor einigen Jahren ein großes Thema auch gewesen. Aber der wissenschaftlichen Betrachtung und Überprüfung hat dieses Schlagwort nie Stand gehalten. Das heißt, eine Generation Praktikum in dem Sinne, dass es viele junge Menschen gibt, die von einem Praktikum ins andere gehen, gibt es ohnehin nicht, sondern Praktika werden so eingesetzt, wie sie eingesetzt werden sollten, nämlich als Einstieg in den Beruf, als Hineinschnuppern in den Beruf und in die Arbeitswelt, und so sollten sie sie auch weiterhin behandeln.

    Breker: Die Zeitarbeit, ein weiteres Problem und zeitlich befristete Verträge. Wir hatten es eingangs schon. Das wäre eigentlich das ideale Mittel, um Teilzeitarbeit wirklich flexibel gestalten zu können. Ist da erkennbar, dass die Große Koalition kluge Vorschläge hat?

    Schäfer: Nein. Leider im Gegenteil werden im Moment sehr gefährliche Vorschläge diskutiert, zum Beispiel bei der Zeitarbeit das Thema Equal Pay vom ersten Tag an, was Zeitarbeit enorm verteuern würde und dem Instrument in bestimmten Arbeitsmarktsegmenten, insbesondere in den Segmenten, in denen Geringqualifizierte bislang eine Arbeit finden, erheblich schaden würde. Und da müssen wir leider befürchten, dass aufgrund dieser Vorschläge es Geringqualifizierte dann auch schwerer haben, in den Arbeitsmarkt integriert zu werden. Gerade das Problem, was wir am Arbeitsmarkt noch am ehesten haben, wird dadurch auch noch verschärft.

    Armbrüster: Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte beim Institut der deutschen Wirtschaft, gestern Abend im Gespräch mit meinem Kollegen Gerd Breker.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.