"Die Legende sagt, dass es auf Madagaskar so eine Kolonie gegeben haben soll, wo man nicht genau weiß, ob es die wirklich gegeben hat oder nicht. Und das ist der Reiz an der ganzen Geschichte."
Überraschung Nummer eins: echt gemütlich hier. Man will der heimeligen Spannung erst gar nicht trauen, so entspannt klingen "Ja, Panik" auf dem Titelstück ihres neuen Albums "Libertatia". Wer sich auf die nächste Packung unbequemen und noisigen Diskursrock eingestellt hatte, kann sich erst mal einen Sommercocktail mixen, sich aufs Sofa lümmeln und vom sagenhaften Libertatia träumen - einem utopischen Flecken irgendwo im Indischen Ozean, wo man ähnlich, wie die Meuterer der Bounty, ganz neu beginnen könnte. Aber genau diesen entrückten Eindruck wollen "Ja, Panik" eigentlich vermeiden, wie Schlagzeuger Sebastian Janata und Sänger Andreas Spechtl beschreiben.
Janata: "Schon sein eigenes Ding machen, aber nicht auf irgendeiner Insel oder sich eine Enklave schaffen. Das soll es ja auch wieder nicht sein."
Spechtl: "An der klassischen Utopie ist ja zu kritisieren, dass sie immer einen Raum jenseits der Welt schafft. Das ist das, was wir daran nicht interessant finden. Was wir aber interessant finden, ist, dass sie über einen gewissen Status quo hinausweist."
Überraschung Nummer zwei: So entspannt, wie Libertatia anfängt, geht es auch weiter. Mit britischem Aristokratentum à la Steely Dan oder Prefab Sprout nehmen "Ja, Panik" Kurs in bisher unbekannte Gewässer, die Gesichter müde, aber voller Zuversicht. Eine ähnliche, bloß viel heftigere Kursänderung, haben damals auch Blumfeld hingelegt, als sie ihren verrockten Pamphlete gegen Schubidu-Schlager eintauschten. Was bei Blumfeld aber immer den Beigeschmack einer kalkulierten Öffnung hin zu den Massen hatte, wirkt bei "Ja, Panik" einfach wie ein Reifeprozess. Denn den Diskurs haben sie trotz gewonnener Lässigkeit natürlich nicht abgelegt.
"Wenn man Musik einen gewissen Protestgehalt immer wieder abspricht, dann verleugnet man auch diese ganze Geschichte von Gospel, Soul und Blues, und Partisanenliedern und Arbeiterliedern – das gibt es alles und alles hat was bewirkt. Und wenn es nur dazu da war, um Trost zu spenden oder auch Ideen zu stiften. Es gibt da durchaus eine Tradition. Und da würde ich diese Stücke gerne wiedersehen."
Überraschung Nummer drei: Sie klingen nicht nur lässig, sondern teils ausgesprochen schmusig. Plüschness is the new resistance. Oder wie soll man sonst erklären, dass Andreas Spechtl das in linken Kreisen allseits bekannte und millionenfach gesprayte Akronym ACAB, was eigentlich für All Cops Are Bastards steht, umdichtet in All Cats Are Beautiful?
"Ich habe auch schon den Entwurf gehört, wir hätten den Slogan ACAB entpolitisiert. Aber das sehe ich trotzdem innerhalb von einem Zeichensystem. Das heißt noch immer All Cops Are Bastards. Das wird es immer heißen. Ich fand das interessant, das als Lovesong umzudeuten, aber eben trotzdem nicht zu entpolitisieren mit diesem uralten Slogan, der für mich so eine Zeichenkraft hat wie Peace."
Überraschung Nummer vier: Man kann jetzt sogar auf "Ja, Panik" tanzen. Problemlos. Und sich daran freuen, dass am so leeren Sternenhimmel der deutschsprachigen Popmusik ein Stern immer heller leuchtet. "Ja, Panik" haben einfach ein paar Sachen umgedeutet und verwenden andere Codes, sind nicht mehr ganz so existenzialistisch, sondern haben mehr Distanz zum Thema. Und dieser kontrastreiche Ansatz ist oft der interessantere.
"Die Themenfelder sind ja auch sehr dunkel. Es gibt ja auch viel kritische Momente. Ich finde auch, dass sich das großartig gar nicht geändert hat. Und ist eben keine Kapitulation vor dem Finanzsystem, sondern wir tanzen das jetzt in Grund und Boden. Es ist zärtlich-aggressiver, würde ich sagen."