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"Ja zum Kulturföderalismus. Nein zum Provinzialismus"

Ludwig Eckinger, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung, hat die Bundesländer zu einer "gesamtstaatlichen nationalen Bildungsstrategie" aufgerufen. Man müsse die durch die Föderalismusreform noch bestärkte Tendenz des Auseinanderdriftens von ärmeren und reicheren Bundesländer stoppen. Wichtig sei es, die die Kultusministerkonferenz zu stärken, damit sie gemeinsame nationale Bildungsstandards entwickeln könne.

Moderation: Kate Maleike | 27.12.2006
    Kate Maleike: Die Vorfälle an der Rütli-Schul in Berlin, der Amokölauf von Emsdetten, die Angst vor mehr Gewalt - viele Eltern und Schüler erleben Schul in Deutschland im Jahr fünf Nach PISA nicht nur rund um diese Ereignisse als ein schwieriges Unterfangen. Hohe Erwartungen schwingen mit und die richten sich in erster Linie an die Lehrer. Was sich aus ihrer Sicht in diesem Jahr getan hat, darüber habe ich vor der Sendung mit Dr. Ludwig Eckinger gesprochen. Er ist Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung, VBE, und ihn hat folgendes am meisten bewegt in diesem Jahr.

    Ludwig Eckinger: Also da gibt es einige Ereignisse. Als allererstes muss ich etwas Negatives nennen, nämlich die Föderalismusreform, die Mitte des Jahres beschlossen wurde nach langem Kampf, und wir sehen darin nicht nur eine Verschärfung der sozialen Disparität, sondern auch die Gefahr, dass es mit dem Auseinanderdriften der Länder "von arm und reich" noch weitergeht. Das ist eine absolut negative Tendenz, die hier eingeleitet wurde, und da müssen wir alles tun, um sie zu stoppen. Aber es gibt natürlich auch eine ganze Reihe von positiven Aspekten jetzt auch im Rückblick, die man nicht abhaken kann, die aber gewisse Hoffnungen wecken könnten für das Jahr 2007.

    Maleike: Sie haben die Föderalismusreform schon angesprochen. Sachsen-Anhalts Finanzminister Bullerjahn hat jetzt in diesem Tagen gefordert, dass die Bildung in Deutschland zentral geregelt werden müsse, also Kommando zurück offenbar. Ein Argument von ihm war, die Kleinstaaterei in der Bildungsregion auch im Hinblick auf Europa sei Unsinn, und außerdem sagte er, dass man langfristig mit besseren Bildungsstandards auch Sozialkosten an anderer Stelle sparen könnte. Glauben Sie, dass irgendwann sich das auch bei den Politikern, die dafür verantwortlich sind, dass es da Einsicht geben wird?

    Eckinger: Also ich denke, dass das jetzt mehrere Jahre nicht mehr zurückzuschrauben ist, und deshalb bin ich pragmatisch und sage, dass wir ein klares Ja zum Kulturföderalismus abgeben. Das bedeutet aber auch ein klares Nein zum Provinzialismus, und gerade der Bildungsbereich bedarf des kooperativen Föderalismus, und das wird sehr spannend, ob das gelingen kann. Jetzt zurück zum Zentralismus, den wir vorher auch nicht hatten, das halte ich vielleicht auch nicht für die Lösung. Aber alle Länder müssen sich zu einer gesamtstaatlichen nationalen Bildungsstrategie aufraffen, und da sind wir weit davon entfernt.

    Maleike: Jetzt spricht, und das haben Sie gerade mit Ihrem letzten Satz angedeutet, die Praxis eine ganz andere Sprache. Ich nehme jetzt mal den Fall Rütli-Hauptschule im Frühjahr. Danach ist eine Riesendiskussion wieder entbrannt um die generelle Existenz der Hauptschule und damit auch über die Schulstruktur in Deutschland, und die Folge ist ein heilloses Durcheinander. Wir haben in verschiedenen Bundesländern die verschiedenen Schulreformen. Kann so Schule denn besser werden in Deutschland?

    Eckinger: Also auch das ist eine hoch berechtigte Frage, wobei ich persönlich nie die Struktur selbst in den Vordergrund gerückt habe. Sie spielt aber natürlich eine Rolle, denn wenn bei uns das Schulsystem eine Rutschbahn ist nach unten sozusagen, wenn also Schülerinnen und Schüler, die für eine bestimmte Schulart als nicht geeignet eingestuft werden, weitergereicht werden können, dann haben wir das Problem der Bildungsungerechtigkeit. Und ich neige zur Zeit wirklich dazu, dass man sagen kann, ohne zu übertreiben: Arm, bettelarm, bildungsarm. Und deshalb müssen wir da sehr aufpassen und müssen nach dieser Föderalismusreform erreichen, dass die Kultusministerkonferenz, weil es schon keinen Deutschen Bildungsrat mehr gibt, dass die Kultusministerkonferenz wirklich gestärkt wird und dafür sorgt, dass wir gemeinsame nationale Bildungsstandards bekommen, und zwar vom Kindergarten über die Grundschule, über die Sekundarschulen bis hin dann zur Hochschulreife, und auch natürlich an den Hochschulen selbst, und da wären wir ganz schnell bei der Lehrerausbildung, einem ganz großen Desiderat in Deutschland.

    Maleike: Ja, wie sieht die für Sie aus?

    Eckinger: Ich denke, dass an den Universitäten, an der sie zurecht, außer in Baden-Württemberg, da ist sie noch fälschlicherweise an den pädagogischen Hochschulen, aber in allen anderen Bundesländern findet Lehrerausbildung an den Universitäten statt, dass sie leider immer noch fünftes Rad am Wagen ist. Das heißt also, dass wir keine Wissenschaft von der Lehrerbildung haben, dass die Studierenden keine Heimat vorfinden, dass sie weitergereicht werden innerhalb der Universität, dass es keine Fakultät gibt, wo man sagen kann, das ist die Fakultät analog zu Medizinern oder Juristen, wo die Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet werden. Das ist nämlich dringend erforderlich, dass wir ein gemeinsames Berufsverständnis aller Lehrerinnen und Lehrer bekommen ohne Gleichmacherei, denn die Aufgabe in der Grundschule ist selbstverständlich eine ganz andere als in der Kollegstufe zum Beispiel, wenn es die gibt, aber sie ist mindestens gleichwertig. Das heißt, wir müssen das Fundament stärken, und es beginnt eigentlich, was Bildung angeht, im Kindergarten und geht über die Grundschule, und dieses Fundament muss gestärkt werden. Wir müssen in die Offensive kommen für die Bildung.

    Maleike: Ende Juli 2007 wird Berlin Gastgeber des Weltlehrergipfels sein. Über 1500 Delegiert aus aller Welt werden über Entwicklungen und Probleme im Bildungsbereich diskutieren. Welche Impulse erhoffen Sie sich von diesem Gipfel für deutsche Lehrer?

    Eckinger: Also zunächst einmal habe ich dafür gesorgt, dass der Bundespräsident dort gleich zu Beginn am 22. Juli eine Eröffnungsrede halten wird. Nachdem er am 21.9. in seiner große Rede "Bildung für alle" uns auch schon sehr ermutigt hat, ist das ein glänzender Einstieg.

    Maleike: Jetzt auch wieder in seiner Weihnachtsansprache.

    Eckinger: Genau, absolut, und wir als VBE sehen das auch in gewisser Weise als kleine Weltmeisterschaft, nach der Fußballweltmeisterschaft, der Lehrerinnen und Lehrer. Wenn Sie sich vorstellen, dass 20 Millionen Lehrerinnen und Lehrer in 338 Mitgliedsorganisationen aus 161 Länder durch 1500 Delegierte eine Woche lang in Berlin tagen werden zum Thema "Pädagogen gemeinsam für eine Bildung von hoher Qualität und sozialer Gerechtigkeit", dann ist es auch eine ganz große Chance für unsere Profession, die in Deutschland anders dargestellt werden muss selbstverständlich als in Entwicklungsländern, aber in allen Ländern der Welt gewisse Probleme aufweist, weil man meint, dass diese Profession vielleicht keine eigene Spezifität hat, und das zu zeigen, dass wir im allerbesten Sinne dazu beitragen wollen, dass Bildung im Interesse aller liegen muss, diese Chance sehe ich bei diesem Weltlehrergipfel tatsächlich.

    Maleike: Also Sie hoffen auf ein nächstes Sommermärchen. Was ist sonst Ihr größter Wunsch für das nächste Jahr?

    Eckinger: Also ein ganz großer Wunsch ist ganz sicherlich, dass wir endlich in der Lehrerausbildung endlich dahin kommen, dass ein zeitgemäß beschriebenes Lehrerbild, das wir voriges Jahr ja durch unsere gemeinsame Unterzeichnung von allen Lehrerorganisationen und der Kultusministerkonferenz unter dem Titel "Fördern und Fordern" hinbekommen haben, dass dieses Lehrerbild, dieses zeitgemäß gezeichnete Lehrerbild in eine moderne Lehrerbildung umgesetzt wird, in der die Bildungswissenschaften in die eigentlichen Berufswissenschaften, sprich die Pädagogik, Schulpädagogik, Psychologie, Methodik und Didaktik einen ganz hohen Stellenwert bekommen, dass wir diese Lehrerbildung also, in der natürlich auch die designierten Unterrichtsfächer ihre Bedeutung behalten müssen, je nach Schulart und Schulstufe spezifisch wiederum, dass wir über dieses Lehrerbild eine moderne Lehrerbildung bekommen und dann einen Lehrerstatus, der auch soziologisch besehen eine Position einnimmt, wie es diesem wichtigen Beruf gebührt.