Julian Assange steht nachdenklich unter einem kahlen Baum, Glenn Greenwald wird liebevoll von seinem Freund umarmt, Laura Poitras räkelt sich auf einem Sofa. Jacob Appelbaum hat Freunde und Weggefährten fotografiert - in privaten, fast intimen Situationen. Ungewöhnlich ist nur, dass die Fotos sehr rotstichig sind:
"Das ist Filmmaterial, das früher bei der Luftüberwachung eingesetzt wurde. In der Landwirtschaft machten Infrarotaufnahmen Insektenschwärme sichtbar, beim Militär ging es ums Aufspüren getarnter Objekte. Dieser Film zeigt uns Dinge, die wir normalerweise nicht sehen."
Mit diesem Hintergrundwissen wirken die Fotos in der Ausstellung beunruhigend. Privates wird mithilfe von Überwachungstechnik ausgespäht – das ist Jacob Appelbaums großes Thema. Er hält regelmäßig Vorträge, bei denen er illegale Geheimdienstpraktiken anprangert und Wege aufzeigt, wie man sich der Überwachung entziehen kann. Auf der Basis seiner Ideen wurde der Tor-Browser entwickelt, mit dessen Hilfe man sich anonym im Internet bewegen kann. Mit Kunst hatte er bisher eher selten zu tun, doch das wird sich ändern.
"Ich glaube, es ist sehr wichtig, die Diskussion in den Bereich der Kunst zu verlagern. Einer der Gründe ist, dass es permanent Versuche gibt, die Presse mundtot zu machen. Im Augenblick ist es nicht so schlimm, wie während der Snowden-Affäre, aber es ist nicht leicht, das Thema auf der Tagesordnung zu halten. Julian Assange von WikiLeaks sitzt immer noch in der ecuadorianischen Botschaft in London fest. Er ist dort schon drei Jahre. Sarah Harrison, die Edward Snowden bei seinem Flug nach Moskau begleitet hat, lebt in Berlin im Exil – genau wie ich. Das ist kein Thema, das vorbei ist."
Im Exil in Berlin
Nachdem Jacob Appelbaum in den USA mehrfach verhört wurde, wagt er es nicht mehr, in seine Heimat zurückzureisen. Er hat in Deutschland eine Aufenthaltsgenehmigung beantragt. Er ist 32 Jahre alt und stammt aus Kalifornien. Seine ersten Computerprogramme schrieb er schon als Teenager. Bekannt wurde er, als es ihm im Jahr 2008 gelang, kryptographische Schlüssel nach dem Abschalten eines Rechners aus dem Arbeitsspeicher auszulesen.
"Ich habe ganz naiv gedacht: Wenn wir das aufdecken, dann wird das Problem gelöst. Aber ich habe nur die Geheimdienste darauf aufmerksam gemacht. Das war für mich eine wichtige Lektion. Ich habe gelernt, dass Forschungsergebnisse nicht immer so angewendet werden, wie man sich das als Forscher wünscht."
Die amerikanischen Geheimdienste waren Jacob Appelbaum schon damals unheimlich. Sein Vater war drogenabhängig und wurde von der Polizei überwacht. Das Vorgehen der Behörden erschien dem jungen Jacob unangemessen hart. Ob auch Antisemitismus im Spiel war? Sein Vater jedenfalls war Jude und beschwor seinen Sohn immer wieder, an den Holocaust zu denken.
"Er hat gesagt, wenn der nächste Holocaust geschieht, wird es deine Schuld sein, wenn du ihn nicht aufhältst. Er hat seine jüdische Schuld bei mir abgeladen. Und das hat funktioniert, in dem Sinn, dass ich nicht einfach hingehe und bei Facebook arbeite."
Aufforderung zum Whistleblowing
Jacob Appelbaum hielt Vorträge, in denen er zum Whistleblowing aufforderte, also zum Bekanntmachen geheimer Dokumente. Er unterstützte die Enthüllungsplattform WikiLeaks und half Edward Snowden. So geriet er ins Visier der US-Behörden. Seit drei Jahren lebt er in Deutschland.
"Ich bin sehr glücklich, dass ich hier sein kann –, vor allem weil ich das Gefühl habe, dass die deutsche Bevölkerung sich die massenhafte Überwachung nicht gefallen lassen will. Es gibt einen NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag. Das wäre in den USA undenkbar. Natürlich erfährt die Öffentlichkeit nur einen Bruchteil von dem, was dort besprochen wird. Aber es ist ein Anfang."
Jacob Appelbaum ist Optimist. Schritt für Schritt, sagt er, wird sich die Gesellschaft verändern. Dafür will er kämpfen – mit Vorträgen, Zeitungsartikeln und nun auch mit der Ausstellung. Als Künstler hat Appelbaum zwar noch nicht allzu viel zu bieten – zu sehen sind nur sechs Porträtfotos und ein mit geschredderten Geheimdokumenten ausgestopfter Pandabär – aber die Botschaft ist klar: Überwachung gefährdet Freiheit. Und dieses Thema ist immer noch hochbrisant.