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Jacques Thibaud Streichtrio spielt Beethoven
Gipfelpunkt der Kammermusik

Es gibt nicht mehr als eine Handvoll professioneller Streichtrios und das Repertoire ist begrenzt. Dafür ist nicht zuletzt Ludwig van Beethoven verantwortlich, der diese Gattung erst zu höchster Blüte führte und dann schmählich im Stich ließ. Das Jacques Thibaud Trio hat jetzt eine Gesamtaufnahme der Beethovenschen Streichtrios vorgelegt.

Von Mascha Drost | 25.10.2015
    Ludwig van Beethoven wurde am 17.12.1770 in Bonn geboren.
    Ludwig van Beethoven (picture-alliance / dpa)
    Energiegeladen, wuchtig, vorwärtsdrängend - wer würde hier eine zweite Geige vermissen! Mit dem c-Moll Streichtrio aus seinem op. 9 hat Beethoven einen ersten Gipfelpunkt der Kammermusik erreicht, und es gibt Musikwissenschaftler, die dieses Opus sogar über die ersten Streichquartette stellen. Ohne die Lagen der einzelnen Instrumente zu verzerren, schafft Beethoven hier einen Klang von höchster Dichte, Geige, Bratsche und Cello sind harmonisch und melodisch so geschickt und einfallsreich miteinander verwoben, dass die Illusion eines vierstimmigen Satzes gar nicht mehr nötig ist.
    Auch wenn dieses Trio mehr ist als nur eine Vorstufe zum Streichquartett, so ist es doch ein wichtiger Entwicklungsschritt dorthin - der kammermusikalischen Königsklasse nähert sich Beethoven erst nach und nach und auf unterschiedlichen Wegen - Cello-Sonaten, Violinsonaten, Streichquintett - und eben fünf Streichtrios, in denen der Klaviervirtuose sich nicht zuletzt mit den spieltechnischen Möglichkeiten vertraut macht. Beethoven hatte zwar in seiner Kindheit Geige gespielt und als Bratscher sogar in der Bonner Hofkapelle mitwirkt - bequem liegen diese ersten Streicherkompositionen weder in den Fingern noch im Bogen. Sie sind empfindlich, und wer links Probleme mit der Geläufigkeit hat und rechts kein Freund schneller Saitenübergänge ist, sollte besser die Finger davon lassen.
    Mit jedem Werk, mit jedem Satz lernt Beethoven dazu
    Anhand der vorliegenden Aufnahme aller Beethoven Streichtrios mit dem Jacques Thibaud Trio lassen sich kompositorische Entwicklung und Reifung wunderbar nachvollziehen.
    Mit jedem Werk, mit jedem Satz lernt Beethoven dazu, wird mutiger im Umgang mit Stimmführung und Instrumenten und lässt auch seinen berüchtigten Humor nicht nur durchblitzen, sondern rabiat hereinpoltern - ausgerechnet dort, wo man ihn am wenigsten erwartet, einem weihevollen Adagiosatz.
    Richtig ernst nehmen kann man dieses getragene Adagio nicht mehr, nachdem ein koboldhaftes Scherzo so unvermittelt hineingeplatzt ist. Das Jacques Thibaud Streichtrio verwandelt diesen Satz in eine Musiktheater-Groteske en miniature - ein Trauerspiel, das immer wieder von Komödianten gestört wird, mit dem Cello als Knallcharge. So lebendig, witzig und fantasievoll sich Beethovens op. 8 hier präsentiert, kann man sich kaum erklären, warum es dieses Werk bis heute nicht aus seiner Nische herausgeschafft hat; gleiches gilt für alle anderen auf dieser Einspielung versammelten Werke. Der Geiger Burkhard Maiß, die Bratscherin Hannah Strijbos und Bogdan Jianu am Cello erweisen sich als ideale Interpreten: Neugierig und immer auf der Suche nach dem Besonderen, sei es eine unerwartete Klangfarbe, Stimmung oder harmonisch-melodische Extravaganzen, die sich Beethoven leistet - das Trio macht den Hörer darauf aufmerksam, ohne jede Gelehrsamkeit, aber mit umso mehr Vergnügen und Spielfreude.
    Ihre Außenseiterrolle werden die Streichtrios nicht loswerden
    Das Jacques Thibaud Streichtrio, gegründet in den 90er Jahren in Berlin, ist eines der wenigen Ensembles, die fest in dieser Besetzung auftreten. Das langjährige Zusammenspiel und die damit verbundene Vertrautheit des Repertoires erlaubt es dem Ensemble, risikoreicher vorzugehen als zusammengewürfelte "Eintags-Streichtrios". Die Virtuosität der Musiker zeigt sich nicht nur in den sportlich-rasanten Tempi, sondern auch in der Mühelosigkeit und Eleganz, mit der sie untereinander agieren. Ihre Außenseiterrolle werden die Streichtrios auch nach dieser Aufnahme nicht loswerden, die Konkurrenz der 16 Streichquartette war, ist und wird übermächtig bleiben. Der Schlussstrich, den Beethoven so früh unter diese Gattung gezogen hat, wirkte sich auch auf die folgenden Generationen aus - erst in der Spätromantik und darüber hinaus erfährt diese Besetzung wieder die Zuneigung der Komponisten. Was seine letzten drei Streichtrios betrifft, so hat Beethoven sie in einem Brief nicht umsonst als "la meilleure" , also das Beste seines bisherigen Oeuvres bezeichnet - hier finden Esprit und Erfindungsgeist zusammen, und im Keim ist schon jene radikale und verstörende Unbeugsamkeit angelegt, die sich in den späteren Kammermusiken Bahn brechen wird.
    So endet der 1. Satz aus Ludwig van Beethovens Streichtrio op. 9 Nr. 3 in der neuen Aufnahme mit dem Jacques Thibaud Trio, ihre Gesamtaufnahme der Streichtrios ist kürzlich beim Label audite erschienen.