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Jagd auf den rauchenden Colt

Physik. - Früher wurden in Semipalatinsk echte Nuklearwaffen gezündet. Heute indes nutzen internationale Experten das Testgelände für eine Ernstfallübung: UNO-Inspektoren schulen hier ihre Fähigkeiten bei der Suche nach einem gestellten Kernwaffentest. Der Geophysiker Manfred Joswig von der Universität Stuttgart schildert die Übung im Gespräch mit Ralf Krauter.

    Ralf Krauter: CTBTO, das ist die UNO Unterorganisation in Wien, deren Job es ist, nuklearen Hasardeuren auf die Finger zu klopfen. Mit einem weltumspannenden Sensornetzwerk registrieren ihre Experten Explosionen rund um den Globus. Sollten sie den Verdacht haben, dass irgendwo heimlich eine Atombombe getestet wurde, schicken sie ein Team von Inspektoren in die verdächtige Region, die versuchen, den rauchenden Colt zu finden, damit der Übeltäter dann international an den Pranger gestellt werden kann. Natürlich will dieser Ernstfall geprobt sein und genau das passiert seit Montag in Kasachstan. 200 Experten und 50 Tonnen Ausrüstung wurden dorthin geflogen, um die Nachweistechnik einen Monat lang zu testen. Wie genau die Übung in Semipalatinsk ablaufen soll, schildert der Geophysiker Professor Manfred Joswig von der Universität Stuttgart.

    Manfred Joswig: Das Interessante ist, dass die UN dort zum ersten Mal einen wirklichen Ernstfall simulieren möchte, das heißt, es wird in einem feindlichen Umgebungsfeld versucht werden, die Effekte einer unterirdischen Nuklearexplosion zu finden und das internationale Inspektorenteam, das jetzt aufgebrochen ist und in das Land geflogen ist, weiß nicht, was es erwartet.

    Ralf Krauter: Die Inspekteure wissen, auf einer Fläche von 1000 Quadratkilometer eingegrenzt, wo die Explosion stattgefunden haben soll. Das ist ein Riesenterrain, doppelt so groß wie der Bodensee, wie geht man davor, um den rauchenden Colt zu finden?

    Joswig: Also diese 1000 Quadratkilometer ergeben sich auf der einen Seite technisch, weil sie das Ergebnis eines weltweiten Überwachungsnetzes sind, wo die nächste Station tausende Kilometer entfernt sein kann. Zum zweiten ist im politischen Vertragstext auch drin, dass diese Suchfläche, die ja die territoriale Hoheit des untersuchten Staates einschränkt, auf 1000 Quadratkilometer beschränkt sein muss. Das ist, Sie sagten es, zweimal die Fläche des Bodensees. Was gesucht wird, sind die Auswirkungen einer 110 Meter unter dem Erdboden durchgeführten Explosion, die an der Oberfläche marginale, wenn überhaupt irgendwelche Auswirkungen zeigt. Das Suchszenario geschieht mehrstufig: zunächst natürlich ganz offensichtlich wird man einen Überflug machen, man wird versuchen, auch Satellitenaufnahmen hinzuzuziehen, man wird mit Jeeps durch die Landschaft fahren. Erfahrungsgemäß wird das aber nicht reichen. Der nächste Punkt, die nahe liegende Idee wäre, Radioaktivität zu messen. Auch dort ist fraglich, wie viel Radioaktivität wirklich schon zur Erdoberfläche freigelassen wurde, wenn die Explosion richtig verdämmt ist. Die Erfolg versprechende Technik in der ersten Phase ist die Seismologie: man sucht nach kleinsten Erdbeben, die als Nachbeben nach diesen riesigen Explosionsimpuls, der das ganze Gesteinsgefüge um die Bombe herum durcheinander gebracht hat, auftreten.

    Krauter: Lassen Sie uns, bevor wir auf diese Seismologie zu sprechen kommen, kurz nachhaken. Die radioaktive Strahlung, wie wird die überhaupt simuliert? Also eine unterirdische Sprengung, das kriegt man auch ohne Atombombe hin, aber die Radionuklide, wie setzt man die frei?

    Joswig: Nach unserem Kenntnisstand werden dort keine Radionuklide tatsächlich freigesetzt, es wird simuliert, indem das Einsammeln und Analysieren von Bodenproben auf dem Pflichtprogramm stehen und wie so etwas passiert. Man muss sich ja auch überlegen, dass also in den realen Bedingungen die Arbeit der Teams vor Ort noch mal ungleich schwieriger ist als jetzt, weil ja auch in der Sorge um Leib und Leben permanent radioaktive Kontrollen auch am Inspektoren-Team vorgenommen werden müssen.

    Krauter: Sie haben es schon gesagt, die seismischen Sensoren spielen eine Schlüsselrolle beim Lokalisieren des mutmaßlichen Explosionsortes. Was genau erhoffen Sie sich von den Experimenten jetzt?

    Joswig: Die Herausforderung an die Seismologie ist enorm. Stellen Sie sich vor, die Energie, die diese Kleinstbeben freisetzen, haben die Magnitude minus zwei auf der Richterskala. Das entspricht etwa der Energie, wenn sie einen Kasten Bier aus dem ersten Stock aus dem Fenster werfen und der auf dem Boden aufprallt. Das müssen Sie auf einer Fläche von 1000 Quadratkilometer messen. Sie haben mit den höchst empfindlichen Sensoren und Auswertungsprogrammen, die wir an meinem Institut entwickelt haben, eine Möglichkeit, etwa drei bis vier Kilometer weit solch ein Magnitude minus Zwei-Ereignis zu messen, das heißt, es werden circa 30 solcher hoch empfindlichen Kleinarrays ausgebracht. Das ist für uns die größte Anzahl solcher Messstationen, die wir jemals in einer Feldkampagne zu betreuen und auszuwerten hatten.

    Krauter: Und diese Sensoren würden dann idealerweise über eine Peilung den Inspektoren sagen, wo sie genau suchen müssen?

    Joswig: Richtig, es kommen verschiedene Auswertungsprogramme zum Einsatz. Das Wesentliche ist eine Richtungspeilung, wenn Sie das aus zwei verschiedenen Stationen machen, haben sie praktisch eine Kreuzpeilung, wo Sie bestimmen können, wo das herkommt. Wir partizipieren selber insofern, weil ein Mitarbeiter meines Instituts Teil dieses internationalen Inspektorenteams ist. Er ist also letzten Freitag nach Kasachstan abgeflogen. Wir wenden ja diese Techniken auch an, um andere sehr kleine Phänomene wie Einbrüche unterirdischer Hohlräume bei Salzbergwerken oder Risse bei abgehenden Hangrutschungen in den Alpen zu messen. Und wie gesagt, die Skala der Messinstrumente, die Großskaligkeit des Problems, das ist jetzt einzigartig für uns und das hat natürlich auch für die Softwareentwicklung eine sehr große Herausforderung dargestellt.

    Krauter: Das heißt, Sie werden die Sache mit Interesse verfolgen und wahrscheinlich jeden Abend per Handy auf den neuesten Stand gebracht?

    Joswig: Von Kasachstan aus ist das nicht ganz so leicht, selbst E-Mail funktioniert nicht. Wir haben unsere Kanäle natürlich über das auswärtige Amt, da die Bundesregierung die Bemühungen um Rüstungskontrolle mit sehr großem Nachdruck unterstützt und international einer der profiliertesten Vertreter und Unterstützer dieses Test-Stopp-Abkommens ist und wir daher also auch den logistischen Support der Bundeswehr, des THW und der Dienststellen des Auswärtigen Amtes haben.