Stadthalle Werl, gestern Abend. Es ist kurz nach sieben Uhr, als sich der Saal erhebt. Eine Hand wird in die Hüfte gestemmt, die andere führt das Jagdhorn zum Mund.
Drei Stücke werden gespielt: "Die Begrüßung", "Das Ganze" und – passenderweise – "Das Sammeln der Jäger". Und versammelt sind sie, wie Ralph Müller-Schallenberg feststellt:
"Hier in der Halle befinden sich über 1.000 Personen, in den Nachbarzelten noch mal 1.500, weit über 1.500 Personen und in den Vorräumen auch noch mal Personen. Ich glaube, wir haben heute eine Beteiligung von 3.000 Personen, das ist eine gewaltige Beteiligung."
Der Präsident des Landesjagdverbands Nordrhein-Westfalen steht auf der Bühne. Hier findet die nun vierte von insgesamt fünf Regionalkonferenzen statt, seitdem der grüne Umweltschutzminister Johannes Remmel Mitte September seinen Referentenentwurf für ein zukünftiges Landesjagdgesetz vorgestellt. Im Frühjahr 2015, so der Plan, soll es ein neues Jagdgesetz geben, denn große Teile des jetzigen Jagdrechtes stammen aus den 30er-Jahren. Das Gesetz, so Remmel wörtlich, habe das Ziel "die gesellschaftliche Akzeptanz der Jagd zu stärken".
Für die Jäger ist es dagegen eine Kriegserklärung: In sogenannten Regionalkonferenz versuchen sie, ihrem Protest Gehör zu verschaffen – und dies scheint zu gelingen: Nach 1.300 Besuchern in Köln, über 2.500 in Münster und ebenfalls über 2.500 in Wesel, ist die Veranstaltung in Werl die bislang größte. Ein Termin in Bielefeld folgt noch.
"Andrang wie bei einem Rockkonzert"
Einen "Andrang wie bei einem Rockkonzert" stellte "Rheinische Post" fest – und in der Tat, auch in Werl wird es laut:
In der Halle sind fast ausschließlich Männer. Überwiegend alte, aber zwischendurch mischt sich auch das eine oder andere junge Gesicht. Trachtenjanker, Fleecejacken, festes Schuhwerk. Die Farbe dunkelgrün dominiert. Doch mit Grün wollen die Jäger momentan nichts zu tun haben. Das zeigt sich vor allem, als die beiden grünen Landtagsabgeordneten auf die Bühne kommen:
Norwich Rüße, selbst Landwirt und Landtagsabgeordneter der Grünen sowie seine Kollegin Manuela Grochowiak-Schmieding stehen für das Feindbild im Saal. Immer wieder werden sie ausgebuht, ihre Redebeiträge durch Zwischenrufe unterbrochen.
Es ist ein hochemotionaler Abend. Redeanteil und Applaus hält sich die Grenze, neben populistischen Forderungen gibt es auch vernünftige Argumente. Eine zweistellige Zahl an Mandatsträgern ist gekommen, von Bundes-, vor allem aber Landesebene. 13 Abgeordnete aller im Landtag vertretenen Couleur stehen schließlich auf der Bühne, sollen Stellung nehmen zu den insgesamt 15 Kritikpunkten des Landesjagdverbandes NRW. Diese stören sich beispielsweise daran, dass die Anzahl der bejagbaren Arten reduziert werden soll, verschiedene Jagdformen wie beispielsweise die Lockjagd eingeschränkt oder die Schutzflächen ausgedehnt werden sollen. NRW-Landesjagdverband-Präsident Müller-Schallenberg:
"Nun, der Minister hat natürlich eine Jägerklientel zu bedienen. Diese Wählerklientel besteht zu großen Teilen aus Vertretern BUND, NABU und Tierschutz, vertritt auch die Grüne-Politik. Wir sind ja grundsätzlich selbst grün, nämlich grün als grüne Jäger und Personen, die im Wald die Jagd ausüben, aber wir sind nicht konform mit der grünen Politik. Die im Grunde genommen aus unserer Sicht Gängelung, Bevormundung und eine Aufzählung von unzähligen Verboten ist, die wir in keinem Fall akzeptieren können."
Sein Vorwurf: Dies seien Gesetze aus der Stadt, die die Realität im ländlichen Raum kaum noch oder gar nicht mehr kennt. Ein Punkt, den seine Mitglieder in Werl teilen:
"Wenn man in einem kleineren Dorf lebt, dann merkt man das schon, dass man mehr mit Land, mit den Leuten, mit den Vereinen lebt und dass auch Jagd dazugehört."
Sie fürchten den Einfluss aus der Stadt: "Weil die Verbände, die gegen die Jagd sind so stark sind. Und sich dermaßen dafür einsetzen – ohne auch richtiges Wissen von der gesamten Sache, von der Natur und so weiter zu haben. Die wollen nur, dass, sagen wir mal, keine Katzen geschossen werden, aber was die Katze anrichtet draußen, im Forst, unter Vögeln, Nestern, Jung-, Kleintieren und so weiter. Das sehen die gar nicht, wollen die auch gar nicht sehen."
Eine Katze reißt circa 100 Vögel im Jahr
Die Katzen-Diskussion ist vielleicht der momentan prominenteste Punkt. Aktuell dürfen Jäger streuende, wildernde Katzen, die fernab töten, um vor allem Kleintiere zu schützen. 7.595 Katzen in Nordrhein-Westfalen waren dies im vergangenen Jahr. Für Katzenbesitzer aus der Stadt ein unverständliche Situation. Aber: 1.000 Vögel reiße eine solche Katze im Jahr, so Müller-Schallenberg, und noch gebe es keine Alternative, eine Vermehrung des Katzenbestandes anderweitig einzudämmen, durch Kastrationsvorschriften beispielsweise. Das Katzen-Thema selbst – obwohl Punkt 5 auf seiner Liste – nervt ihn mittlerweile. Vor allem gegen die Wiedereinführung der Jagdsteuer und den Verdacht, den Jägern den Zugriff auf Flächen immer mehr zu entziehen, mobilisiert er seine rund 80.000 Jäger in NRW. Für nordrhein-westfälische Landesregierung, ohnehin von Protesten in letzter Zeit, wie beispielsweise durch die Beamten, gebeutelt, ist das nicht einfach. Marc Herter, parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion:
"Das ist keine einfache Debatte für die Regierungskoalition. Sind viele Argumente im Raum, die man abwägen kann, abwägen muss. Wir befinden uns im Stadium, dass momentan die Verbändeanhörung stattfinden muss. Das ist eine ganz eigene Form der Verbändeanhörung. Und wir stellen uns gerne diesen Debatten, weil oberstes Gebot für die Regierungskoalition ist, Betroffene zu Beteiligten zu machen."
Im Dezember soll das Gesetz zur Beratung ins Parlament gehen, im Frühjahr soll es verabschiedet werden. Von dem Vorwurf, die Landesregierung habe das Thema unterschätzt, will Herter allerdings nichts wissen. Und egal ob Stadt oder Land: Die Jagd sei nur dann zukunftsfähig, wenn sie weiterhin auf gesellschaftliche Mehrheiten setzen kann. Dies werde von den Jagdverbänden mitunter unterschätzt. Sicherlich sei der jetzige Entwurf nicht der Stein der Weisen, " aber ich will zumindest das Bemühen deutlich hier artikulieren, dass man eine Abwägung getroffen hat und ehrlich gesagt: Diskussion, die ich mit dem BUND darüber führe, sind natürlich – genau in die andere Richtung – aber nicht weniger emotional."
Dennoch: Die Jäger wollen allerding erst einmal auf ihrem Kurs weitermachen: Bielefeld ist die letzte Station der Regionalkonferenz, am kommenden Dienstag gibt es zudem einen sogenannten Abendansitz in der Arena "Auf Schalke". Neben dem Aufsichtsratsvorsitzenden des FC Schalke 04, Clemens Tönnies, wird dort der ehemalige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Peter Harry Carstensen sprechen. Überschrift seines Vortrags: "Ist die Jagd zum Abschuss freigegeben?" Nach Deeskalation klingt dies zumindest nicht.