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Jahresbericht des internationalen Rates zur Erforschung der Meere

Vor gut anderthalb Jahren, im Februar 2004, haben mehr als 1000 Wissenschaftler aus rund 70 Ländern einen gemeinsamen Aufruf unterschrieben und sich damit an die Vereinten Nationen gewandt. Sie forderten ein Sofortverbot für die Tiefseefischerei. Hierbei werden schwere Schleppnetze über den Grund gezogen und hinterlassen auf dem Meeresboden eine Schneise der Verwüstung. Das sei eine Bedrohung der bisher wenig erforschten Lebensräume der Tiefsee, so die Wissenschaftler, eine großflächige, nicht mehr gut zu machende Zerstörung eines sensiblen Lebensraumes. Welche Folgen aber hat die Tiefseefischerei auf die Fischwelt? Dazu erschien heute Vormittag eine neue Studie des internationalen Rates zur Erforschung der Meere, abgekürzt ICES - mit Sitz in Kopenhagen.

Von Volker Mrasek | 21.10.2005
    Die meisten haben Namen, an die sich deutsche Verbraucher erst noch gewöhnen müssen: Atlantischer Sägebauch zum Beispiel. Oder Stupsnäsiger Gredanier. Auch Blauen Leng gibt es. Das alles sind Tiefseefische im Nordatlantik. Sie leben dort, wo kein Lichtstrahl mehr hinfällt: Viele hundert Meter unter der Meeresoberfläche.

    Dennoch stellen ihnen die Fangflotten mit riesigen Netzen nach. Immer öfter landen die Exoten auf unseren Tellern. Doch jetzt fordern Fischereiforscher, die Tiefsee-Jagd rigoros einzuschränken:

    " Die Art und Weise, wie die Tiefsee-Fischerei praktiziert wird, kann man nicht als nachhaltig bezeichnen. Da wird kein Überschuss abgeerntet, sondern da geht es wirklich an die Substanz der Bestände. Das werden sie nicht lange verkraften. "

    Der Däne Poul Degnbol zählt zu den Autoren des neuen Expertenberichtes. Zugleich ist der Ökologe so etwas wie der Chefberater für Fischerei-Management beim ICES, dem Meeresforschungsrat der Nordatlantik-Anrainerstaaten:

    " Wenn wir uns fragen, wie ein vernünftiger Management-Plan für die Tiefseebestände auszusehen hat, dann können wir nur sagen: Die heutigen Fangmengen müssen drastisch reduziert werden. "

    Es ist nicht schwer, der Argumentation der Forscher zu folgen. In der Tiefsee, sagen sie, laufe das Leben praktisch in Zeitlupe ab. Fische dort entwickelten sich sehr langsam, manche bräuchten Jahrzehnte bis zur Geschlechtsreife. Bei übermäßiger Befischung könnten die Bestände daher schnell erlöschen.

    Dafür gibt es bereits Beispiele, etwa den Atlantischen Sägebauch. Bekannt ist die Art auch unter ihrem englischen Namen Orange Roughy.

    Im Indischen Ozean und vor Australien stürzte sich die Fischerei regelrecht auf den delikaten Tiefsee-Bewohner. Mit der Folge, dass die örtlichen Bestände binnen weniger Jahre völlig zusammenbrachen. So weit könne es auch im Nordatlantik kommen, mahnt Ökologe Degnbol. Auch hier hat die Hatz auf Orange Roughy längst begonnen:

    " Die Bestände von Orange Roughy sind nicht zusammenhängend. Er gibt wahrscheinlich Subpopulationen, die sich bevorzugt an Untersee-Bergen aufhalten. Die Fangflotten fischen in einem Gebiet, und wenn sie nichts mehr finden, ziehen sie weiter in das nächste. Im Fall von Orange Roughy könnte das bedeuten, dass eine lokale Population nach der anderen ausgelöscht wird. "

    Große Sorgen machen sich die Wissenschaftler auch um Haie, die in der Tiefsee leben. Zum Teil gehen sie den Fischern als ungewollte Beifänge ins Netz. Gelegentlich werden sie aber auch noch gezielt bejagt:

    " Da gibt es Arten wie den Tiefwasser-Dornhai oder den Portugiesen-Hai. Ihre Bestände gehen nach aktuellen Beobachtungen stark zurück. Unsere Empfehlung ist, die Fischereien, die Tiefsee-Haie als Beifänge haben, auf das geringstmögliche Maß zurückzufahren und Methoden zu entwickeln, um die Beifänge zu vermeiden. "

    Die Europäische Union verfolgt eine gemeinsame Fischereipolitik. Im Dezember trifft sich der EU-Ministerrat. Dann werden die Fangquoten für die kommende Saison festgelegt. Der neue Fachreport dient dabei als Entscheidungsgrundlage.

    Doch wird die Agrarpolitik dem Rat der Wissenschaftler wirklich folgen und die Tiefsee-Fischerei im Nordatlantik eindämmen? Oder sie sogar verbieten - dort, wo Haie bedroht sind, wie es die Forscher fordern?

    Poul Degnbol gibt sich keinen Illusionen hin, lässt aber durchblicken, dass die Fischereiwirtschaft gut beraten wäre, den Wissenschaftlern zu folgen. So auch beim Rotbarsch. Der lebt ebenfalls in der Tiefsee und wird auch von deutschen Hochseefischern gefangen, in den Gewässern um Grönland herum:

    " Im letzten Jahr haben wir empfohlen, die Fangquote für Rotbarsch um zwei Drittel zu reduzieren, weil der Bestand zurückgeht. Da ist man uns aber nur zum Teil gefolgt. Jetzt ist es so, dass die Fischerei ihre Fangquoten gar nicht mehr ausschöpfen kann, weil nicht mehr genug Rotbarsch da ist. "