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Jahresrückblick Deutscher Schwimm-Verband
Ein Verband am Boden

Bei den deutschen Beckenschwimmern ging der Trend 2018 nach oben. Acht Medaillen und fünf deutsche Rekorde bei den European Championships. Doch dieses positive Bild änderte sich im Dezember - nicht zuletzt durch den Rücktritt von Bundestrainer Henning Lambertz.

Von Andrea Schültke |
    Henning Lambertz hat kurz vor Weihnachten 2018 seinen Rücktritt als Schwimm-Bundestrainer angekündigt.
    Henning Lambertz hat kurz vor Weihnachten 2018 seinen Rücktritt als Schwimm-Bundestrainer angekündigt. (dpa / picture alliance / Jens Büttner)
    8. Dezember 2018. Außerordentlicher Verbandstag des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) in Bonn und eine fassungslose Athletin Dorothea Brandt: "Ich finde auch, dass der Verband momentan wirklich am Boden liegt."
    Mit großer Mehrheit hatten die Delegierten eine neue Satzung verabschiedet und damit professionellere Strukturen. Darüber hinaus wollte Präsidentin Gabi Dörries aber auch die Zustimmung der Delegierten für eine Beitragserhöhung. Auf Antrag der Schwimmverbände aus Baden und Württemberg wurde die Abstimmung darüber verschoben. Präsidentin Gabi Dörries und Vizepräsidentin Finanzen Andrea Thielenhaus zogen die Konsequenzen. Sie traten zurück.
    Für Ex-Athletensprecherin Dorothea Brandt war die Ursache, "dass einige Landesverbände da eine gewisse Blockadepolitik betrieben haben und dadurch diese Veränderung, die notwendige, einfach vielleicht schon verhindert haben."
    Rücktritt kurz vor Weihnachten
    Von Blockadepolitik wollten die Landesverbände nichts wissen. Sein Verband habe den Antrag auf Verschiebung der Abstimmung gestellt, so Martin Rivoir, Präsident des Schwimmverbandes Württemberg, "weil wir im Moment keine Transparenz in den Finanzen des DSV sehen und auch auf Nachfragen diese Transparenz nach unserer Ansicht nicht hergestellt worden ist".
    Das sahen die zuständigen Funktionärinnen anders. Ihr Rückzug löste allgemeines Bedauern aus und sorgte für Entsetzen bei den Athleten. Gabi Dörries sei der Motor hinter den Reformbemühungen des Verbandes gewesen, bestätigte auch Thomas Kurschilgen. Der neue Sportdirektor legte im Deutschlandfunk den Fokus auf die neue Satzung und ihre Bedeutung für den Leistungssport: "Das heißt, alle sportfachlichen Entscheidungsparameter liegen jetzt im Hauptamt und liegen letztendlich in der Verantwortung des Sportdirektors mit seinem jeweiligen Chefbundestrainern."
    Einer der Chefbundestrainer zog aus dieser Konstellation die Konsequenzen. Wenige Tage vor Weihnachten trat Henning Lambertz von seinem Amt des Chefbundestrainers Schwimmen zurück. Zunächst hieß es, persönliche Gründe seien für den überraschenden Rückzug verantwortlich. Im Interview mit dem Deutschlandfunk machte Lambertz aber deutlich: Es war auch der Rücktritt von Präsidentin Gabi Dörries und es war auch Sportdirektor Thomas Kurschilgen: "Ich glaube", so Lambertz im Dlf, "dass der neu eingesetzte Sportdirektor, seit September 2018 im Amt, andere Ansätze gesehen hat als ich und diese Ansätze zwischen ihm und mir nicht mehr kompatibel waren."
    Skepsis beim Ex-Bundestrainer
    Unter anderem setzt der Sportdirektor bei den Schwimmern auf ein sogenanntes "Team Tokio". Dafür ist mit Christian Hirschmann die neugeschaffene Position eines Teammanagers besetzt worden. Und mehrere Trainer bereiten die Beckenschwimmer auf die Olympischen Spiele 2020 vor. Darin sieht Dirk Lange kein Erfolgskonzept. Der ehemalige Schwimm-Bundestrainer und Lambertz-Vorgänger sagte im Interview mit dem Deutschlandfunk:
    "Wenn ich zehn Trainer gerade im Deutschen Schwimmverband habe, habe ich 12 verschiedene Meinungen. Ich glaube, das Einsetzen von Gremien und derartigen Institutionen ist eher eine Aussage von Unsicherheit in der Führung."
    Dirk Lange war von Ende 2008 bis Ende 2011 deutscher Schwimm-Bundestrainer.
    Dirk Lange war von Ende 2008 bis Ende 2011 deutscher Schwimm-Bundestrainer. (dpa / picture alliance / Robert Schlesinger)
    Lange war unter anderem als Coach von Olympiamedaillengewinnerin Sandra Völker erfolgreich, bevor er 2008 Bundestrainer wurde. 2011 wurde sein Vertrag aufgelöst. Er sieht Parallelen zwischen seiner Laufbahn im DSV und der seines Nachfolgers. Henning Lambertz sei schrittweise entmachtet worden: "In meinen Augen gehört die Entscheidung zum Entscheidungsträger und der muss in diesem Fall ein Bundestrainer sein, denn es muss einer den Hut aufhaben. Und es muss ein Kapitän sein auf einem Schiff, ansonsten wird das nicht funktionieren. Und dieser Kapitän muss jemand sein, der was von dem Sport versteht bzw. aus dem Sport heraus kommt."
    "Die Gefahr, dass sowas vor den Baum geht, ist groß"
    Der neue Sportdirektor Thomas Kurschilgen hatte lange Jahre beim Deutschen Leichtathletik Verband gearbeitet und war dann zum Deutschen Olympischen Sportbund gewechselt. Auch sein Vorgänger, Lutz Buschkow, kam nicht aus dem Schwimmsport, sondern vom Wasserspringen. Ohne Chefbundestrainer in die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2020 in Tokio zu gehen, hält Lambertz-Vorgänger Dirk Lange für schwierig:
    "Die Gefahr, dass sowas vor den Baum geht, ist natürlich sehr groß, anderthalb Jahre vor Ende - hat schon was, dort eine Strategie zu ändern, das macht nicht jeder Verband bzw. ich kenne kaum Verbände, die jemals sowas gemacht haben. Und das muss man eben auch sehen, wenn man bestimmte Entscheidungen jetzt provoziert, und sagt, ich muss das jetzt durchdrücken. Aber nochmal: nicht mal zwei Jahre vor den Spielen sowas zu ändern, kann ganz fatale Folgen haben."
    Lange bezieht dabei auch den internationalen Aspekt mit ein. Der Schwimmsport ist weltweit im Umbruch: Unter Druck gesetzt gesteht der Welt-Schwimmverband FINA den Athleten Mitspracherechte bei Entscheidungen zu. Von neuen Schwimm-Serien ist die Rede, bei denen es um hohe Preisgelder für Athleten gehen soll. Auch da fehle dem DSV jetzt ein ausgewiesener Schwimmexperte, der die Debatte innerhalb der Szene verfolge, so Lange.