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Jahresrückblick zur EU
Viele Krisen, also alles wie immer

Ein Riss geht durch Europa bei der Asylpolitik, der Brexit nimmt erste Konturen an. Und doch gehe die Europäische Union gefestigter aus dem Krisenjahr 2017, als sie es begonnen habe, meint Korrespondentin Bettina Klein.

Von Bettina Klein |
    Merkel steht lächelnd am Rednerpult, hinter ihr läuft ebenfalls lächelnd Macron vorbei. An der Wand eine deutsche und eine EU-Flagge.
    2017 brachte viele Krisen. Und doch geht die EU stärker hinaus, als sie hineingegangen ist. (Geert Vanden Wijngaert / AP / dpa)
    Das Jahr begann sorgengetrübt für die EU. Der Brexit-Schock war gerade so richtig ins Bewusstsein gerückt. Der Trump-Sieg in den USA brachte weitere Unsicherheit. Die Wahlen in den Niederlanden und Frankreich ließen ein Weitererstarken des Populismus befürchten. Die Marschrichtung lautete - alle müssen sich jetzt mal besinnen.
    "Viel zu lange war das, was die Menschen von Europa erwarteten, zu weit entfernt von dem, was Europa bieten und leisten konnte."
    Schon am 1. März legte Jean Claude Juncker sein Weißbuch für die EU vor, um eine Diskussion über die Zukunft der 27 anzustoßen. Wenige Tage später verkündete der Grünen Chef in den Niederlanden Entwarnung.
    "Der Populismus hat den Durchbruch nicht geschafft."
    Der Wahlausgang dort wie auch der einige Monate später in Frankreich sorgten für Erleichterung in der EU - für eine Stimmungsaufhellung, wie ein Antidepressivum. Viele Reformvorschläge folgten über das Jahr hin - bis zu Emanuel Macron der später, zwei Tage nach der Bundestagswahl, an der Pariser Sorbonne seine Vision für Europa vorlegte:
    "Sie haben die einfache Wahl, ob Sie den Nationalisten, denen, die Europa hassen, bei jeder Wahl etwas mehr Platz einräumen, so dass sie in fünf, zehn, fünfzehn Jahren endgültig da sind!"
    Brexit: Artikel 50 wird am 29. März ausgelöst
    Der technische Startschuss für das neue Europa erfolgte am 29. März: Großbritanniens Notifizierung, Artikel 50, wurde ausgelöst.
    Eine schwierige Phase der Verhandlungen begann. Doch gleichzeitig war damit politisch auch der Weg frei für eine europäische Verteidigungsunion, die die Briten lange blockiert hatten.
    Trump: "23 of the 28 member nations are not paying what they should be paying."
    Und auch sein Auftritt in Brüssel im Mai war dem Gemeinschaftsgefühl in Europa eher dienlich:
    "This is not fair to the people and tax payers of the United States"
    King Philippe - Filip of Belgium, US President Donald Trump, NATO Secretary General Jens Stoltenberg, Chancellor of Germany Angela Merkel, Belgian Prime Minister Charles Michel, Prime Minister of Luxembourg Xavier Bettel and President of Latvia Raimonds Vejonis pictured during the unveiling ceremony of the new headquarters of NATO, North Atlantic Treaty Organization, in Evere, Brussels, Thursday 25 May 2017.
    Nato-Treffen am 25. Mai 2017 in Brüssel (dpa/BELGA/Christophe Licoppe)
    Der neue US-Präsident beschwerte sich bei seinem Antrittsbesuch im Nato- Hauptquartier über die Zahlungsmoral der meisten Mitgliedstaaten und vermied es vor allem, sich zu Artikel 5, der Beistandserklärung der Nato, zu bekennen. Den meisten Europäern wurde klar: Wir brauchen mehr Selbständigkeit. Am 13. November erklärte die geschäftsführende deutsche Verteidigungsministerin:
    "Heute ist ein großer Tag für Europa, denn wir gründen heute die Sicherheits- und Verteidigungsunion."
    Die PESCO war geboren, die ständige strukturierte Zusammenarbeit bei der Verteidigung. Immerhin 25 Staaten beteiligen sich daran. Der größte messbare Erfolg der EU im Jahre 2017. - Den größten Anlass zur Aufregung bot monatelang die Türkei – und gemessen daran war es auch das Thema mit den wenigsten Konsequenzen.
    "Ich habe den Verdacht, Herr Erdogan möchte gern Europa die Verantwortung für das Ende der Gespräche aufhalsen", formulierte Jean-Claude Juncker.
    Ein Riss geht durch Europa bei der Asylpolitik
    Den lautstarken Forderungen nach einem Ende der Beitrittsverhandlungen folgte lediglich der Auftrag, die Vorbeitrittshilfen weiter anzupassen. Die Geduld - geschuldet auch der strategisch wichtigen Lage des Landes und der Rolle, die es mit Blick auf die Flüchtlings-Diskussion einnimmt. Denn dieses Thema bleibt für die EU weiterhin ungelöst.
    Weder Malta noch Estland ist es während ihrer Ratspräsidentschaft gelungen, eine Reform des Asylsystems zu organisieren. Die Visegrad Staaten weigern sich, EU-Recht umzusetzen. Der Riss in Europa teilt Ost und West. Und der Versuch von Ratspräsident Tusk, das Thema "verpflichtende Quoten" abzuräumen, sorgte für vehemente Kritik im Rest Europas.
    "Denn Solidarität darf nicht nur in der externen Dimension bestehen, sie muss auch nach innen bestehen."
    Immerhin konnte die EU kurz vor Weihnachten formalen Vollzug in Sachen Brexit melden:
    "Es gibt ausreichend Fortschritt bei den Scheidungsverhandlungen, die zweite Phase der Gespräche kann beginnen."
    Am Ende des Jahres wirkt die Europäische Union gefestigter als zu Beginn. Die schlimmsten Befürchtungen sind nicht eingetreten. Wenn 2017 in Schicksalsjahr war, dann hat das Schicksal nicht so hart zugeschlagen, wie befürchtet.
    Doch die Erwartungen an die EU sind ebenso groß wie entscheidende Fragen offen. Die Spaltung Nord-Süd bei den Finanzen und die Spaltung Ost-West bei Migration und Rechtstaatlichkeit sind weiter vorhanden. Die Zukunft einer Regierung in Deutschland - ungewiss. Rechtspopulistische Parteien gehören inzwischen zur Normalität.
    Die Euphorie aus der Mitte des Jahres bewegt sich inzwischen wieder Richtung "Normal Null": Normaler Krisenbewältigungsmodus in der EU.