"Mir ging es so, dass ich nicht darüber sprechen konnte und dass ich auch nichts tun konnte, um mich von diesem schrecklichen Erbe zu lösen und für die Menschenrechte einzutreten. Genau das versuchen wir nun als Kollektiv."
Liliana Furió ist Tochter eines Argentiniers, den die Justiz wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt hat. Während der rechten Militärdiktatur von 1976 bis 1983 war Paulino Furió Chef einer Geheimdienst-Division der Armee und verfolgte mit staatsterroristischen Methoden linke Oppositionelle und Guerilleros.
"Gewaltsames Verschwindenlassen von Menschen, Folter mit Todesfolge und Aneignung von Kindern politischer Gefangener", zählt Liliana Furió mit traurigem Blick einige der Verbrechen ihres Vaters auf. Viele Male ging die Dokumentarfilmerin allein und anonym zu den Gedenkkundgebungen, mit denen in Argentinien jährlich am 24. März an die Gräuel der Diktatur erinnert wird. Heute jedoch wird Liliana gemeinsam mit anderen Töchtern und Söhnen von Diktaturverbrechern teilnehmen.
Das Schweigen der Familie – auch über die ermordete Tante
Historias Desobedientes – "Ungehorsame Geschichten" – heißt die Gruppe, die sich im vergangenen Jahr gegründet hat und das Schweigen der Nachkommen brechen will. Ein Schweigen, das von Scham und familiären Zwängen bestimmt ist, wie Laura Delgadillo erzählt: Tochter eines Polizisten, der in den Staatsterrorismus involviert war:
"Wir stammen aus Familien, in denen über die Taten unserer Väter nicht gesprochen wurde. Ich habe mich immer sehr einsam gefühlt. Als einzige von sechs Geschwistern engagierte ich mich in Menschenrechtsgruppen. Meine eigene Tante war vom Militärregime verschleppt und ermordet worden. Aber ich konnte in diesen Kreisen nicht sagen, dass mein Vater zum Unterdrückungsapparat der Diktatur gehört hatte."
Laura Delgadillos Vater wurde nie verurteilt, er starb Ende der 1990er-Jahre. Ein Schlussstrichgesetz verhinderte damals in Argentinien eine Aufarbeitung der Diktaturverbrechen durch die Justiz. Erst 2005 kamen die Prozesse wieder in Gang. Fünf Jahre später verurteilte ein Gericht den Polizeikommissar Eduardo Emilio Kalinec, einen Folterer. Seine Tochter Analía war die erste, die sich mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit wagte und sich als Kind eines Täters outete:
"Als mein Vater festgenommen wurde, habe ich ihn zwei Jahre lang im Gefängnis besucht und daran festgehalten, dass er unschuldig war. Aber als der Prozess eröffnet wurde, fing ich an, das Ausmaß seiner Taten zu erkennen. Ich las die Anklageschrift, recherchierte im Internet und in der Familie und musste schließlich akzeptieren, was mir solche Angst machte: dass mein Vater ein Völkermörder war."
Angehörige von Angeklagten dürfen bislang nicht aussagen
Als Völkermord bezeichnen viele diktaturkritische Argentinier die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Militärs und Sicherheitskräfte begingen: Folter, Kinderraub, Verschleppungen, Morde. 30.000 Menschen verschwanden während der Diktatur, diese Zahl nennen die Opfer- und Menschenrechts-Organisationen, die seit Jahrzehnten Verdad y Justicia, Wahrheit und Gerechtigkeit, fordern.
Die bislang rund fünfzig Kinder von Diktaturschergen, die sich öffentlich von ihren Vätern distanzieren, schließen sich dieser Forderung an. Einige dieser Argentinier zwischen Mitte 30 und 60 wollen sogar zur Aufklärung der Verbrechen beitragen. Aber die Aussage von Personen gegen Familienangehörige ist bisher in Argentinien nicht möglich. Die Gruppe "Ungehorsame Geschichten" hat deshalb im Parlament eine Änderung des Strafgesetzbuchs beantragt.
"Wir wollen keine übersteigerten Erwartungen wecken. Es ist nicht so, dass wir jede Menge Informationen über die Taten unserer Väter hätten. Aber einige Kinder, die etwas erzählen können, würden durch die Gesetzesänderung sicher weniger Angst haben, sich an die Justiz zu wenden", sagt Lorna Milena, Mitglied der Gruppe. Nach Justiz-Angaben haben in Argentinien seit 2006 fast 200 Diktatur-Prozesse stattgefunden, die zu mehr als 800 Verurteilungen führten.
Doch noch ist die juristische Vergangenheitsbewältigung nicht abgeschlossen. Und sowohl Menschenrechts-Gruppen als auch das Kollektiv der Söhne und Töchter von Tätern beklagen Rückschritte. Im Dezember sorgte die Überführung des Ex-Polizeichefs Miguel Etchecolatz in den Hausarrest für heftige Proteste. Der 88jährige verbüßte nicht nur eine, sondern vier lebenslange Haftstrafen. Immerhin, vor einer Woche schickte die Justiz ihn erneut ins Gefängnis. Dafür steht nun der bekannte Diktaturverbrecher Alfredo Astíz auf einer Liste von Häftlingen, die aus Krankheitsgründen vorzeitig freikommen könnten.
Öffentliches Auftreten befreit – und belastet die Familien
Laura Delgadillo aus der Gruppe "Ungehorsame Geschichten" ist empört:
"Diese Leute haben so viele Menschen auf dem Gewissen. Sie haben gefoltert, vergewaltigt und getötet, Gefangene lebend aus Flugzeugen ins Meer geworfen. Es kann nicht sein, dass sie jetzt als arme alte Leutchen betrachtet und nachhause geschickt werden."
Einer jener Verurteilten, die ihre Strafe aus Alters- und Gesundheitsgründen inzwischen im Hausarrest verbüßen, ist der Vater von Liliana Furió:
"Er hat das Glück, in dem demokratischen Staat verurteilt worden zu sein, der Argentinien heute ist. Anders als die Gefangenen, die er und seinesgleichen verschwinden ließen."
Für Liliana Furió und die anderen Töchter und Söhne argentinischer Diktaturverbrecher ist der Zusammenschluss zu einer öffentlich sichtbaren Gruppe zweifellos persönlich befreiend, weil er sie von ihrem Schweigen erlöst hat. In ihren Familien aber führt ihre mutige Entscheidung zu schmerzhaften Konflikten und manchmal sogar zum Bruch.