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Jahrestag
Türken erinnern an den Putschversuch

Mehrere zehntausend Menschen haben sich in Istanbul versammelt, um an den gescheiterten Putschversuch vor einem Jahr zu erinnern. Präsident Recep Tayyip Erdogan bekräftigte bei der Gedenkveranstaltung seine Bereitschaft, die Todesstrafe wieder einzuführen - und kündigte an, Verrätern "den Kopf abzureißen".

15.07.2017
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan spricht in Istanbul auf einer Gedenkveranstaltung zum Putschversuch.
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan spricht in Istanbul auf einer Gedenkveranstaltung zum Putschversuch. (dpa-Bildfunk / AP / Pool/ Presidency Press Service)
    Am ganzen Wochenende soll mit Veranstaltungen in Istanbul und Ankara an die Niederschlagung des Putsches erinnert werden. In Istanbul haben sich am Samstagabend mehrere zehntausend Menschen versammelt. Mit türkischen Flaggen zogen sie zu einer der Brücken über den Bosporus. Auf der Brücke hatten vor einem Jahr besonders blutige Kämpfe stattgefunden. Zu Ehren der Opfer wurde sie inzwischen umbenannt in "Brücke der Märtyrer des 15. Juli".
    Dort sprach Präsident Erdogan über die Todesstrafe. Er sagte, er würde ein entsprechendes Gesetz unterschreiben, wenn das Parlament es verabschieden würde. Zuvor hatte die Menge in Sprechchören die Wiedereinführung der Todesstrafe verlangt.
    In Istanbul erinnern zehntausende Menschen an den Putschversuch in der Türkei vor einem Jahr.
    Zahlreiche Menschen kamen zu der Gedenkveranstaltung in Istanbul. (AFP / YASIN AKGUL)
    Erdogan erinnerte zudem an den Putschversuch. Er betonte, die türkischen Bürger hätten die Zukunft des Landes gesichert, indem sie damals seinem Appell zum Widerstand Folge geleistet hätten. Der Staatspräsident erklärte weiter, der Putschversuch sei nicht der erste gewesen und werde nicht der letzte sein. Er kündigte an, Verrätern "den Kopf abzureißen".
    Auch in anderen türkischen Städten versammelten sich viele tausend Menschen. Die Regierung hatte sie aufgerufen, zu "Demokratiewachen" auf die Straße zu kommen. Im türkischen Parlament in Ankara hatte es anlässlich des ersten Jahrestages eine Sondersitzung gegeben, bei der die "Märtyrer und Helden" der Putschnacht gewürdigt wurden. Regierungschef Binali Yildirim sprach von einem "zweiten Unabhängigkeitskrieg", den die Türkei durch die Niederschlagung des Putsches gewonnen habe.
    Kritik der Opposition
    Der türkische Oppositionsführer Kilicdaroglu kritisierte die Regierung. Der Chef der größten Oppositionspartei CHP, Kilicdaroglu, erklärte im Parlament, die Geschehnisse vom 15. Juli 2016 seien nicht vollständig untersucht worden. Außerdem habe die Regierung den ausgerufenen Notstand dauerhaft verlängert. Der stellvertretende Chef der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP, Ahmet Yildirim, kritisierte unter anderem die Massenentlassungen und die Inhaftierung von HDP-Abgeordneten. Er warf der Regierung vor, einen "zweiten Putsch" durchgeführt zu haben.
    In der türkischen Generalversammlung wird am Jahrestag an den Putschversuch vom 15. Juli 2016 erinnert.
    In der türkischen Generalversammlung wird am Jahrestag an den Putschversuch vom 15. Juli 2016 erinnert. (AFP / Adem Altan)
    Nato-Generalsekretär Stoltenberg erinnerte an die Opfer des Putschversuchs. Er lobte die türkischen Bürger, die zur Verteidigung ihrer gewählten Regierung auf die Straße gegangen seien. Er verurteilte jeden Versuch zur Schwächung der Demokratie in den Mitgliedsländern der Nato als inakzeptabel.
    Massenentlassungen auch zum Jahrestag
    Am Abend des 15. Juli 2016 hatte eine Gruppe Militärs versucht, die Macht in der Türkei an sich zu reißen. Sie setzten Panzer, Kampfflugzeuge und Hubschrauber ein, bombardierten das Parlament und andere Orte. Präsident Recep Tayyip Erdogan reagierte mit einem Aufruf an die Bürger, auf die Straße zu gehen und sich den Putschisten entgegen zu stellen.
    Der Umsturz wurde niedergeschlagen. Offiziell wurden bei dem Putsch 249 Menschen getötet. Die türkische Regierung macht die Bewegung des im US-Exil lebenden Geistlichen Gülen für den Putschversuch verantwortlich. Der in den USA lebende Prediger weist die Vorwürfe von sich.
    Türkische Soldaten stehen auf dem Taksim-Platz in Istanbul.
    Türkische Soldaten stehen auf dem Taksim-Platz in Istanbul. (dpa-Bildfunk / EPA / SEDAT SUNA)
    Seit dem gescheiterten Putsch geht die türkische Führung hart gegen vermeintliche Gülen-Anhänger vor. Sie hat den Notstand ausgerufen, der es ihr erlaubt, Dekreten zu regieren. Rund 150.000 Staatsbedienstete wurden entlassen oder suspendiert, mehr als 50.000 Verdächtige sitzen in Untersuchungshaft. Auch kurz vor dem Jahrestag gab es wieder Massenentlassungen: Am Freitag entließ die Regierung fast 7.400 weitere Lehrer, Hochschulmitarbeiter, Militärbedienstete und Polizisten.
    Der türkische Politikwissenschaftler Bagci sagte im Deutschlandfunk, sein Land sei trotz der starken Machtposition Erdogans weiterhin eine parlamentarische Demokratie. Zuletzt habe etwa der von Oppositionsführer Kilicdaroglu initiierte Protestmarsch von Ankara nach Istanbul gezeigt, dass sich regierungskritische Kräfte formieren könnten.
    (rm/hba)