"Diese vielen Debatten über Museen: Hängen da die richtigen Bilder? Gehören die Objekte überhaupt in Museen? Gibt es moralische Verpflichtungen gegenüber Herkunftsländern? Oder eben auch, was wir erfahren haben aus Polen, zum Beispiel Repressionen, denen Museen ausgesetzt sind. Viele dieser Debatten haben zwei Seiten: Die Gefahr, die Museen von außen droht, wobei das Außen die Politik sein kann, aber auch gesellschaftliche Stimmungen oder Pressure Groups. Und auf der anderen Seite Autonomie von innen, die muss ja auch gewährleistet sein."
Zur Bremer Jahrestagung hatte der Museumsbund einen ganz gelassenen, dabei quer zum Thema denkenden Outsider geladen, den Herausgeber der FAZ, Jürgen Kaube. Der erinnerte die Museumsleute an Walter Benjamins geschichtsphilosophische These, dass "jedes Dokument von Kultur auch ein Dokument von Barbarei" sei und hob gleich eingangs den Debatten-Pegel spürbar über eine reine Selbstverständigung hinaus.
Vertieft wurde dies durch den polnischen Historiker Pawel Machcewicz, Gründungsdirektor des Danziger Museums des Zweiten Weltkriegs. Er ist im vergangenen Jahr – nach jahrelangen Verleumdungen und ideologischen Attacken der PIS-Regierung - kurz nach Eröffnung des Museums durch den polnischen Kulturminister persönlich entlassen worden. Die deutsche Museumsszene scheint von solch massiven Übergriffen derzeit nicht bedroht. Aber Eva Raabe vom Frankfurter Weltkulturen Museum warnte vor Berufsblindheit:
"Wie weit können wir uns das Recht herausnehmen, an bestimmten Objekten selbst zu entscheiden, welche Geschichten wir jetzt gerade erzählen und welche nicht? Aber wenn wir sie alle überall erzählen, dann haben wir so viel erzählt, dass man vor lauter Erzählen das Kunstwerk, um das es uns eigentlich ging, dahinter gar nicht mehr zu sehen bekommt."
Wiebke Ahrndt, Direktorin des Bremer Überseemuseum, brachte das Dilemma der Vielfalt konkurrierender politischer "Wahrheiten" auf den Punkt:
"Wir leben mittlerweile in einer sehr pluralen Gesellschaft, in der viele verschiedene Ansichten aufeinander treffen. Oft genug haben all diese Ansichten ihre Berechtigung, sind aber nicht immer alle unter einen Hut zu bringen. Egal welchen Weg ich als Museumsmensch in solchen Fällen einschlage, ich werde immer jemandem auf die Füße treten."
Welche Konsequenzen kann es haben, wenn Kuratoren ihre fachliche Deutungshoheit stur durchsetzen? Wo der Dialog mit dem Publikum endet, ist eine freiheitliche Museumskultur bedroht. Dürfen, wie jüngst geschehen, historische, aber politisch scheinbar unkorrekte Objekte ins Magazin verbannt werden? Dürfen solche Objekte unvermittelt auf Plakate platziert werden, die eine Ausstellung bewerben?
"Wie beschreiben wir das, was die Besucher zu sehen bekommen? Wo endet Freiheit – wo beginnt Zensur?"
Politische Korrektheit statt Widersprüche
In der zentralen Podiumsdiskussion wurde der Frage nachgegangen: "Welche Werte vertreten wir eigentlich?" Hanno Rauterberg von der Wochenzeitung Die Zeit stritt mit dem Bremer Kunsthallendirektor Christoph Grunenberg über dessen Ausstellung "Der blinde Fleck", die der Verwicklung von Künstlern in kolonialistische und rassistische Ideologien nachging. Rauterberg stellte den Streit um diese sichtlich um politische Korrektheit bemühte Schau in einen größeren Zusammenhang:
"Entsprechend werden das halbnackte Mädchen bei Balthus oder die minderjährigen Nymphen bei Waterhouse als Zumutung, als anstößig empfunden, als Attacke auf die gefühlsbestimmte Werteordnung der Gegenwart. Nicht Widersprüche, nicht Ambivalenzen, nicht das Ungeklärte werden wertgeschätzt, vielmehr geht es um einen neuen Konsens durch Aussonderung des Abweichenden, den Ausschluss des Störenden, die Verbannung von Sammelstücken ins Depot!"
Christoph Grunenberg, der auf lange Erfahrungen in England zurückblickt, relativierte:
"Man muss immer den kulturellen Kontext bedenken, in dem solche Entscheidungen getroffen werden, und der ist in Großbritannien ein anderer, und die Haltung zu Nacktheit auch, insbesondere die Nacktheit von Kindern."
Vorurteile, Tabuthemen und eine Vielzahl kleinerer Stolpersteine – sie müssen im musealen Alltag umschifft werden. Das klingt bedrohlich. Doch die Bremer Tagung wirkte heiter und lebendig. Hans-Jörg Czech, Direktor des Museums für Hamburgische Geschichte, wagte am Ende ein behutsam optimistisches Resümee:
"Das Museum der Zukunft: Ist es ein Museum der Warnschilder? Ist es ein Museum des intensiven Diskurses? Ich denke, wir werden weiter daran arbeiten müssen, von dieser Tagung können nicht alle Fragen als beantwortet ausgehen. Aber ich glaube, wir haben sehr viel neues Potential."