Manfred Kloiber: Auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik am Mittwoch und Donnerstag in Berlin wurde über die Kontrolle und Regulierung von Algorithmen, über Grenzen des Einsatzes Künstlicher Intelligenz, über Arbeit und Leben in der digitalisierten Gesellschaft und auch erstaunlich viel über politische Konsequenzen und ethische Überlegungen debattiert. Das Familientreffen der Informatiker, es ist thematisch breiter geworden. Peter, wie sehen Sie das?
Peter Welchering: Es ist eindeutig breiter geworden. Es ist politischer geworden. Vertreter der Bundestagsfraktionen diskutierten nicht nur in den Panels, sondern saßen auch im Publikum. Das war allerdings vermutlich auch dem Tagungsort Berlin geschuldet. Zivilgesellschaftliche Gruppen waren stärker beteiligt. Das führt natürlich zu einer thematisch breit angelegten Veranstaltung.
Und es gab den Dialog mit anderen Disziplinen, zum Beispiel Philosophie, Soziologie, Politikwissenschaft. Und das führt zu so einer Art Dreiecksgespräch. An dem sind die Informatiker und andere Wissenschaftler beteiligt. Und sie führen dieses Gespräch mit zivilgesellschaftlichen Gruppen und der - sagen wir mal - etablierten Politik. Auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik wurde das vor allen Dingen an der Diskussion über die Kontrolle und Regulierung von Algorithmen und von Künstlicher-Intelligenz-Software deutlich. Das war - nicht überraschend - auch eines der dominierenden Themen der Jahrestagung.
Kloiber: Dazu gab es ja auch gleich mehrere Panel, mehrere Vorträge und Workshops. Und es gab ja auch so eine Art Sneak-Preview. Nämlich mit dem Gutachten der Fachgruppe Rechtsinformatik der GI zum Thema algorithmische Entscheidungsverfahren. Den knapp 200 Seiten Gutachten war ja der ganze Mittwochnachmittag gewidmet. Das Gutachten selbst wird dann in der kommenden Woche noch einmal ausführlich vom Sachverständigenrat für Verbraucherfragen vorgestellt.
Wie können wir KI-Algorithmen kontrollieren?
Welchering: Und am Mittwochnachmittag waren eben Politiker, Vertreter zivilgesellschaftlicher Gruppen, Juristen und Informatiker an der Diskussion beteiligt. Und die Diskussion lief dann über Fragen: Wie können wir KI-Algorithmen kontrollieren? Wie lässt sich ihr Einsatz regulieren? Welche Einsätze von KI-Software sind ethisch verboten? Welche wollen wir gesellschaftlich nicht haben und wie lässt sich das begründen? Sind diese Begründungen auch inhaltlich fundiert und frei von Vorurteilen?
Kloiber: Also eine Menge Forschungsfragen. Gab es auch eine Menge Forschungsergebnisse an diesem Nachmittag?
Welchering: Die gab es zumindest nicht im Sinne eindeutiger Handlungsempfehlungen. Aber zwei Dinge wurden deutlich aufgezeigt: In der gesellschaftlichen und politischen Debatte haben wir es häufig mit ziemlicher Begriffsverwirrung zu tun, was KI-Algorithmen angeht. Deshalb empfehlen die Informatiker, genau auf die methodischen Verfahren zu schauen, die bei der Programmierung jeweils eingesetzt werden. Beispiel Kreditscoring! Da wird häufig ziemlich viel Künstliche Intelligenz auf ziemlich nebulöse Weise in die Scoringverfahren hineininterpretiert und am Ende weiß man gar nicht mehr genau, worüber man eigentlich redet.
Wenn ein statistisches Verfahren wie die logistische Regression zum Beispiel von einer Organisation wie der Schufa eingesetzt wird, um einen Kreditscore für Bankkunden zu berechnen, dann muss eben hingeschaut werden, welche Gewichtungen und welche Daten aus welchen Quellen für diese Berechnung verwendet werden. Und da hilft es nicht viel, wenn man nebulös, kristallkugelmäßig von den Gefahren Künstlicher Intelligenz redet, was die Debatte über Kreditscoring in den letzten zwei Jahren ein wenig belastet hat. Regulierungen von neuronalen Netzen fürs Kreditscoring zu fordern, kann sinnvoll sein. Dann muss man aber genau benennen, welche Verfahren hier gemeint sind. Neuronale Netze zu vermuten, wo ein rein statistisches Verfahren für die Berechnung des Kreditscores verwendet wird, hilft nicht. Matthias Grabmair, der an dem vorgestellten Gutachten beteiligt war, der versuchte mal so eine vorsichtige Einordnung.
Maschinelles Lernen - Überlappungen mit angewandter Statistik
Matthias Grabmair: Akademisch gesehen ist es: Künstliche Intelligenz umfasst maschinelles Lernen. Maschinelles Lernen hat sehr, sehr starke Überlappungen mit angewandter Statistik. Was die Schufa angeht, ist es so, dass dort statistische Verfahren verwendet werden, die auch im Rahmen des maschinellen Lernens zum Einsatz kommen oder die konzeptionell damit verwandt sind. Mehr ist es aber auch nicht.
Kloiber: Da stoßen natürlich fachwissenschaftliche Betrachtung und populäre Darstellung aufeinander. Ist da die Fachwissenschaft nicht immer ein bisschen überfordert?
Welchering: Sie hat da zwei Aufgaben und die muss sie wahrnehmen. Das hat die Debatte in Berlin eindeutig gezeigt. Wenn die populäre, auch die politische Diskussion zu schräg läuft, muss sie eingreifen und für klare Begrifflichkeiten und saubere Darstellung der Methoden sorgen. Und sie muss zweitens Aufklärungsbedarf anmelden, Forschungsfragen formulieren, deren Klärung dann zu einer gesellschaftlichen und politischen Entscheidung, auch – wenn es denn sein muss - zu einer gesetzlichen Regulierung führen. Bernhard Waltl hat als wissenschaftlicher Mitarbeiter der technischen Universität München an dem Gutachten zu algorithmischen Entscheidungsverfahren mitgearbeitet und fasst einen wesentlichen Ertrag so zusammen.
Bernhard Waltl: Wir müssen noch besser verstehen, wie wir solche Systeme, die auf Basis gegebener Daten Modelle zur Vorhersage erstellen oder trainieren, wie wir das technisch sagen, wie wir solche transparenter machen können. Das verschärft sich das Problem durch selbstlernende Algorithmen. Das ist ein drängendes Forschungsproblem, also Algorithmen, die während des Betriebs kontinuierlich weiter lernen. Hier gibt's Forschungsbedarf. Wie können wir diese Evolution des Algorithmus aufzeichnen, versionieren, so dass wir für diese algorithmische Entscheidungsfindung im Bereich Bonitätsprüfung beispielsweise wirklich verlässliche Aussagen machen können.
Regulierung von Algorithmen politisch umsetzen
Kloiber: Gibt es für eine solche Versionierung bei der Evolution von Algorithmen denn schon Ansätze?
Welchering: Da haben verschiedene Informatik-Forscher hierzulande einige Methoden und Ansätze entwickelt. Die aber sind in der Politik noch nicht angekommen. Folglich haben genau diese Ansätze in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion kaum eine Rolle gespielt. Das wird sich auch durch dieses Gutachten jetzt sicherlich ändern. Und das zeigt, wie so ein komplexes Problem wie die Regulierung von Algorithmen politisch umgesetzt werden kann. Noch mal Bernhard Waltl.
Bernhard Waltl: Wenn das Unternehmen der alleinige Ansprechpartner ist, muss es offenlegen, wie funktioniert ein Algorithmus. Auf welcher Basis welcher Entscheidungen oder welcher Operationen kommt es zu einer Entscheidung? Dann ist es das Unternehmen, das die Daten vorhalten muss. Andererseits kann man sich aber auch vorstellen, unabhängige staatliche Stellen beispielsweise zu beauftragen in Unternehmen hineinzugehen und eine entsprechende Transparenz zu generieren. Müsste man hier nochmal stärker differenzieren, welche dieser Methoden man auch hier einsetzen will.
Kloiber: Die Diskussion, wie man solche unabhängige staatliche Stellen dann einrichten könnte, die ist dann ja auch am Donnerstag weitergeführt worden. Und sie führte in die Diskussion über die Verantwortung von Unternehmen in diesen Prozessen der Digitalisierung. Schon seit langem wird ja in vielen Unternehmen über soziale und ökologische Verantwortung von Unternehmen geredet. Und dieses Spektrum wird nun gerade in IT- Unternehmen erweitert um den Gedanken der digitalen Verantwortung. Was sind die Inhalte dieser digitalen Verantwortung eines Unternehmens, das habe ich Dr. André Göbel von der IT-Unternehmensberatung Capgemni gefragt.
Corporate Digital Responsibility - Verantwortung im digitalen Raum
André Göbel: Erst mal ist es eigentlich nichts Überraschendes, dass wir uns damit beschäftigen müssen, denn die Gesellschaft wandelt sich, hat einen neuen Raum, den digitalen Raum für sich erkannt und erschlossen. Und das spiegelt sich natürlich auch im Arbeitsleben wieder. Wenn sich Unternehmen mit der digitalen Verantwortung beschäftigen wie wir beispielsweise, dann ist das nicht nur eine Verantwortung den Mitarbeitern gegenüber, sondern auch eine Verantwortung unseres Handelns unseres Wirkens zum Beispiel wir als IT-Dienstleister, der global agiert im Markt und damit auch mit unseren Produkten im Markt.
Und diese zwei Facetten sind wichtig zu betrachten. In der Vergangenheit hat man das unter Corporate Responsibility - insbesondere Corporate Social Responsibility - zusammengefasst, sehr viel den sozialen Bereichen das soziale gesellschaftliche Engagement betrachtet. Aber gerade in einer sich digitalisieren Gesellschaft ist es besonders wichtig, den digitalen Raum auch verantwortungsvoll zu gestalten sowohl für die Mitarbeiter aber auch mit den Produkten und Services für den Markt und die Gesellschaft allgemein.
Kloiber: Das Ganze heißt dann Corporate Digital Responsibility. Was sind denn die Themen, mit denen man sich beschäftigt, wenn man über CDR nachdenkt.
Andre Göbel: Ja, CDR ist noch gar nicht so stark abgegrenzt. Das ist ein sich entwickelnder Bereich. Wie es gerade gesagt habe, sind das Themen die auch die Mitarbeiter betreffen. Wie gehen wir beispielswiese mit der Datenverwendung der Mitarbeiter um. Aber wir beschäftigen uns auch mit dem Blick auf künftige Technologien. Wie werden beispielsweise ethische Fragestellungen beim Einsatz von künstlichen Intelligenzen besprochen. Und das auch als Unternehmen, als digitaler Dienstleister, jemand der Systeme baut zu verstehen und damit auch in einen Wertekanon überführt, den wir als Gesellschaft entwickelt haben und nicht, den ein Unternehmen mal definiert hat, ist natürlich ein ganz wichtiger Aspekt. Nur das geht natürlich nicht alleine.
Wir sind zwar einer der größten weltweiten IT-Dienstleister. Trotz allem braucht es natürlich auch einen gesellschaftlichen Konsens. Nur welche Gesellschaft ist das? Ist das die deutsche, die europäische? Müssen wir das global denken? Die digitale Wirtschaft, oder auch die digitale Gesellschaft ist eine nicht räumlich bezogene Gesellschaft. Insofern reicht es nicht aus, dass sich einzelne Unternehmen Gedanken machen, sondern man braucht schon einen Wertekanon, Werte-Kodex. Bislang unternimmt dort Politik aus meiner Sicht oder aus unserer Sicht deutlich zu wenig. Wobei wir da uns auf die Schulter klopfen können, dass wir zumindest aus deutscher Perspektive schon recht proaktiv, inzwischen proaktiver, dieses Thema angehen. Aber für die technische Entwicklung und für das was wir an Herausforderungen in einer digitalen Gesellschaft haben ist das noch deutlich zu wenig, da müssen wir eine Schippe drauflegen.
Lehrpläne, die nicht ausreichend auf die Zukunft vorbereiten
Kloiber: Digitale Technologien können extrem stark disruptiv sein, also zerstörerisch sein. Sie können sehr stark arbeitsplatzvernichtend wirken. Ist ein Unternehmen, dass sich zu viele Gedanken macht über CDR, nicht letztendlich ein Unternehmen, was aus ganz vielen Geschäftsfeldern aussteigen muss?
Andre Göbel: Ja hoffentlich nicht. Das ist ja genau der Punkt, dass wir proaktiv und verantwortungsvoll mit den neuen Themen umgehen. Da wird ganz besonders wichtig sein, dass wir Kompetenz-Bildung für Digital-Themen haben. Das muss sehr früh beginnen, aus meiner Sicht sogar deutlich vor der Schule. Sonst haben wir dort eine sehr große Schere zwischen sehr digital affinen Menschen und denjenigen, die das ablehnen. Da dürfen wir niemanden abhängen. Das ist das eine, das zweite, was sie ansprachen ist der Arbeitsmarkt. Da haben wir als Unternehmen eine besondere Anforderungen, eine besondere Verantwortung auch, den Arbeitsmarkt entsprechend mitzugestalten. Aber auch die Politik durch Entwicklungs-Maßnahmen, in der Ausbildung, in der Rahmengebung für unsere gesellschaftliche Entwicklung. Da investieren wir viel zu wenig in die künftigen Infrastrukturen der digitalen Gesellschaft. Da spreche ich nicht nur über Breitband, da spreche ich vor allem über Wissen, was wir brauchen. Wir hängen Lehrplänen hinterher, die definitiv nicht ausreichend auf die Zukunft vorbereiten. Das ist auch alles Digital Responsibility, nur nicht Corporate sondern gesellschaftlich gesehen.
Welchering: Diese Verantwortung ist, die ist vor allem gefragt, wenn es darum geht, die Änderungen am Arbeitsmarkt so zu gestalten, dass nicht plötzlich Abertausende Sachbearbeiter, Manager, Kaufleute, Planer auf der Straße stehen, weil ihr Job jetzt von KI-Software übernommen wurde. Professor Jens Südekum von der Heinrich-Heine-Universität hat auf der Jahrestagung vorgestellt, welche Lehren in Sachen Digitalisierung aus den Digitalisierung- und Automatisierungswellen der vergangenen 20 Jahre gezogen werden können.
280.000 Industriearbeitsplätze durch Roboter verschwunden
Jens Südekum: Durch Industrieroboter sind etwa 280000 Vollzeitarbeitsplätze in der Industrie tatsächlich verschwunden. Aber was heißt verschwunden. Es ist tatsächlich nicht so gewesen, dass Leute rausgeschmissen wurden. Das ist ja die eine Möglichkeit wie ein Arbeitsplatz verschwinden kann, dass jemand auf der Straße ist und gucken muss, was er macht am Arbeitsmarkt Das war aber nicht so. Sondern die Arbeitsplätze sind verschwunden in dem Sinne, dass freiwerdende Arbeitsplätze von Menschen, die gerade die Altersgrenze erreicht haben, in Pension oder Rente gegangen sind, dass sie nicht nachbesetzt wurden. Es war klassischer Strukturwandel über Generationsgrenzen hinweg.
Kloiber: Allerdings hat sich hier der Arbeitsmarkt im Laufe einer Generation verändert. Und das soll doch gerade in der kommenden Digitalisierungswelle, die dann mit den Schlagworten Künstliche Intelligenz, Industrie 4.0, smarte Produktion, Big Data beschrieben wird, anders sein. Da werden wir es den Auguren zufolge doch mit einem Strukturwandel innerhalb einer Generation zu tun bekommen.
Welchering: Klar, in den 80er-Jahren ist niemand mehr Bergmann geworden. Der Beruf stirbt aus. In den 90er-Jahren wurde der Mechatroniker zum Ausbildungsberuf. Da konnte eine neue junge Generation neue Berufe ergreifen. Das wird beim Strukturwandel innerhalb einer Generation jetzt mit der ganz raschen Digitalisierung anders sein. Das hat die Debatte auf der Jahrestagung auch klar gezeigt. Da muss dann für neue Berufe innerhalb einer Berufsgeneration weitergebildet werden. Noch mal Professor Jens Südekum.
Jens Südekum: Ich würde schon sagen, dass das Problem mittlerweile erkannt ist in der Politik, auch in den höchsten Ebenen. Jeder redet darüber. Das Thema Weiterbildung ist mittlerweile eines, was eigentlich auf vielen Ebenen erkannt ist als ein Zukunftsthema, was aber notwendig ist in einem Land wie Deutschland. Es fehlt mir bisweilen tatsächlich an der Umsetzung. Es ist erkannt: Wir brauchen eine wirklich nachhaltige große nationale Weiterbildungsoffensive. Aber wir dürfen uns nichts vormachen Das kostet sehr, sehr viel Geld.
"Deutschland hat zu lange geschlafen"
Kloiber: Um Geld geht es auch bei den digitalen Infrastrukturen. Die Zahlen und Rankings, die da so auf der Jahrestagung genannt wurden, geben ja nicht gerade Anlass zu großer Hoffnung, was den Digitalstandort Deutschland angeht. Mal landen wir da im internationalen Vergleich auf Platz 17, mal rutschen wir im Ranking der Industrienationen auf Platz 20.
Welchering: Deshalb gab es da auch eine klare Botschaft an die Politik. Und da sagen die Informatiker: In Sachen digitaler Infrastruktur hat zu Deutschland viel zu lange geschlafen. Da müssen wir aufwachen. Und wir dürfen die digitale Infrastruktur nicht nur auf Breitbandanschlüsse reduzieren. Bei der Versorgung Breitbandanschlüssen sind zwar die meisten politischen Fehler gemacht worden. Aber: Diese Fehler jetzt in Sachen Rechenzentren und beim Ausbau der Internet-Backbones zu wiederholen, das würde bedeuten den Digitalstandort, den Wirtschaftsstandort Deutschland für lange Zeit auf die hinteren Plätz zu schieben.
Kloiber: In diesem Kontext, Peter, wurden in Berlin ja auch handfeste Forderungen gestellt.
Welchering: Eine Forderung ging in Richtung Strompreissenkung für die Rechenzentren. Da argumentiert die Politik: Rechenzentren mit ihrem Gigawattbedarf an Strom haben hohe Einsparpotenziale. Damit sie aber motiviert werden, diese Einsparpotenziale auch wirklich wahrzunehmen, lässt sich das nur über einen hohen Strompreis regeln. Das sehen die Betreiber der insgesamt 50.000 Rechenzentren in Deutschland anders. Die sagen: Jede Hähnchenbraterei ist von der Umlage des Gesetzes über erneuerbare Energie ausgenommen, die Rechenzentren aber nicht. Das sei doch ein Unding. Dr. Bela Waldhauser, Sprecher der Allianz zur Stärkung digitaler Infrastrukturen in Deutschland, rechnete das so vor.
Bela Waldhauser: Die Stromkosten selber, der reine Strom, den wir an der Leipziger Strombörse einkaufen, das sind nur drei vier Cent pro Kilowattstunde. Der allergrößte Teil sind Abgaben nämlich die EEG-Umlage, KWKG-Umlage, Stromsteuer. Und die kann der Staat sehr wohl beeinflussen. Das hat nichts mit Angebot und Nachfrage zu tun.
Kloiber: Was sind denn die konkreten Forderungen, was den Bau von Rechenzentren angeht?
Welchering: Das dauert einfach zu lange in Deutschland. Die Genehmigungsverfahren müssen kürzer werden. Aber es geht über den Bau hinaus. Auch bei den Sicherheitsstandards für die digitale Infrastruktur fordern die Informatiker mehr. Natürlich gab es auf der Jahrestagung die alte Diskussion um eine Meldepflicht für Sicherheitslücken. Es gab Diskussionen, wie Sicherheitslücken am besten geschlossen werden können. Aber mit einem ganz branchenkritischen Blick merkte zum Beispiel Andreas Reichel, Vorstand des Rechenzentrumsbetreibers Dataport, in Sachen Sicherheitsstandrads auch an.
Andreas Reichel: Tatsächlich gibt es in Deutschland einen wundervollen Standard den das BSI vorgibt. Von den etwa 50000 Rechnern in Deutschland sind gerade einmal zwei Handvoll von diesem BSI zertifiziert, und was darüber hinaus besonders erstaunlich ist, dass sehr viele Landes-Dienstleister kommunale Dienstleister und auch Bundes-Dienstleister, die IT betreiben, nicht dieses BSI-Zertifikat haben. Das finde ich bemerkenswert.
Kloiber: Und ebenfalls bemerkenswert fand ich, Peter, dass die Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik diesmal etwas anders war als in den Vorjahren.
Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik soll offener werden
Welchering: Ja, es war eher so die Frage: Kongress oder Festival? Und die wurde dann auch sehr intensiv diskutiert und daraus hat sich auch so eine neue Formatierung der Veranstaltung ergeben.
Kloiber: Diese Formatänderung bei dieser Jahrestagung, die habe ich mir dann auch vom Präsidenten der Gesellschaft für Informatik, Hannes Federrath, erklären lassen.
Hannes Federrath: Wir glauben dass die Informatik tatsächlich in so viele Lebensbereiche inzwischen rein reicht, dass wir eigentlich nicht nur als Fachleute über das Thema sprechen können, sondern wir müssen eben auch in angrenzende Bereiche gehen. Und dann spielen eben Fragen von Industrialisierung, Robotern, die eben uns die Arbeit wegnehmen könnten, aber auch die Chancen auf der anderen Seite eine große Rolle. Und wenn ich sehe dass etwa ethische Aspekte auch in anderen Bereichen mehr und mehr eine Rolle spielen, dann haben wir das natürlich auch in unserem Programm.
Kloiber: Nun ist es ja so, dass viele Entwicklungen aktuelle Entwicklungen der Informatik sehr viele Ängste auslösen bei Menschen. Disruption ist so ein Thema aber auch die künstliche Intelligenz. Welche Antworten können den Informatiker geben um Angst zu nehmen und aufzuklären?
Hannes Federrath: Viele Informatiker neigen dazu, die technischen Möglichkeiten in jedem Fall nutzen zu wollen. Es ist einfach so leicht, ein gutes Programm zu schreiben, das dann Menschen überwacht, das Dinge automatisiert, das vielleicht Daten so miteinander verknüpft, dass tolle, interessante Ergebnisse herauskommen. Aber das kann eben auch Angst machen, denn wenn wir auf der anderen Seite sehen dass etwa Gesundheitsdaten auf die Art verarbeitet werden könnten, dann ist nachvollziehbar, dass die Menschen das vielleicht mit einer gewissen Skepsis sehen. Wir müssen also als Informatiker uns eben auch genau diesen Dingen widmen und als Gesellschaft für Informatik ist es uns wichtig, dass wir auch den Diskurs darüber führen, wo die Grenzen unseres Handelns sind und vor allem auch unseren Informatikern, die wir ja auch vertreten, Richtlinien geben des Handelns in ihrer beruflichen Tätigkeit.
"Politiker lassen sich dadurch treiben, wer am lautesten schreit"
Kloiber: Fühlen Sie sich als Berufsverband auch im Vergleich zu anderen Berufsverbänden wie z.B. Ärzten oder Rechtsanwälten oder was auch immer, ausreichend gesehen?
Hannes Federrath: Zumindest aus Sicht des Berufsstands gibt es ja keine Berufsethik, der wir uns traditionell unterwerfen. Dafür ist der Beruf auch viel zu jung. Man muss bedenken, die Gesellschaft für Informatik wurde vor 49 Jahren gegründet, wir feiern also 2019 unser 50-jähriges. Die Informatik, wenn man zurückgeht, ist keine hundert Jahre alt. Daraus folgt, es wäre viel zu früh zu sagen, wir hätten schon so etwas wie eine berufsständische Ethik. Vielleicht kommt das nochmal irgendwann. Wir sehen gewissermaßen schon, dass unsere Themen gesehen werden und tragen als Gesellschaft für Informatik auch in der Politik und der Gesellschaft dazu bei, dass wir die Dinge, die uns wichtig sind, eben auch bewegen können.
Kloiber: Die Politik, insbesondere auch die Bundesregierung, entwickelt da ja im Moment auch so etwas wie Aktionismus. Da wird ein Digital-Rat gegründet, da werden Enquete-Kommissionen zur künstlichen Intelligenz gegründet. Bei einigen Sachen ist die GI nicht dabei, sehen Sie sich genügend beteiligt?
Hannes Federrath: Insgesamt sehe ich uns schon genügend beteiligt. Wir sind eine Gesellschaft, die besser vertreten sein könnte in der Wirtschaft. Ich sehe, dass es andere Verbände gibt, wie etwa Bitkom, die sind durchaus stärker vertreten. Allerdings eben auch durchaus getrieben aus einem Lobbyismus. Und deswegen überrascht es mich nicht, dass wir nicht alle Politiker gleich stark und gut überzeugen können. Denn wir wissen ja alle: Politiker lassen sich eben auch vor allem dadurch treiben, wer am lautesten schreit - und das können sicherlich andere Verbände mit ihrem Lobbyismus besser als wir. Und ich sage: wir wollen es auch gar nicht besser können in dem Punkt.
Kloiber: Hannes Federrath, der Präsident der Gesellschaft für Informatik im Deutschlandfunk-Interview. Und das war unser Bericht von der Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik diese Woche in Berlin.