"Das Jura-Haus ist wie ein Fels - eine grandiose Antwort auf eine grandiose Landschaft". Diese ebenso knappe wie treffende Charakterisierung stammt von dem Dokumentarfilmer Dieter Wieland. Schon vor 20 Jahren unternahm er ausgedehnte Streifzüge durch das Altmühltal und war fasziniert von diesen archaisch wirkenden Häusern. Mit ihrer ruhigen kubischen Formensprache fügen sie sich harmonisch in die Umgebung ein. Ihre Entstehung verdanken sie einer Jahrhunderte alten Bautradition, bei der ausschließlich Materialien aus der näheren Umgebung verwendet wurden, insbesondere der ockerfarbene Altmühltaler Kalkstein.
"Wir haben das Verbreitungsgebiet der Jura-Häuser immer 25 Kilometer rund um die Steinbrüche, also an einem Tag musste man mit dem Ochsenkarren oder Pferdefuhrwerk zum Steinbruch können und die Sachen aufladen, die Bruchsteine und die Dachplatten und wieder zurück zur Baustelle."
Die Steine wurden aber nicht nur für das Mauerwerk verwendet, das abschließend einen farbigen Putz erhielt, wie Eva Martiny vom Eichstätter Jura-Haus-Verein berichtet, sondern auch für die Dächer der Häuser.
"Da sehen sie die 5 bis 7 Schichten Kalkplatten übereinander, das ist eine absolut einmalige Dachdeckung, so was gibt es wirklich nur in der Altmühlregion."
Das Besondere ist, dass man diese kleinen Kalksteinplatten nicht schräg am Dachstuhl befestigte wie normale Ton- oder Schieferziegel, sondern in versetzten Schichten waagerecht übereinander legte. Daraus ergab sich die für Jura-Häuser charakteristische Dachneigung von maximal 25 bis 30 Prozent und ein außergewöhnlich lebendiges Erscheinungsbild.
"Die Dachstühle für die Steindächer müssen stärker sein, weil sie ein Gewicht von bis zu 280 Kilo pro Quadratmeter vertragen müssen, und wenn jetzt von diesen Kalkplatten etwas rutscht, dann haben die Leute immer wieder drüber gedeckt."
"Das Gebälk gibt immer wieder nach und wenn Steine kaputt gehen und man ersetzt wieder welche, wird es immer dicker, es ist also nicht überall gleich dick, teilweise 30, 40, 50 cm Schichten übereinander sogar."
Alfred Griesbeck ist mit den Eigenheiten alter Jura-Häuser bestens vertraut. Seit vielen Jahren schon kümmert er sich gemeinsam mit seiner Frau Anneliese um den ehemaligen Siechhof. Das große Anwesen entstand seit dem Spätmittelalter jenseits der damaligen Stadtgrenzen von Eichstätt am gegenüberliegenden Ufer der Altmühl. Was heute so wirkt wie ein ländlicher Gutshof mit kleiner Kirche und Pfarrhaus, diente einst der Unterbringung von Leprakranken.
"Und es haben dann auch später in einem Gebäude, das aber nicht mehr steht, das ist das Einzige, was vom ganzen Ensemble fehlt, so ein Quergebäude vorne, da haben sich Pfründner einkaufen können."
Also gut betuchte Bürger, die hier ihren Lebensabend verbringen wollten.
"Das war dann das erste Altenheim eigentlich, und die haben dann ihr Hab und Gut mit eingebracht, deshalb haben viele Ländereien dazugehört, das ist im Laufe der Erbschaften immer weniger geworden."
Bemühungen um mehr Denkmalschutz
Alfred Griesbecks Frau Anneliese hat eine enge Beziehung zu diesem ungewöhnlichen Denkmal und zeigt es gerne interessierten Besuchern.
"Ich bin hier aufgewachsen. Mein Ururgroßvater hat es gekauft und dann ist es immer weitervererbt worden."
Bis in die 50er Jahre wurde der Siechhof als landwirtschaftlicher Betrieb genutzt. In den ehemaligen Wohnzellen der Leprakranken im lang gestreckten hangseitigen Gebäude waren Kühe untergebracht.
Auch die gegenüber liegende kleine Kirche diente als Stall und als Scheune. Mit einer Taschenlampe lotst uns Alfred Griesbeck durch den dämmrigen Innenraum, wo unter dicken Spinnenweben noch alte barocke Fresken zu erkennen sind.
"Das jüngste Gericht ... der Engel, der bläst ... Päpste und Bischöfe im Fegefeuer, die sind auch nicht verschont worden vor dem jüngsten Gericht. Drunter müssten noch welche sein, die älter sind und sicher noch interessanter."
Das benachbarte frühere Pfarrhaus ist an Studenten vermietet. Es birgt ebenfalls viele kunsthistorische Kostbarkeiten: aufwändig geschnitzte alte Türstöcke zum Beispiel und handgehauene polierte Fliesen aus Marmor, wie man sie auch im Eichstätter Dom findet.
Obwohl der Siechhof als Denkmal von nationalem Rang gilt, dämmert er ähnlich wie viele andere Jura-Häuser im Altmühltal einem ungewissen Schicksal entgegen.
"Wir haben natürlich immer wieder nachgedacht, was könnten wir machen, aber Sie sehen ja selber: das ist ein Riesengebäudekomplex. Man kann jetzt nicht einfach sagen, das wird alles wieder schön aufgebaut, aber was rein kommt, weiß man nicht, das kostet 3, 4, 5 Millionen, um das alles zu sanieren, das geht ohne Nutzung nicht."
"Als Privatmann kann man das nicht leisten. Da müsste also, weil es in der Wertigkeit sehr hoch steht, der Staat sich schon kräftig beteiligen."
Es wäre diesem einzigartigen Ensemble zu wünschen, dass sich in dieser Richtung möglichst bald etwas bewegt.
Das hofft auch Eva Martiny vom Jura-Haus-Verein, der sich seit mehr als 30 Jahren dafür einsetzt, dass solche Denkmäler für die Nachwelt erhalten bleiben. Warum das so wichtig ist, das zeigt der Verein am Beispiel eines alten Handwerkerhauses in Eichstätt, das er in den letzten Jahren restauriert und zu einem sehr schönen kleinen Museum ausgebaut hat.
"Unser Konzept von dem Museum hier ist: Wir wollen zum einen natürlich diese Jura-Haus-Landschaft präsentieren, wir wollen die Hausgeschichte, Baugeschichte hier präsentieren, und wir wollen die Veränderungen über die Jahrhunderte zeigen, weil so was in einem Wohnhaus ja in der Regel verschwindet, wenn das saniert wird."
Ausdauernde Öffentlichkeitsarbeit hat sich gelohnt
Dieses Haus an der Eichstätter Rot-Kreuz-Gasse entstand 1657. Hinter seiner typisch schnörkellosen, glatt verputzen Fassade verbergen sich 70 bis 80 Zentimeter dicke Mauern. Die Innenräume wirken trotz der kleinen Fenster nicht düster, sondern überraschend hell und freundlich. Beheizt wurden sie auf eine Art, die für damalige Verhältnisse sehr fortschrittlich war: in der Wohnstube stand ein Kachelofen, der von der Kochstelle in der benachbarten Küche aus mit Wärme versorgt wurde.
"In Norddeutschland gab es damals noch offene Kohlenbecken in den Räumen, und hier hatte man die sogenannte Rußkuchl, da haben wir heute unsere Therme drin versteckt, ein offener Rauchabzug, aber mit Kamin."
Und der wärmte die Kammern im oberen Stockwerk gleich mit. Fasziniert betrachtet eine Gruppe chinesischer Studenten die Struktur der aus Lehm und Stroh bestehenden Geschossdecke, bestaunt die alten Holzdielen, und die vielen Schichten historischer Putze und Wandbemalungen, die bei der Renovierung freigelegt wurden.
"Ich habe gar nicht gedacht, dass das Haus ist schon so alt. Wirklich beeindruckend. Es gibt in China gar keine solchen Häuser. Deswegen finden wir solche Architektur so interessant. Meine Forschungsrichtung ist eigentlich deutsche Literatur und Kultur, aber das interessiert mich auch."
Die beständige Öffentlichkeitsarbeit des Jura-Haus-Vereins hat sich gelohnt. Mit zahlreichen Veranstaltungen und Publikationen hat er dazu beigetragen, dass das Bewusstsein für den baugeschichtlichen Wert dieser Häuser gestiegen ist. Und so mancher betrachtet heute fasziniert die wunderschön restaurierten Gebäude, die nicht nur in Eichstätt zu neuem Leben erweckt wurden.
Darüber freut sich auch die Diplom-Ingenieurin Christine Orth. Im Rahmen eines von der EU geförderten Projektes hat sie in den letzten Jahren dazu beigetragen, das Netzwerk, das der Jura-Haus-Verein gelegt hat, weiter auszubauen.
"Wir haben viele Leerstände, mit denen umgegangen werden muss, und man muss diese Gebäude als Wertigkeit begreifen, eine kulturhistorische, architektonische, und auch als eine Ressource. Wie nutze ich die, wie kann ich die neu mit Leben füllen, wie kann ich Ortskerne wieder attraktiv machen? Das ist ein Riesenthema. Wer sich damit befasst, kann gar nicht anders, er muss fasziniert sein."