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Hochwasserkatastrophe im Ahrtal
Pläne zum Schutz vor künftigen Jahrhundertfluten

Umklappbare Brückengeländer, Straßentunnel als Abflussröhren und mehr Raum für Flüsse: Um die Schäden bei künftigen Hochwasserwellen wie 2021 im Ahrtal zu verringern, plädieren Experten beim Aachener Wasserbau-Symposium für nachhaltige Schutzkonzepte. Manche Städte kommen dabei auf ungewöhnliche Ideen.

Von Volker Mrasek | 13.01.2022
Von der Flut 2021 beschädigte Häuser, Container und weitere Behelfsbauten stehen bei Dernau am Ufer der Ahr, im Vordergrund aufgewühlte Erde mit Schläuchen darauf.
Viele Häuser im Ahrtal sind nach dem Hochwasser vom Sommer noch nicht wieder bezugsfertig, wie hier bei Dernau. (picture alliance / Augst / Eibner-Pressefoto)
Kellerboden und Garten unter einer dicken, übelriechenden Schicht Schlamm – so findet Peter Ruland das Haus seiner Schwiegereltern in Sinzig vor, kurz nach dem Flutdesaster an der Ahr: “Eine Mischung aus Öl-und Fäkalgeruch, der von diesem Schlamm ausgeht.” Der Hamburger Wasserbau-Ingenieur reist damals, im Juli 2021, umgehend ins Krisengebiet an der Ahr und greift zur Schippe.
“Was ja viele Leute sich nicht vorstellen können, ist, was dieser Schlamm macht. In einem Garten von 400 Quadratmetern Fläche hab’ ich also zwei große Container voll Schlamm hinausgeschaufelt. Ich hab’ wohl sechs Tage gebraucht insgesamt, und teilweise hatte ich noch die Hilfe von meinem Sohn.”

Experten fordern Hochwasserschutz-Konzept

Auf dem Aachener Wasserbau-Symposium berichtete Ruland heute aber nicht nur über seinen Hilfseinsatz vor Ort. Er mahnte dringend neue Schutzkonzepte für das Ahrtal an – zumal es dort im Jahr 1804 ein Hochwasser gegeben habe, das wohl noch extremer ausgefallen sei als zuletzt: “Dazu muss sich die Region in meinen Augen grundsätzlich Gedanken machen und sogenannte Hochwasser-Schutzkonzepte entwickeln. Sich überlegen: Was wollen wir machen? Wie wollen wir’s machen? Und es umsetzen.”

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Diese Mammutaufgabe haben zwei Städte im Raum Aachen verblüffend schnell in Angriff genommen: Eschweiler und Stolberg. Auch dort wurden Häuser zerstört, Schulen, Kindergärten und ein Krankenhaus geflutet. Sofort nach der Katastrophe begann man, einen sogenannten Masterplan zu entwickeln mit dem Ziel, die beiden 56.000-Einwohner-Gemeinden an den Flüssen Inde und Vicht hochwasserfester zu machen. In Kürze steht bereits der vierte Experten-Workshop an.

Erste Kommunen entwickeln Masterpläne

Martin Kaleß vom Wasserverband Eifel-Rur leitet das Projekt und stellte es heute auf dem Symposium vor. Entstanden ist ein Werkzeugkasten von über 60 möglichen Einzelmaßnahmen – eine Blaupause auch für andere Städte: “Das ist dieser allgemeine Aspekt unseres Projektes: Diese Maßnahmen können für jede Region angewendet werden für den künftigen Hochwasserschutz.” 
Darunter sind zunächst bekannte Konzepte. Dort, wo sie begradigt sind, will der Wasserverband Inde und Vicht jetzt stärker renaturieren als bisher geplant. Damit die Flüsse bei Hochwasser mehr Platz haben - mehr Retentionsraum, wie man sagt - und ihre Pegel dann weniger stark steigen. Auch der Bau neuer Rückhaltebecken ist geplant, sagt Martin Kaleß:
“Aber es wurden auch andere Bereiche identifiziert, wo Wasserrückhalt praktiziert werden kann. Bis hin zu stillgelegten Bergwerken, die einen großen Retentionsraum zur Verfügung stellen. Hier müssen noch Machbarkeitsstudien durchgeführt werden, ob die eingesetzt werden können. Aber das Ziel ist es natürlich, Wasser im Einzugsgebiet zurückzuhalten und es kontrolliert, nachdem die Hochwasserwelle abgeklungen ist, dann dem System wiederzuzuführen und schadlos durch die Städte zu führen.”
Wasser fließt in den Tagebau Inden, nachdem der Hochwasser führende Fluss Inde einen Deich in der Nähe des Braunkohletagebaus Inden bei Aachen überspült hat
Wasser fließt in den Tagebau Inden, nachdem der Hochwasser führende Fluss Inde einen Deich in der Nähe des Braunkohletagebaus Inden bei Aachen überspült hat (picture alliance/dpa/ Alexander Forstreuter)

Brückengeländer sollten umklappbar sein

Im Ahrtal wurden bei der Jahrhundertflut fast alle Brücken zerstört. Baumstämme, Autowracks und Öl-Tanks stauten sich an den Bauwerken. Auch in diesem Punkt gibt der Masterplan von Martin Kaleß und seinem Projektteam nützliche Empfehlungen: “Zum Beispiel Geländer, die an Brücken installiert sind: Die wirken wie Rechen und halten Grobstoffe zurück. Die verblocken dann und führen dazu, dass die Hochwasserwelle nochmal höher ausfällt, als sie ohne Geländer ausfallen würde. Es wäre natürlich sehr erstrebenswert, die Brückengeländer einfach umklappbar zu gestalten. Das ist eine technische Maßnahme zum Hochwasserschutz, die vergleichsweise kurzfristig umsetzbar ist.” 

Große Rechen, die Treibgut auffangen, könnte es dafür an anderen Stellen von Flüssen geben. Der Ingenieur spricht von „Geschwemmsel-Fallen“. An Inde und Vicht seien mehrere geplant, so Kaleß: “An strategisch günstigen Punkten im Gewässerverlauf werden diese Rechenanlagen dann installiert werden mit dem Ziel, insbesondere die Städte Stolberg und Eschweiler vor diesem Geschwemmsel und vor den Feststoffen dann zu schützen.”

Den Flüssen wieder mehr Raum geben

Hochwasser lassen sich am besten abmildern, wenn man Flüssen Schwemmflächen zurückgibt. An der Ahr sei das schwierig, sagt Peter Ruland: “Das Ahrtal ist ja dichtenst bebaut.” Nicht nur Häuser, auch Straßen und Eisenbahntrasse engen die Ahr ein. Das sollte man vielleicht revidieren, findet Ruland: “Beispielsweise wird für das obere Ahrtal im Augenblick viel diskutiert, auch die Eisenbahn wieder aufzubauen. Da könnte man sich natürlich fragen, ob das denn wirklich notwendig ist und ob man diesen Platz, den das einnähme, nicht für die Ahr zur Verfügung stellen könnte.”

Ein Straßentunnel als Abflussröhre

Ungewöhnliche verkehrstechnische Überlegungen gibt es auch in Stolberg. Dort führt der „Europatunnel“ täglich rund 10.000 Autos um die Innenstadt herum. Das könnte er im Katastrophenfall auch mit einer Hochwasserwelle tun, sagt Martin Kaleß, wenn man gewisse bauliche Veränderungen am Tunnel vornehme: “Es wird überlegt im Rahmen des Expertenkreises, diesen Europatunnel als Hochwasserlenkungsmaßnahme gezielt einzusetzen. Eine Maßnahme, die natürlich erst einmal, ja, Verwunderung hervorruft. Aber es mag eine sehr interessante Idee sein, um Wasser aus der Stadt Stolberg fernzuhalten.”

An Ahr, Inde und Vicht haben viele zu nah am Wasser gebaut. Ihre Häuser wurden zerstört und unbewohnbar. Auch hier müsse man Dinge verändern, sagt Holger Schüttrumpf, Professor an der RWTH Aachen und Gastgeber des Wasserbau-Symposiums: “Wir müssen natürlich jetzt gucken, dass wir insbesondere in den Bereichen, die wirklich massiv betroffen sind, eigentlich diese Bereiche auch räumen. Und da sollte man eigentlich den Anreiz setzen, dass diejenigen, die da betroffen sind, eben woanders bauen können.”

Bereiche, die stark überflutet waren, sollten geräumt werden                      

Das geschehe bisher nicht in erforderlichem Maße. Gefördert werde meist der Wiederaufbau an derselben Stelle, an der das zerstörte Haus stand. Kein gutes Omen fürs nächste Mal, sagt Holger Schüttrumpf: "Denn das Hochwasser, was wir jetzt hatten, das wird wiederkommen. Und wenn wir jetzt an den Klimawandel denken, dann wissen wir, dass das in Zukunft vielleicht häufiger auftreten wird.”