"Er hat festgestellt - und das war das Zentrum seiner Forschung -, dass Tiere in ihrer eigenen, wie er es nennt, "Umwelt" leben. Jedes Tier erfährt und erlebt nur das, was ihm seine Sinnesorgane und seine Bedürfnisse und seine Instinkte erlauben."
Was heißt "Umwelt"? Mit dieser Frage hat sich der Biologe, Zoologe, Verhaltensforscher und Philosoph Jakob von Uexküll sein Leben lang beschäftigt. Er selbst hatte diesen Begriff in die Wissenschaft eingeführt. Anfang des 20. Jahrhunderts sei man in der Tierpsychologie noch naiv davon ausgegangen, dass sich menschliche Erfahrungen und Persönlichkeitsmerkmale einfach auf Tiere übertragen ließen, erklärte sein Sohn Thure von Uexküll, der Begründer der Psychosomatik, den das Denken des Vaters stark beeinflusste:
"Man sprach, ohne sich etwas dabei zu denken, von dem "schlauen Fuchs", von dem "blutdürstigen Raubtier" und glaubte, auf diese Weise dem Problem der Tierseele nahezukommen. Aus diesem Grunde hat mein Vater den Begriff der "Tierseele" vermieden. ... Er hat gesagt: Ich biete Euch etwas viel Besseres als diese menschlich interpre¬tierte Tierseele. Ich biete Euch die subjektive Umwelt des Tieres, die man erforschen kann, indem man die Sinnesorgane und das Verhalten der Tiere untersucht und dann in der Lage ist, die subjektive Umwelt des Tieres zu rekonstruieren."
Spross eines deutsch-baltischen Adelsgeschlechts
Jakob Johann Baron von Uexküll, am 8. September 1864 auf Gut Keblas in Estland geboren, entstammte einem alten deutsch-baltischen Adelsgeschlecht. Schon als Zoologie-Student in Dorpat nutzte er die Gelegenheit, Tiere bei wissenschaftlichen Exkursionen in ihrer natürlichen Umwelt zu beobachten. 1888 siedelte er nach Heidelberg über, den Winter verbrachte er mehrfach an der deutschen zoologischen Station in Neapel, wo er sich Taucherglocke und Taucheranzug besorgte, um zu den Meerestieren hinabzusteigen.
Nicht wenige Kollegen hielten den baltendeutschen Außenseiter für einen Exzentriker,
Schreibt der Medizinhistoriker Florian Mildenberger.
Florian Mildenberger:
"Wer sich jemals die Mühe gemacht hat, im Rahmen eines Tauchurlaubs mit Schnorchel einen Tintenfisch in seiner natürlichen Umgebung zu verfolgen, der kann erahnen, was es für eine Tortur gewesen sein musste, mit einem 30 kg schweren Helm auf dem Kopf und Bleigurten um den Leib geschnallt, am Meeresboden entlang zu stolpern. Doch Uexküll lernte einiges auf dem Grund des Golfs von Neapel, unter anderem dass jedes Tier sich speziell verhielt und auf bestimmte Reize anders reagierte als andere Tiere."
Oder, wie es von Uexküll 1909 in seinem Buch "Umwelt und Innenwelt der Tiere" kurz und bündig formulierte:
In der Welt des Regenwurmes gibt es nur Regenwurmdinge, in der Welt der Libelle gibt es nur Libellendinge.
Im Ergebnis zählte von Uexküll, der sich vor allem auf wirbellose Tiere spezialisierte, ebenso viele verschiedene "Umwelten" wie tierische Subjekte. Manches an seiner Lehre wirkte auch befremdlich, insbesondere seine Vorstellung von der "Umweltröhre" oder dem an beiden Enden geschlossenen "Umwelt-Tunnel", in dem sich das individuelle Leben abspielen soll. Thure von Uexküll übertrug die väterliche Lehre später auch auf den Menschen:
"Der Mensch ist ja auch ein Naturgeschöpf. Und auch der Mensch erfährt von seiner Umgebung nur das, was ihm seine Sinnesorgane vermitteln. Und was er aufgrund dieser Sinneserfahrungen dann auch als eine subjektive Umwelt aufbaut."
Trotz aller Anerkennung blieb Jakob von Uexküll aber ein akademischer Außenseiter.
1912 bewarb er sich vergeblich um die Leitung eines neuen Instituts für Biologie der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. An der Universität Hamburg bekam er schließlich die Möglichkeit, ein "Institut für Umweltforschung" aufzubauen. 1940 trat er in den Ruhestand und zog sich mit seiner Frau nach Capri zurück, wo er - fast schon vergessen - am 25. Juli 1944 starb. Erst in den 80er Jahren hat man ihn wiederentdeckt – auch auf Betreiben Thure von Uexkülls, der in seinem Vater den Vorreiter einer neuen interdisziplinären Wissenschaft des Lebens sah, der sogenannten "Biosemiotik", mit der Forscher die Zeichensysteme und Kommunikationsprozesse der Natur entschlüsseln wollen.
1912 bewarb er sich vergeblich um die Leitung eines neuen Instituts für Biologie der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. An der Universität Hamburg bekam er schließlich die Möglichkeit, ein "Institut für Umweltforschung" aufzubauen. 1940 trat er in den Ruhestand und zog sich mit seiner Frau nach Capri zurück, wo er - fast schon vergessen - am 25. Juli 1944 starb. Erst in den 80er Jahren hat man ihn wiederentdeckt – auch auf Betreiben Thure von Uexkülls, der in seinem Vater den Vorreiter einer neuen interdisziplinären Wissenschaft des Lebens sah, der sogenannten "Biosemiotik", mit der Forscher die Zeichensysteme und Kommunikationsprozesse der Natur entschlüsseln wollen.