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Jamaika-Sondierungen
"Zwischen CSU und Grünen ist dieser Graben sehr tief"

Die Parteien lägen in ihren Positionen extrem weit auseinander, sagte der Politologe Oskar Niedermayer im Dlf. Vor allem CSU und Grüne seien "Pole, die nicht zueinanderkommen". Neuwahlen wären deshalb nicht ausgeschlossen. Möglich sei aber auch eine andere Lösung: die erste Minderheitsregierung der BRD.

Oskar Niedermayer im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (l, CSU) und Cem Özdemir, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, gehen am 07.11.2017 nach weiteren Sondierungsgesprächen von CDU, CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag in Berlin.
    Horst Seehofer (l, CSU) und Cem Özdemir (Grüne) nach weiteren Sondierungsgesprächen. "Es ist Unsinn, dass die Parteien sich gar nicht mehr unterscheiden", sagte Oskar Niedermayer im Dlf (picture alliance / dpa / Silas Stein)
    Martin Zagatta: Fast zwei Monate liegt die Bundestagswahl schon zurück, und noch immer können uns die Spitzen von CDU/CSU, FDP und Grünen nicht mit Bestimmtheit sagen, ob sie offizielle Koalitionsverhandlungen aufnehmen. Bei den Sondierungsgesprächen, die eigentlich schon beendet sein sollten, hakt es. "Sondieren mit dem Charme einer Bausparkasse", titelt heute Morgen zum Beispiel die Zeitung "Die Welt". Und nach so vielen Gesprächsrunden hören wir kaum etwas von Annäherung, aber immer wieder, dass die Gegenseite nicht kompromissbereit sei. Sind das Rituale? Hat das etwas zu bedeuten? Kann die Jamaika-Koalition tatsächlich noch scheitern? Das kann ich jetzt Oskar Niedermayer fragen, Politikwissenschaftler von der Freien Universität in Berlin. Guten Morgen, Herr Niedermayer!
    Oskar Niedermayer: Guten Morgen!
    "Irgendwann muss mal Schluss sein"
    Zagatta: Herr Niedermayer, die Wähler scheinen ja schon etwas genervt, die Zustimmung zu einer Jamaikakoalition sinkt ganz gewaltig den jüngsten Umfragen zufolge. Spielt das eine Rolle?
    Niedermayer: Ich glaube, dass das für die Verhandler keine große Rolle spielt. Das war natürlich klar, dass irgendwann auch mal die Geduld der Bevölkerung zu Ende geht, und das ist ja auch sehr verständlich. Aber die Verhandler selbst handeln, denke ich, nach eigenen Kriterien.
    Zagatta: Das heißt, dieser Unmut, dass sich diese Gespräche auch so lange hinziehen, ohne sichtbaren Fortschritt, ist nicht berechtigt. Das sind wir in Deutschland nur nicht gewohnt?
    Niedermayer: Ja, wir sind es nicht gewohnt, das ist vollkommen richtig, weil das ist ja die erste Koalition oder der erste Versuch einer Koalition dieser Art, und es war ganz klar, dass das länger dauern würde. Aber ich bin jetzt auch der Meinung, irgendwann muss mal Schluss sein, denn alle Argumente für und gegen bestimmte Positionen liegen seit Langem auf dem Tisch. Und irgendwann muss man sagen, jetzt ist das Ende erreicht, und wenn wir jetzt noch nicht zusammengekommen sind, dann ist es eben so.
    Parteien sind "extrem weit auseinander"
    Zagatta: Sind das, was wir da jetzt erleben - das vermuten ja manche - sind das Rituale, sind das Schaugefechte noch für die eigenen Anhänger, oder können Sie sich vorstellen, dass diese Jamaikakoalition tatsächlich noch scheitert?
    Niedermayer: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass sie noch scheitert, denn sie war ja wohl Freitagnacht ganz kurz vor dem Scheitern. Es konnte gerade noch mal abgewendet werden. Es ist eben durchaus so, dass das, was wir hier erleben, eine Mischung ist. Natürlich ist es einerseits Ritual, dass man nach außen hin der eigenen Anhängerschaft zeigen will, wie schwer man sich bestimmte Dinge abhandeln lässt, dass man zu seinen Idealen steht, zu seinen Prinzipien, das ist ganz klar.
    Aber andererseits ist es eben auch so, dass diese Parteien, die da jetzt versuchen, zusammenzukommen, extrem weit auseinander sind und dass sie jetzt gerade vorführen, dass es Unsinn ist, was man sonst immer mal wieder behauptet, dass die Parteien sich gar nicht mehr unterscheiden. Sie unterscheiden sich schon inhaltlich, und zwar in sehr vielen Bereichen. Und in manchen Bereichen ist dann ein Kompromiss möglich, gerade wenn es um Verteilungsfragen geht oder so. Aber wenn es dann um gesellschaftspolitische Positionen geht, vor allen Dingen zwischen CSU und Grünen, dann ist eben dieser Graben sehr tief.
    Tiefe Gräben zwischen CSU und Grünen
    Zagatta: Ist denn da die CSU - Sie sprechen es an -, ist da die CSU das große Problem ein Jahr vor den Landtagswahlen und mit einem Horst Seehofer an der Spitze, der ja um sein politisches Überleben kämpft?
    Niedermayer: Ich glaube, das es ganz stark bei der CSU hängt, aber eben auch bei den Grünen, dass das die beiden Pole sind, die nicht zueinanderkommen. Und bei der CSU darf man ja nicht vergessen, sie hat ja schon einen Verhandlungsprozess hinter sich. In den für sie wichtigen Bereichen musste sie ja zunächst mal mit der CDU klarkommen und hat da Kompromisse geschlossen. Und dass sie da diese Kompromisse noch mal aufschnürt und noch weiter auf die anderen zugeht, das ist natürlich dann noch schwieriger. Und zudem ist es ganz klar, die CSU hat im Auge die nächste Landtagswahl in Bayern, und dafür steht eben, wenn Sie gerade in der Flüchtlingsfrage den Grünen zu sehr nachgibt, dass sie dann in Bayern eben noch mehr Schwierigkeiten haben wird, die absolute Mehrheit zu behalten.
    Zagatta: Aber sind da nicht alle irgendwie auch zum Erfolg verdammt? Könnten sich CSU oder Grüne auch ein Scheitern leisten?
    Niedermayer: Ich glaube, das ist natürlich für jede Partei ein Abwägungsprozess, was schadet mir mehr, wenn ich dann letztendlich für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich gemacht werde und damit dann möglicherweise eben für Neuwahlen, oder wenn meine eigenen Anhänger und Wähler dann sagen, die sind umgefallen, und denen kann man nichts mehr glauben, weil die immer vorher anders reden, als sie dann nachher in Verhandlungen sich geben. Und das ist ein Abwägungsprozess. Und wenn dann eine der Parteien zu der Ansicht kommt, das eine schadet mir weniger als das andere, dann kann es durchaus sein, dass sie auch das Risiko eingeht, die Verhandlungen platzen zu lassen.
    Merkel bei Scheitern von Jamaika in Bedrängnis
    Zagatta: Was würde das bedeuten, wenn Jamaika nicht klappt? Was würde dann passieren? Wäre dann die Ära Merkel zu Ende?
    Niedermayer: Die These hört man ja jetzt allenthalben, und es ist vollkommen richtig, dass Frau Merkel angeschlagen war schon vorher, und dass ihr ja natürlich dann auch das Scheitern angelastet würde und gesagt würde, sie hat eben die Aufgabe nicht bewältigt, eine Regierungsbildung zusammenzubekommen. Aber andererseits darf man auch nicht vergessen, es ist weit und breit niemand zu sehen, der in der CDU jetzt innerhalb von wenigen Wochen - und das wäre es ja dann -, innerhalb von wenigen Wochen sie ersetzen könnte. Also ich bin da noch skeptisch, ob das das Ende ihrer Karriere wäre. Aber es wäre auf jeden Fall ein deutlicher Knick.
    Zagatta: Aber Neuwahlen dann möglicherweise wieder mit Merkel schließen Sie nicht aus?
    Niedermayer: Ich schließe das nicht aus. Zunächst einmal, falls Jamaika scheitern sollte, und das wird sich, glaube ich, spätestens morgen dann zeigen, denn ad infinitum kann man diese Dinge nicht weiterführen. Falls es scheitern sollte, wird natürlich zunächst einmal Merkel versuchen, noch einmal die SPD ins Boot zu holen. Da glaube ich, dass das nicht gelingen kann.
    Und dann bestehen weitere zwei Möglichkeiten: Sie stellt sich zur Wahl im Bundestag, sie wird nicht mit absoluter Mehrheit gewählt, und dann ist der Bundespräsident gefordert, und der könnte ja auch durchaus, worüber ja spekuliert wird, sagen, ich setze Frau Merkel als Chefin einer Minderheitsregierung ein. Das hatten wir noch nie in Deutschland. Ich glaube auch, dass keine Partei das will, und ich glaube auch, dass die Bevölkerung das nicht will. Aber das wäre auch durchaus eine Möglichkeit. Aber ich würde dann eher sagen, wir bekommen dann eben Neuwahlen.
    Zagatta: Spannende Zeiten. Das waren Einschätzungen des Politikwissenschaftlers Oskar Niedermayer von der Freien Universität in Berlin. Herr Niedermayer, ich bedanke mich für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.