Christiane Kaess: Schwierige Lage in Hannover. Dort wollen die SPD und die Grünen über eine Ampel reden. Die FDP will ein solches Bündnis nicht. Eine Große Koalition wird von den kleinen Parteien skeptisch gesehen und auch Regierungschef Weil hält das nicht für einfach, genauso wie eine Jamaika-Koalition. Es wird wohl dauern, bis die richtigen Partner zueinander gefunden haben. Herr Korte, Gespräche über schwierige Dreierkonstellationen, ist das jetzt politischer Alltag in Deutschland nach einer Wahl?
Karl-Rudolf Korte: Ja. Wir haben bereits fünf Bundesländer, die mit drei Regierungsparteien regiert werden. Insofern ist das eine Konstellation als Antwort auf ein Viel-Parteien-System und viel-Parteien-Parlamente, die sich neu formieren.
Kaess: Dann schauen wir ein bisschen näher auf Niedersachsen. Wie erklären Sie sich die Aufholjagd der SPD in den letzten Wochen?
Korte: Das hängt im Schatten der Bundestagswahl eben mit der Bundestagswahl unmittelbar zusammen. Das eine ist nicht ohne das andere zu sehen, wenngleich die Leute oft angeben, dass sie landespolitisch ins Zentrum ihres Interesses nicht nur für die Wahl sich orientieren, sondern auch gegenüber den Umfrageinstituten das so angeben. Aber die Verbindung zwischen übergeordneten Themen und Landesthemen ist im Umfeld von Bundestagswahlen so naheliegend, dass das hier auch ein Erklärungsfaktor ist. Der andere hängt sicherlich mit der Person zusammen, also Amtsbonus. Aber Amtsbonus zog im Jahr 2016 bei allen Landtagswahlen elementar, aber 2017 nicht. Da hat der Oppositionsdrang geradezu gewirkt und insofern ist jede Wahl als Einzelwahl genau in den Blick zu nehmen.
Kaess: Herr Korte, wenn Sie sagen, da hat die Bundesebene eine Rolle gespielt, stimmt dann diese Interpretation, dass der Oppositionskurs der SPD auf Bundesebene - obwohl sie ja eigentlich noch in der Regierung ist - dass der sich schon ausgezahlt hat?
Korte: Ja. Eine Klarheit der Positionierung hilft beim Wähler. Man möchte ja ein Zukunftsprofil wählen. Und wenn man jetzt die SPD sieht, dass sie sich neu formiert auf Bundesebene, nicht mehr das Pragmatische einer Staatspartei annimmt, um in Großen Koalitionen verunklarte Kompromisse herauszuarbeiten, dann hilft das durchaus auch, in Hannover eine Entscheidung herbeizuführen, bei der man sich auch gleichermaßen Klarheit erwartet.
SPD: Pluspunkt Oppositionsrolle?
Kaess: Das wäre die gute Nachricht für die SPD, dass der Wähler durchaus schon wieder Vertrauen in diese Partei gefasst hat, mit diesem neueren Kurs.
Korte: Das wäre jetzt sehr verkürzt, weil es in der Tat an Stephan Weil hängt, der als Person auch in der Auseinandersetzung mit dem Widersacher klar punkten konnte, auf eine Regierungsbilanz verweisen kann, die für ihn vorzeigbar war, die Hauptthemen, die anstanden, dem Widersacher nicht wirklich Kompetenzvorsprung einbringen konnte, weil er bei Bildung ja auch selbst als Kultusminister vorher betroffen war. Also es sind Rahmenbedingungen, die erst mal niedersachsenspezifisch sind, aber sie zeigen, dass es nicht nur am Label einer Partei liegt, ob sie nun aufsteht oder fällt, sondern es zeigen sich auch Rand- und Rahmenbedingungen, die immer mit zu berücksichtigen sind.
Kaess: Aber wenn die Regierungsbilanz gezogen hat, so wie Sie das jetzt gerade dargestellt haben, warum gilt das nicht für die Grünen?
Korte: Die Grünen, das ist bei einer Auseinandersetzung in einem Wahlkampf, bei der am Ende die Schwerpunkte um die beiden großen Parteien sich drehen in der Auseinandersetzung der Spitzenkandidaten, immer schwer zu reüssieren. Auch unabhängig davon, ob es eine Große Koalition ist oder nicht. Die Kleinen, die ein Alleinstellungsmerkmal für sich beanspruchen, leiden dann oft auch unter politischer Einsamkeit, weil es ein Lotteriespiel ist, mit wem sie am Ende eine Mehrheit formieren können. Wir haben hier als Wähler gar keine Wahl letztlich. Die Regierungsbildung läuft ohne uns ab, wir sind Zuschauer, und wie kann man wissen, was aus dieser Stimme am Ende wird, wenn ich sie einer kleineren Partei gebe.
Merkel unter Druck
Kaess: Dann zur CDU. Die fährt in Niedersachsen ihr schlechtestes Ergebnis seit 1959 ein. Welchen Anteil hat denn hier die Bundespolitik?
Korte: Einen großen auch und auch wiederum einen kleinen. Der kleinere bezieht sich natürlich auf konkrete Konstellationen um die Person des Spitzenkandidaten herum, der nicht so gezündet hat, wie das vielleicht vorher gedacht worden war. Dann ist die besondere Rahmenbedingung einer vielleicht unredlich zustande gekommenen Wahl, die man nicht gerade positiv mit der CDU verbindet, dass es da Überläufer gab wie in früheren Jahrzehnten auch in anderen Parteien. Aber das Bundespolitische ist eher dieser Selbstfindungsprozess der Union, nicht nur der Unions-Parteien, sondern der Union, dass sie nicht wirklich klar versucht zu analysieren, wie sie Wähler wieder für sich begeistern kann. Dass das so herumwabert, dass man Reparaturarbeiten am Wohlfahrtsstaat einzeln vorschlägt, dass man auf Zeit spielt. Aber die Grundidee, die Wahlniederlage einzugestehen und daraus Konsequenzen zu ziehen, eine Idee der Kooperation auch für zukünftige Konstellationen, da hört man nichts von.
Dann kommt die Selbstgenügsamkeit dazu der Berliner Machtmonotonie, dass man auch so auf "weiter so" setzt, dass es doch gar nicht so schlimm war. Das ist für Wähler am Wahltag eher ein Zeichen, die Gesprächsstörung so zu interpretieren, dass man entweder nicht wählt, oder auf jeden Fall nicht diese Partei.
Kaess: Aber was heißt das denn für Angela Merkel und die anstehenden Sondierungsgespräche, für eine angeschlagene Angela Merkel, muss man dazu sagen?
Korte: Sie muss, um in die Offensive zu gehen, eine Grundidee einer neuen Kooperation entwickeln. Dafür ist sie aber nicht die geeignete Person, weil sie immer nur Wirklichkeiten beschreibt, aber nie Möglichkeiten. Die neue, über den Tag verweisende Idee, die nicht nur darin besteht, einfach Digitalisierung zu fördern und Bildung zu fördern und Arbeitsplätze zu sichern, sondern wenn Identität und Sicherheit, das Hauptmotiv in diesem Wahljahr war, darauf warten, dann muss man eine Idee entwickeln, die als Identitätsangebote für potenzielle Unions-Wähler geeignet ist.
Kaess: Das heißt, ihre Zeit ist schon jetzt abgelaufen?
Korte: Sie ist unter dem größten Druck, den es je gab. Es geht ja nicht um das Management, sondern es geht darum, eine Kooperationsidee zu entwickeln, die auch dann eine Idee ist, die uns alle beflügelt und die möglicherweise auch in einem vielleicht Zehn-Seiten-Papier vor Weihnachten vor dem Wähler zu präsentieren ist.
CSU nach österreichischem Modell?
Kaess: Und da sind wir schon bei dem Ringen um den Kurs bei der Union. Entscheidend ist hier die CSU, weil die die bayerischen Landtagswahlen nächstes Jahr im Blick hat. Machen wir hier mal kurz einen Schlenker nach Österreich. Der Wahlerfolg der rechten Parteien in Österreich, wird das jetzt zum Vorbild für die CSU?
Korte: Das ist einfach die räumliche Nähe, die die CSU veranlasst, auch so zu denken. Das könnte genauso sein, dass es diese rechte Flanke, die man schließen möchte, dass man hier Analogien versucht herzustellen. Es liegt an der CDU, klar zu machen, dass die progressive Mitte nach wie vor Wähler mobilisieren kann in Deutschland, und mit der progressiven Mitte den anderen Teil der Wähler man anspricht, die auch nach wie vor bei dem Thema Flüchtlinge auf Helferstolz setzen und nicht nur auf Abschieben. Auch das ist eine liberale Idee, die um Frau Merkel herum durchaus ja auch zu Wahlsiegen in den vergangenen Zeiten geführt hat.
Kaess: Aber mit welcher Konsequenz? Welche Konsequenz hätte das denn? Dann doch die Spaltung der Schwesterparteien zu riskieren?
Korte: Anders als im letzten Bundestag ist man auf die CSU und auf die CSU-Mandate angewiesen. Jamaika hätte 38 Stimmen Mehrheit insgesamt. Insofern könnte man hier keinen Bruch vollziehen. Aber das bedarf einer großen Überzeugungsarbeit. Man kann nicht nur eine Differenz-Koalition eingehen und arbeitsteilig Ressorts verteilen, sondern da gilt es nachzuarbeiten, auch vielleicht klar zu machen, dass das Bundespolitische dann nicht nur Auswirkungen haben sollte oder dass nicht alle Verhandlungen immer nur so geführt werden, eine nächste kommende Landtagswahl im Blick zu haben.
"AfD hat ihren Zenit überschritten"
Kaess: Wir müssen noch auf die AfD schauen. Die hat in Niedersachsen ein überraschend schlechtes Ergebnis bekommen: 6,2 Prozent. Damit zieht sie zwar in den Landtag ein, aber sie bleibt eigentlich unter ihren Erwartungen. Kann man hier schon von einer Trendwende sprechen?
Korte: Einmal hat sie natürlich ihren Professionalisierungskurs fortgesetzt, hat sich weiter parlamentarisiert. Das ist auf der Pluspunktseite zu sehen. Das Negative ist, dass sie es nur so eben reingeschafft hat. Grundsätzlich ist diese heterogene Empörungsbewegung nicht weg, sie ist da, und davon können andere Parteien auch profitieren. Wenn sie sich nicht selbstgefällig artikulieren, sind hier Wähler auf jeden Fall zurückzugewinnen. Aber ich sehe den Zenit durchaus überschritten, dadurch, dass wir Lerneffekte der anderen Parteien haben. Denn die Größe der Populisten hängt nicht mit eigenem Auftreten zusammen, sondern wie die anderen auf sie reagieren. Und da sehe ich sehr viel Positives, gerade im zivilisierten Streit um Inhalte, um Ringen um Problemlösungen konkreter Art, in dem Abbau moralischer Arroganz, bei dem alle Argumente oft schnell ummantelt werden in der politischen Mitte. Da sind Lerneffekte, die systematisch populistische Parteien kleiner machen.
Kaess: Den Zenit überschritten, sagen Sie, hätte die AfD. Sehen Sie das bundesweit so, oder bezieht sich das jetzt nur auf Westdeutschland?
Korte: Ich sehe das bundesweit so. Dieses Klima einer sorgenvollen Zufriedenheit, so eine ambivalente Grundstimmung, wenn die Parteien das beantworten - und ich sehe durchaus Chancen, dass sie das beantworten können mit einer Koalitionsidee aus Jamaika heraus -, dann kann man auch Gesprächsstörungen auffangen und für eigene Wähler wieder mobilisierend einbringen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.