Barenberg: Herr Günther, rote Linien auf allen Seiten. Kommt Ihnen das irgendwie vertraut vor?
Günther: Nein, so würde ich das nicht formulieren. Wir haben das beim letzten Mal nicht so formuliert. Wir haben ja auch eine ein bisschen andere Ausgangssituation in Schleswig-Holstein gehabt, weil da auch noch andere Bündnisse möglich gewesen sind, und deswegen hat es am Anfang etwas länger gedauert, bis die Verhandlungen begonnen haben, denn da war ja die SPD noch ein Stück stärker und hätte auch die Möglichkeit gehabt, dass es dort eine Ampel gibt.
Das war die erste Diskussion bei uns. Danach haben wir aber sehr gute Verhandlungen geführt und sind bewusst nicht mit roten Linien in diese Verhandlungen gegangen.
Barenberg: Sie möglicherweise nicht. Aber von den Grünen und von den Liberalen erwartet man ja im Moment gar nichts anderes, als dass sie klarmachen, zu welchen Bedingungen überhaupt eine solche Koalition vorstellbar wäre. Insofern ist das doch bestimmt etwas, was Sie kennen, dass das am Beginn einer Verhandlung dann stehen dürfte.
Günther: Ja, klar. Die Parteien müssen sich ja auch in einem solchen Bündnis wiederfinden. Man muss schnell versuchen, Vertrauen zu gewinnen, dass man auch gegenseitig weiß, dass man sich respektiert und dass jede Partei auch den anderen Parteien gönnt, dass sie eigene Punkte umsetzen wollen. Gerade wenn eine solche Koalition ja jetzt schon auch einen Regierungswechsel bringt, kann ich vollkommen nachvollziehen, dass sowohl Grüne als auch FDP das auch sichtbar machen wollen.
Das haben auch wir als Union am Ende zu akzeptieren. Aber natürlich ist es vollkommen klar, dass auch wir als größte Partei am Ende etwas in das Bündnis einbringen müssen. Auch wir haben Punkte, die nachher in einem solchen Koalitionsvertrag stehen müssen.
"In so wahnsinnig viel zentralen Fragen sehe ich die Unterschiede nicht"
Barenberg: Nun macht es ja im Moment den Eindruck, als wüssten Liberale, als wüssten Grüne sehr genau, was sie wollen und was sie nicht akzeptieren können, während sich CSU und CDU erst noch mal selber sortieren müssen über ihre gemeinsame Linie. Schwächt das die Verhandlungsposition der Union zu Beginn jetzt oder vor Beginn der Sondierungsgespräche?
Günther: Es würde sie schwächen, wenn es keine Einigung vorweg gäbe. Das ist ja der Unterschied zu uns in Schleswig-Holstein. Wir als Union sind ja eine Partei. Auf Bundesebene sind es halt zwei Parteien. Und es wäre, glaube ich, fatal, in Verhandlungen zu gehen, wenn die Union keine geschlossene Linie hat, wenn man sich nicht auf bestimmte Punkte verständigt hat. Von daher ist es absolut richtig, dass es erst eine Einigung zwischen CDU und CSU gibt und danach dann auch die Verhandlungen beginnen können.
Barenberg: Nun gibt es diesen Bayernplan, dieses eigene Wahlprogramm der CSU ja nicht umsonst, sondern weil sich CDU und CSU über Monate, über Jahre, kann man fast sagen, bei zentralen Fragen nicht haben einigen können. Welchen Rat geben Sie der Kanzlerin, wie das jetzt gelingen könnte?
Günther: Na ja. In so wahnsinnig viel zentralen Fragen sehe ich die Unterschiede nicht. Wir haben einen Unterschied immer gehabt, das ist in der Flüchtlingspolitik gewesen. Die Obergrenze, die die CSU dort eingezogen haben will, war für uns als CDU immer nicht denkbar, weil wir auch gesagt haben, wir können nicht unsere humanitäre Flüchtlingspolitik anhand von irgendwelchen Zahlen definieren, sondern wir müssen konkrete Politik machen.
Und ich finde es auch ein bisschen schade, dass die Diskussion jetzt wieder darauf reduziert wird, denn schließlich haben wir mit unserer Politik ja erreicht, dass diese Obergrenze schon lange eingehalten wird. Wir haben weniger Flüchtlinge als 2015 und das ist durch konkrete Politik gemacht worden, und ich würde mir schon auch wünschen, dass man sich eher wieder auf konkrete Politik bezieht, als wirklich abstrakte Diskussionen auch über Zahlen zu führen.
Barenberg: Die CSU soll endlich aufhören, immer mit dem Wort Obergrenze zu kommen?
Günther: Zumindest mache ich keinen Hehl daraus, dass die Position, die wir als CDU vertreten, die ist, die ich auch immer im Wahlkampf vertreten habe, und bei uns hat es in Schleswig-Holstein nicht geschadet, dass wir diese Position so vertreten haben.
Aber es muss am Ende eine Einigung geben. Da, finde ich, hört man ja jetzt auch Signale, dass sich da keiner auf eine bestimmte Zahl verständigt, sondern dass man jetzt wirklich auch eine gewisse Offenheit hat, darüber zu sprechen. Vielleicht kann man ja jetzt in den nächsten Tagen auch Kompromissmöglichkeiten ausloten, um dann zu gucken, wie wir in die Verhandlungen gehen.
"Es ist so ziemlich alles falsch, was Martin Schulz nach der Wahl gemacht hat"
Barenberg: Sie sehen Kompromissangebote von Seiten der CSU, obwohl es so ist, dass Horst Seehofer schwer unter Druck ist mit Blick auf sein Ergebnis in Bayern und die bevorstehenden Landtagswahlen im Freistaat?
Günther: Na ja. Die CSU wird ja auch das Wahlergebnis in Bayern sorgsam analysieren. Ich stelle nur für mich fest, dass die Landesverbände gut abgeschnitten haben, die den Kurs von Angela Merkel auch mitgetragen haben. Das haben wir in Schleswig-Holstein auch gemacht. Wir liegen zum ersten Mal überm Bundestrend. Das hat vorher so in der Form nicht geklappt. Und ich finde, das muss man in einer Analyse auch mal berücksichtigen.
Barenberg: Sie sind ganz zuversichtlich, dass das jetzt relativ kurzfristig gelingt, sich zu einigen, um dann mit den anderen Partnern sprechen zu können. Was diese Gespräche dann angeht: Martin Schulz hat ja den Vorwurf erhoben, dass Angela Merkel zu allen Konzessionen bereit sein wird, nur um das Kanzleramt zu behalten. Was ist an dieser Analyse falsch?
Günther: Ich finde, es ist so ziemlich alles falsch, was Martin Schulz nach der Wahl gemacht hat. Offenkundig ja auch vor der Wahl, sonst hätte die SPD ja besser abgeschnitten. Aber ich kann auch nur selbst sagen, als größte Partei muss man in Verhandlungen auch ein Stück eine moderierende Rolle spielen. Ich glaube, in Verhandlungen reinzugehen und als größte Partei zu sagen, nur unter diesen Bedingungen reden wir überhaupt miteinander, ist eine denkbar schlechte Konstellation, zumal wir ja auch berücksichtigen müssen, dass es so viele verschiedene Möglichkeiten nicht gibt.
Die SPD hat sich in die Büsche geschlagen, was ich nicht nachvollziehen kann. Aus parteitaktischen Gründen kann ich es nachvollziehen, aber nicht, wenn man das Wohl der Bundesrepublik Deutschland im Sinn hat. Von daher müssen wir unsere Position natürlich schon intern definieren, aber ich halte es für klug, wenn man in Verhandlungen wirklich mit einer großen Offenheit reingeht, denn wir haben großes Interesse daran, dass wir bald eine handlungsfähige Bundesregierung haben.
Barenberg: Denn Sie sagen es, um ein Wort der Kanzlerin aufzugreifen: Jamaika ist alternativlos.
Günther: Ich finde es richtig, dass wir die SPD nicht so schnell haben davon kommen lassen. Ich finde es auch richtig, dass Angela Merkel der SPD noch mal Gespräche angeboten hat. Wie gesagt: Aus parteitaktischen Gründen kann ich das verstehen. Aber in einer solchen Situation, wo im Prinzip nur zwei seriöse Regierungen möglich sind, einfach zu sagen, wir machen nicht mehr mit, ist, finde ich, nicht besonders sozialdemokratisch. Deswegen ist es in der Tat so, das zweite Bündnis ist Jamaika. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich dieses Bündnis für Schleswig-Holstein immer für richtig gehalten habe und auch auf Bundesebene große Chancen in einem solchen Bündnis sehe. Aber ich bin auch der Auffassung, dass gerade Angela Merkel auch die Kraft hat, ein solches Bündnis am Ende zusammenzuführen.
Kleinster gemeinsamer Nenner: "Das wäre das Schlechteste, was uns in Deutschland passieren könnte"
Barenberg: Nun gibt es, das wissen wir alle, fundamentale Unterschiede zwischen Grünen und Liberalen in einigen zentralen Politikbereichen. Sie haben vorhin gesagt, die Rolle desjenigen, der da die Verhandlungen führt, in diesem Fall der Kanzlerin, in Ihrem Fall waren Sie das in Kiel, ist so etwas eine moderierende Rolle. Heißt das, dass am Ende der kleinste gemeinsame Nenner herauskommt?
Günther: Nein, das wäre das Schlechteste, was uns in Deutschland passieren könnte. Genau so dürfen die Verhandlungen eben nicht geführt werden. Die Unterschiede übrigens sind nicht nur zwischen Grünen und FDP groß, die sind genauso zwischen Union und FDP, in Teilen auch der inneren Sicherheit zwischen Union und Grünen, auch bei der Flüchtlingspolitik groß. Auch wir in Schleswig-Holstein haben Hürden gehabt, wo viele Beobachter vorweg gesagt haben, wie wollen die sich darauf einigen.
Unser Geheimnis des Erfolges war am Ende, dass jede Partei akzeptiert hat, wenn ein solches Bündnis funktionieren muss, müssen Parteien auch klare Punktsiege machen. Wenn man wirklich sich überall in allen Politikfeldern nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verständigt, dann wird auch nie was Großes daraus entstehen, weil dann hat man keine Innovationskraft. Dann wird nicht in die Zukunft regiert, sondern dann wird ein Land nur verwaltet. Von daher müssen wir uns auch als CDU darauf einstellen, dass wir Grünen und FDP in Teilbereichen einen richtigen Punktsieg gönnen, und umgekehrt.
"Man muss realistisch sagen, dass wir den Grünen entgegengekommen sind"
Barenberg: Wo, würden Sie denn sagen, würden nach Ihrem Rat Grüne und FDP einen Punktsieg gegen die Union machen können?
Günther: Punktsiege können nur entstehen, wenn man sie nicht vorher verkündet. Das haben wir in Schleswig-Holstein auch so gemacht. Ich kann Ihnen umgekehrt sagen, in Schleswig-Holstein haben wir einen Koalitionsvertrag geschmiedet, wo wir gerade im Bereich Wirtschafts- und Verkehrspolitik, auch in der Bildungspolitik als CDU wirklich die stärksten Punkte gesetzt haben.
Umgekehrt, glaube ich, muss man realistisch sagen, dass wir den Grünen entgegengekommen sind in Teilbereichen der Flüchtlingspolitik, aber auch beim Thema Energiepolitik, weil wir auch akzeptiert haben, auch die Grünen brauchen für ihre eigene Wählerschaft klare Signale, dass sie etwas in den Koalitionsvertrag eingearbeitet haben.
Barenberg: … sagt der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und CDU-Landesvorsitzende. Vielen Dank für das Gespräch, Daniel Günther.
Günther: Vielen Dank auch, Herr Barenberg.
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