Jamala hat keinen Hehl daraus gemacht, dass ihr Song "1944" ein politischer ist, wenngleich sie darin die Geschichte ihrer Familie, der Urgroßeltern, erzählt, die unter Stalin 1944 von der Krim nach Zentralasien deportiert worden sind. Eine Tochter der insgesamt fünf Kinder starb auf dem Weg, durfte nicht einmal begraben werden.
"Mein Leid als Tropfen in einem Ozean"
Mit diesem schweren Thema ging die 32-Jährige ein hohes Risiko ein, die ausgebildete Opernsängerin unterschied sich deutlich von ihren Mitbewerben. Dass ihr die Situation in ihrer Heimat mehr Kummer bereiten würde als ein schlechtes Abschneiden in Stockholm, hatte sie immer wieder betont.
Wohl auch deshalb übte sie sich nicht in einem diplomatischen Eiertanz, ob ihr Beitrag nun ein politisches Statement ist oder nicht. Nach der Verhaftung des Vize-Chefs der Medschlis, das ist die Vertretung der Krimtataren auf der okkupierten Halbinsel, hatte Jamala noch am Vorabend des Finales Position bezogen.
"Mein Lied ist jetzt noch aktueller, leider. Ich singe für die ganze Ukraine, für die Krim. Ich möchte, dass mein Leid ein Tropfen in dem Ozean wird und hilft, die Probleme der Ukraine und der Krimtataren zu lösen."
Vor allem aus Russland kam Protest, das Lied "1944" zuzulassen, doch die EBU in Genf hatte beschieden: "Der Titel und der Text enthalten keine politische Botschaft, der Song steht nicht im Widerspruch zu den Regeln des Wettbewerbs."
Deutlicher Kontrast zwischen Publikums- und Juryvotum
Für Russlands Kandidaten Sergej Lasarew hatten die Showmaster eine beeindruckende Videoinstallation geschaffen, doch auch Jamalas Präsentation war sichtbar perfektioniert worden, das Kostüm in den Vorrunden noch kritisiert, stimmte und das imitierte Flammenmeer unterstrich die Dramatik des Textes
"Wenn unbekannte in dein Haus kommen, wenn sie euch alle umbringen und sie sagen, sie sind nicht schuld, wo ist euer Verstand."
Zeilen, die aktuell sind und auch wieder nicht. Denn direkt bei der Annexion der Krim gab es keine Toten, doch es war ein Versteckspiel der sogenannten grünen Männchen, bei denen es sich in Wirklichkeit um russische Soldaten handelte.
Noch während die Punkteverteilung der Jurys aus den einzelnen Ländern schien alles auf die australische Sängerin Dami Im zuzulaufen, das vorausgesagte Kopf-an-Kopf-Rennen von Jamala und Sergej Lasarew doch nicht stattzufinden. Doch die Fernsehzuschauer entschieden ganz anders.
"Für sie waren Jamala und Sergej Lasarew die besten, die Ukrainerin siegte."
ESC 2017 auf der Krim?
Für Kiew die erste gute Nachricht seit langem, der Eurovisions Contest wird im kommenden Jahr in der Ukraine ausgetragen. Vor 12 Jahren hatte das Ruslana geschafft, wie sie wird nun auch Jamala als Volksheldin gefeiert. Präsident Poroschenko, Premier Groiman und Außenminister Klimkin gratulierten, letzterer mit den Worten: die Wahrheit siegt immer.
Refat Tschubarow von der Medschlis, der Vertretung der Krimtataren, bedankte sich bei Jamala wie auch bei den vielen Zuschauern, die für sie votierten, vor allen denen von der okkupierten Krim. Der ukrainische Abgeordnete Mustafa Najem regte an, den Wettbewerb 2017 Zitat: gerechterweise auf der Krim auszutragen, der Heimat von Jamala.
Ein Wunsch, der wohl kaum wahr werden dürfte und den eine lange und heftige Diskussion überschatten wird, ob Moskau mit einem Beitrag antritt, Kiew den- oder diejenige zulassen wird oder nicht.