Eines der berühmtesten Gespräche, das James O’Brien "on air" geführt hat, ist das mit Daniel. Das Gespräch wurde ein viraler Hit. James O’Brien spricht - wie die meisten Briten - sein Gegenüber mit Vornamen an. Sein Anrufer behauptet steif und fest, dass die Bibel Homosexualität als Sünde verurteile. Und O’Brien fragt 27 Mal nach, was Jesus denn über Sexualität gesagt habe. Und 27 Mal hört er Ausflüchte. Dann sagt der Moderator:
"Mann, Du kannst sagen, was Du willst. Die Frage, die Du nicht beantworten willst, lautet: 'Was hat Jesus über Homosexualität gesagt?' und wir beide wissen, dass Du die Frage nicht beantwortest, weil er einfach nichts dazu gesagt hat. Jetzt frage ich Dich, warum Du glaubst, dass Deine Religion so viel Aufhebens um Homosexualität macht. Ich gebe Dir recht, ein Gespräch darf keine Einbahnstraße sein, aber es darf auch nicht zu einer Übung verkommen, bei der ich Dir eine Frage stelle und Du beantwortest eine komplett andere."
Zuhörer mit großem Ego
Dieser Dialog zieht sich minutenlang – Minuten, in denen man als Zuhörer hin- und hergerissen ist. Denn so dünn und fadenscheinig die Argumentation von Anrufern wie Daniel gewebt ist, so sehr leidet man dennoch mit ihnen. Denn O’Brien ist nicht zimperlich. Er nimmt Leute auseinander, wenn sie keine guten Gegenargumente finden. Und das ist oft der Fall.
James O’Brien arbeitet für den erfolgreichsten privaten Radiosender in Großbritannien, den größten Konkurrenten der BBC. Dieser Sender hat auch Nigel Farage und Jacob Rees-Mogg unter Vertrag, also genau die rechten Politiker, die seit Jahren vehement für den Brexit kämpfen und dem Populismus und der Fremdenfeindlichkeit den Boden bereitet haben, die O’Brien jetzt als Moderator bekämpft.
Ein "linksliberaler" Talkshow-Moderator in einem Umfeld, in dem es vor stramm Konservativen nur so wimmelt: Der Autor ist tatsächlich a "very rare beast", ein sehr seltenes Exemplar, wie er sagt, und er gibt zu: "Man braucht ein etwas überentwickeltes Ego, um den Job zu machen."
Weil er seit 15 Jahren von Montag bis Freitag jeden Vormittag drei Stunden mit Hörern redet, kommt seine großspurig klingende Behauptung der Wahrheit vermutlich recht nahe: "Ich hatte vermutlich in den vergangenen Jahren mehr Gelegenheiten, normalen Menschen zuzuhören als fast jeder andere auf diesem Planeten."
Den Spiegel vorhalten
Der Titel des Buches "How to be right in a world gone wrong" - "Wie man Recht behält in einer Welt, in der alles falsch läuft" suggeriert, dass es O’Brien vor allem darum geht, die Anrufer zurechtzuweisen und selbst Recht zu behalten. Aber seine große Stärke ist das Zuhören.
Während andere bei dem Satz "Man wird ja wohl noch sagen dürfen..." sofort unterbrechen oder den Anrufer loswerden wollen, ermuntert der Moderator seine Anrufer, exakt das zu sagen, was sie denken. Das einzige, was er von ihnen verlangt, ist, dass sie ihre Position überzeugend rechtfertigen können. Denn das werde Menschen mit Vorurteilen inzwischen viel zu selten abverlangt:
"Man muss den Anrufer als intelligenten, nachdenklichen Menschen behandeln und ihn damit ermutigen, die Wurzeln und die Konsequenzen seiner Meinungen zu verstehen", schreibt O’Brien. "Mein Job ist es, ihm einen Spiegel vorzuhalten, während er das macht."
Sein Anrufer Andy aus Nottingham, eines der zahlreichen Beispiele aus seiner Sendung, sieht im Spiegel einen Menschen, der auf einen populistischen Slogan reingefallen ist. Er hat für den Brexit gestimmt, weil er glaubt, dass Großbritannien nur damit die Kontrolle über die eigene Gesetzgebung zurückbekommen kann – "take back control". O’Brien bohrt so lange nach, welche EU-Gesetzgebung denn genau sein Leben negativ beeinflusse, bis klar wird: Andy fällt kein einziges Gesetz ein.
Fakten statt Fake News
Brexit, Trump, LGBTQ, also sexuelle Orientierung, Islamismus, Political Correctness: O’Brien hat den heißen Themen unserer Zeit jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet. Jedes liest sich wie ein unterhaltsamer Grundkurs im Entkräften von Vorurteilen. Oft gelingt es dem Moderator aber erst nach minutenlangem verbalem Sezieren, alle Schichten der Lüge zu durchtrennen.
So pitbullartig sich O’Brien auch in die Vorurteile seiner Hörer verbeißt, er verurteilt nicht sie persönlich, sondern die rechtspopulistischen britischen Medien wie den "Daily Mirror" und die "Sun", die ihre Ängste schüren.
Gegenhalten, gegenhalten, gegenhalten. Das ist sein Credo. Und sein Buch ist ein inspirierendes Beispiel, wie man es machen kann. Nicht nur für Journalisten. Statt beim nächsten Mal nur mit den Augen zu rollen, wenn ein populistisches Argument aufkommt, sollten wir dazwischen gehen und hinterfragen, welche Fakten hinter all den Fake News stecken.
James O’Brien: "How to Be Right... in a World Gone Wrong",
W.H. Allen, 240 Seiten, in Deutschland für 15,51 Euro erhältlich.
W.H. Allen, 240 Seiten, in Deutschland für 15,51 Euro erhältlich.