Mitte Juli veröffentlichte die NASA die ersten Bilder des James Webb-Teleskops: Ein Milliarden Lichtjahre entfernter Galaxienhaufen, eine bunte Gas- und Staublandschaft in der Milchstraße und das Spektrum eines Planeten, der um einen fernen Stern kreist, verzückten die Fachwelt ebenso wie die breite Öffentlichkeit. Das Neun-Milliarden-Dollar-Instrument, das sich in den ersten Wochen nach dem Start im All vollautomatisch entfalten musste, funktioniert perfekt und zeigt gestochen scharf die Vorgänge in den Tiefen des Kosmos.
Viele Entdeckungen dank Infrarot-Strahlung
Das verdankt das Instrument vor allem seinen Fähigkeiten im Bereich der Wärme- oder Infrarotstrahlung. Weit unter -200 Grad Celsius gekühlt sieht „James Webb“ so noch weiter hinaus ins All und noch weiter zurück in die Vergangenheit als das Hubble-Teleskop. Das Webb-Team sucht nach den ersten Sternen und Galaxien, die nach dem Urknall im Universum aufgeleuchtet sind.
Schon die ersten Daten zeigen, dass es bereits im erst 200 Millionen Jahre alten Kosmos viele helle Sterne gegeben haben muss. Allerdings ist völlig rätselhaft, wie so schnell Sterne zünden konnten. Die Astronomie braucht neue Theorien, um zu erklären, wie es im nach dem Urknall erst einmal dunklen Kosmos wieder hell wurde.
Heidelberger Technik an Bord von James Webb
Das neue Weltraumteleskop ist ein gemeinsames Projekt von NASA, ESA und der kanadischen Weltraumagentur. Ein „Webb-Zentrum“ in Deutschland ist das Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Das Team dort ist unter anderem am MIRI-Instrument beteiligt. Dies ist mit einer Temperatur von etwa -265 Grad Celsius die kälteste Kamera von „James Webb“.
Sie ermöglicht einen tiefen Blick in Innere von Gas- und Staubwolken, in denen sich gerade Sterne und Planeten bilden. Bisher blieben die Details dieser Vorgänge meist verborgen – mit „James Webb“ sehen die Astronominnen und Astronomen jetzt den Sternen beim Entstehen zu.
Gibt es Leben im All?
Auch Exoplaneten liegen im Visier, vor allem Planeten, die um nahe Sterne in der Milchstraße kreisen und über eine Atmosphäre verfügen. Die Instrumente an Bord haben schon Kohlendioxid, Natrium, Wasserdampf und andere Stoffe in der Gashülle eines riesigen Planeten nachgewiesen. Der Traum des Webb-Teams ist, kleine felsige Exoplaneten ähnlich unserer Erde zu finden, auf denen Leben möglich wäre.
Der direkte Nachweis von Leben wäre dann allerdings erst mit Großteleskopen von der Erde aus möglich, etwa dem europäischen 39-Meter-Teleskop in Chile, das in etwa fünf Jahren fertig sein soll.
Das zweite Jahr wird noch spannender
Nach rund einem halben Jahr Routinebetrieb wissen die Fachleute, was James Webb kann. Das Teleskop übertrifft alle Erwartungen, ist deutlich empfindlicher und sieht schärfer als geplant. Große Sensationen kann es so kurz nach dem Start noch nicht geben. Aber schon bald dürften die Beobachtungen des neuen Weltraumteleskops fast alle Bereiche der Astronomie umkrempeln.
Viele Expertinnen und Experten warten vor allem auf die große Überraschung, auf Entdeckungen, Objekte und Phänomene, die bisher noch komplett unbekannt sind - und das Zeug haben, die Kosmologie in ihren Grundfesten zu erschüttern.
Woraus besteht das Universum?
Die Fachwelt sehnt sich nach einer solchen Revolution. Denn nach dem aktuellen Standardmodell enthält das Universum nur zu fünf Prozent die uns vertraute Materie. 95 Prozent sind Dunkle Materie und Dunkle Energie – und von beiden ist völlig rätselhaft, was physikalisch dahintersteckt und woraus sie bestehen.
Vielleicht lassen sich in einigen Jahren dank der James-Webb-Beobachtungen Dunkle Materie und Dunkle Energie verstehen – oder die Fachleute überwinden diesen Ansatz und finden einen neuen, ohne diese mysteriösen Komponenten.
Was vor dem Start nur eine Hoffnung war, ist nach einem Jahr im All Gewissheit: Mit "James Webb" steht die Astronomie am Beginn einer neuen großen Ära.