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Jamila Woods - "Legacy! Legacy!"
Empowerment für die Gegenwart

Jamila Woods hat die meisten ihrer neuen Songs nach großen Persönlichkeiten der afroamerikanischen Geschichte benannt. Damit verbindet die Rapperin ein persönliches Anliegen: „Ich versuche, Musik zu machen, die die Leute befreit, vor allen Dingen schwarze Menschen, schwarze Frauen."

Jamila Woods im Corsogespräch mit Christoph Reimann |
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Jamila Woods 2019 (Jagjaguwar)
Christoph Reimann: Auf dem Album geht es um das kulturelle Erbe verschiedener Größen der Zeitgeschichte. Die meisten von ihnen sind People of Color. Wie ist das gedacht: als Hommage oder als Bildungsoffensive?
Jamila Woods: Die meisten Songs tragen die Namen schwarzer Künstler und Künstlerinnen im Namen. Einen Song habe ich aber auch nach Frida Kahlo benannt. Die Idee dahinter war, die Menschen zu benennen, die meine Kunst und meine Art zu denken beeinflusst haben. Es ging dabei aber nicht so sehr darum, direkt über sie zu schreiben. Vielmehr wollte ich autobiografische Songs schreiben - erzählen, was ich von ihnen für mein Leben mitnehmen konnte.
Reimann: In dem Song "Sonia" singen Sie, dass Ihre Vorfahren Sklaven waren. Dann geht es also tatsächlich um Ihre Familie, nicht so sehr um die Dichterin und Black-Arts-Künstlerin Sonia Sanchez?
"Meine Vorfahren waren Sklaven"
Woods: Ja. Meine Vorfahren waren Sklaven, so wie es bei vielen Afroamerikanern der Fall ist. Meine Mutter interessiert sich sehr für unsere Familiengeschichte und hat nachgeforscht – mit DNA-Tests und so. Allein darüber habe ich viel gelernt. Der Song aber ist inspiriert von einer Improvisation beziehungsweise einem Gedicht von Sonia Sanchez, geschrieben aus der Perspektive einer schwarzen Frau, die mal Sklavin war. Es geht darum, welchen Einfluss die Sklaverei insbesondere auf das Leben von Frauen hatte. Dass diese Frauen nicht nur unterwürfig sein mussten, weil sie Sklaven waren, sondern auch, weil sie Frauen waren. Sie konnten nicht über ihren eigenen Körper bestimmen, nicht bestimmen, wessen Kinder sie zur Welt bringen. Ob sie überhaupt Kinder haben wollen.
Im Refrain des Gedichtes heißt es: "Es war schlimm." Immer und immer wieder. Manchmal sagen die Leute ja: Ich bin es leid, immer wieder diese Geschichten über die Sklaverei zu hören. Lass mal gut sein. Ich dagegen finde: Wir müssen immer wieder darüber sprechen können. Und das habe ich aus diesem Gedicht für mich mitgenommen, darum geht es, und auch um meine eigenen Erfahrungen als schwarze Frau.
"Es ist an der Zeit, Rassismus intersektional zu betrachten"
Reimann: Erleben Sie viel Rassismus in den USA?
Woods: Auf jeden Fall gibt es viel Rassismus, in den USA, aber auch anderswo. Und es ist an der Zeit, Rassismus intersektional zu betrachten. Zu schauen, wie er sich insbesondere auf das Leben von schwarzen Frauen auswirkt.
Reimann: Wie, meinen Sie, sind die Frauen davon betroffen? Heute, in den USA.
Woods: Im Kampf um die Gleichberechtigung von Afroamerikanern waren es oft schwarze Männer, die im Mittelpunkt standen. Da genügt ein Blick auf die Bürgerrechtsbewegung: Ganz oft sind es die Namen von Männern, die einem in diesem Zusammenhang einfallen.
Bei der Black-Lives-Matters-Bewegung ist es anders. Den Namen hat eine Frau geprägt. Auch andere aktuelle Bewegungen legen mehr Wert darauf, Frauen einen Platz im Vordergrund einzuräumen. Eben weil wir lange Zeit unsichtbar beziehungsweise ausgegrenzt worden sind, sogar bei Bürgerrechtsbewegungen.
Songs für Ocatvia E. Butler und Zora Neale Hurston
Reimann: Sie haben Songs nach Octavia E. Butler, James Baldwin oder Zora Neale Hurston benannt. Was haben Sie von deren Vergangenheit für Ihre Gegenwart mitnehmen können?
Woods: Das war bei jeder Person etwas anderes. Das Tolle an dem Album war aber, erst mal so eine Namensliste zu schreiben. Nicht jede Person darauf hat einen Song abgekriegt. Aber es hat mich zum Nachdenken darüber gebracht, wessen Bücher ich gerne gelesen, wem ich gerne zugehört habe, wessen Werke mich bereichert haben. Viel davon fand nicht in der Schule statt. Zora Neale Hurston zum Beispiel kam da nicht wirklich vor. Als wurde ich zu meiner eigenen Bildungsministerin.
Reimann: Was sie zum Beispiel gemacht hat: Sie hat Lieder und Gedichte von Schwarzen gesammelt und dokumentiert.
Woods: Ja. Sie war vor allen Dingen im Süden unterwegs, in Florida und in den Gullah-Regionen. Sie hat die Sprache der Menschen untersucht und dafür sorgen, dass die Kultur dort erhalten bleibt.
Reimann: Aber sie starb in Armut und wurde anonym beerdigt.
Woods: Ja. Ihre Arbeit wurde zu Lebzeiten weniger geschätzt als heute. Das ist schade. Und ich glaube, es liegt daran, dass Schwarze nur bestimmte Teile ihrer Persönlichkeit zeigen durften. Dagegen hat sie sich gewehrt. Sie hat zum Beispiel ein ganzes Buch im Dialekt des Gullah-Volkes geschrieben. Aber das wurde damals nicht gerne gesehen. Vielmehr hieß es, dass man "richtiges Englisch" sprechen müsste. Ich glaube, das ist einer der Gründe, weshalb ihre Arbeit nicht viel Wertschätzung erfahren hat. Sie war da auf ihrer eigenen Reise.
Der Weg zur eigenen Stimme
Reimann: Wie haben Sie zu Ihrer eigenen Stimme gefunden?
Woods: Als man mir in der High School Gedichte nahegelegt hat – in der Zeit habe ich viel darüber gelernt, wie man sich ausdrücken kann. Und ich habe mir erlaubt, meine eigene Geschichte zu erzählen. Ich habe angefangen, meiner eigenen Stimme Vertrauen zu schenken. Davor dachte ich oft: Mein Leben ist langweilig. Wen interessiert das schon? Die Gedichte von Gwendolyn Brooks haben mich stark beeinflusst. Ich habe Spoken Word dann als eigenes Genre begriffen, das die Ich-Perspektive in den Vordergrund stellt. Ich wäre heute sicher eine Songschreiberin, eine andere Sängerin, wären da nicht zuerst die Gedichte gewesen.
Reimann: Reden wir über die Musik. Selbst in rauen, heftigen Momenten bleibt Ihre Stimme ruhig und entspannt. Ist das eine Frage des Stils oder der Haltung?
Woods: Ich glaube, so klingt meine Stimme einfach. Das ist der Stil, der ihr natürlich liegt. Aber auf dem neuen Album wollte ich mich schon ein bisschen fordern, etwa in Songs wie "Muddy" oder "Basquiat". Wenn ich nicht darüber nachdenke, klingt meine Stimme weich und sanftmütig. Aber manchmal haben die Lyrics etwas anderes gefordert. Manchmal ist der Kontrast, der dann entsteht, toll. Aber manchmal habe ich eben dieses Mal versucht, meine Stimme mehr dem emotionalen Gehalt der Lyrics anzupassen.
Jamila Woods
Die Soul-Musikerin Jamila Woods gilt als die junge Stimme der Protestbewegung "Black Lives Matter" (Zoe Rain)
Black-Live-Matter-Bewegung im Jahr 2019
Reimann: Sie haben die Black-Lives-Matter-Bewegung schon angesprochen. Ihr Debüt "Heavn" zu einer Zeit erschienen, als hier in Deutschland regelmäßig über die Bewegung berichtet wurde. Jetzt hört man wenig davon. Wahrscheinlich ist es nicht richtig zu sagen, dass die Bewegung feststeckt. Aber es gibt andere Themen, denen viel mehr Beachtung geschenkt wird. Wo steht die Black-Live-Matter-Bewegung im Jahr 2019?
Woods: Im Medienrummel gibt es immer nur Platz für ein großes Hashtag-Thema. Und vielleicht schreiben Journalisten heute lieber über die #MeToo-Bewegung. In meiner Community in Chicago passiert aber immer noch viel. Im Moment engagieren sich viele Black-Lives-Matter-Aktivisten in der bevorstehenden Bürgermeisterwahl. Eine Kandidatin, die zur Wahl steht, war aktiv an der Vertuschung eines Todesfalls beteiligt, bei dem ein Schwarzer von einem Polizisten getötet wurde. Das machen diese Aktivisten publik. Sie sorgen dafür, dass sie nicht gewählt wird. Ich glaube also nicht, dass die Bewegung stecken geblieben ist.
"Ich hoffe, dass Schwarze in der Zukunft mehr Freiheiten haben"
Reimann: Es gibt also Resultate.
Woods: Ja, viele tolle Dinge sind daraus entstanden. Auch der MeToo-Hashtag kam ja von einer schwarzen Frau. Auch diese Bewegung sollte schwarze Frauen in den Mittelpunkt stellen, und allein schon wegen der Namensgeberinnen sind beide Bewegungen miteinander verbunden.
Reimann: Sehen Sie sich mit Ihrer Musik als Teil der Black-Lives-Matter-Bewegung?
Woods: Ich denke schon, ja. Meine Musik steht in der Tradition von Künstlern, die authentisch waren, die sie selbst waren, selbst wenn sie damit angeeckt sind. Black Lives Matter erleben wir jetzt gerade. Ich werfe zusätzlich einen Blick auf die Geschichte der Afroamerikaner. Und oft denke ich mir dann: Wenn die das ausgehalten, halte ich auch meine persönlichen Kämpfe aus.
Reimann: Ein Song ist nach Sun Ra benannt. Er sah die Zukunft der Afroamerikaner im Weltall. Space is the place. Wo sehen Sie die Zukunft der People of Color in den USA?
Woods: Gute Frage. Was mir an Sun Ra gefällt: Er hat ja selbst von sich behauptet, aus dem Weltall zu kommen, von einem anderen Planeten. Und das ist ein sehr starkes Bild. Ich hoffe, dass Schwarze in der Zukunft mehr Freiheiten haben, mehr Möglichkeiten, ihre Identität auszudrücken.
Jamila Woods
Ihre Songs seien von persönlichen Erfahrungen inspiriert, erzählte Jamila Woods im Dlf (Zoe Rain)
Afrofuturismus und der Blick in die Geschichte
Reimann: Sind wir auf einem guten Weg?
Woods: Mit dieser Frage habe ich immer Probleme. Was den Afrofuturismus in meinen Augen cool macht: In all diesen Science-Fiction-Büchern gibt es gar keine schwarzen Menschen. Als ob die Probleme der Gegenwart in der Zukunft gar nicht mehr existieren würden.
Aber: Vielleicht ist das nur meine Generation oder die heutige Sichtweise, aber ich habe manchmal das Gefühl, dass die Zukunft sehr unsicher ist, dass die Erde ihr Haltbarkeitsdatum überschreitet, Stichwort Klimawandel. Deshalb interessiert mich vor allem die Gegenwart. Ich will mich darauf konzentrieren, dass unsere Gegenwart besser wird. Ich versuche, Musik zu machen, die die Leute befreit, vor allen Dingen schwarze Menschen, schwarze Frauen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.