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Jan Böhmermann
"Twitter kann man gar nicht ernst genug nehmen"

In einem "Twitter-Tagebuch" schreibt Jan Böhmermann über seine Erlebnisse der vergangenen Jahre. Der Kurznachrichtendienst Twitter werde von vielen Entscheidern genutzt und sei daher wichtig, sagt Böhmermann im Interview, in dem er auch die ARD kritisiert.

Jan Böhmermann im Gespräch mit Michael Borgers |
Porträtaufnahme Jan Böhmermann, TV-Entertainer, der mit erhobenem Zeigefinger spricht.
Jan Böhmermann veröffentlicht im September ein "Twitter-Tagebuch" (picture alliance/Matthias Balk/dpa)
Sechs Jahre lang war der Satiriker Jan Böhmermann mit seiner Sendung "Neo Magazin Royale" bei ZDFneo zu sehen. In dieser Zeit hat er viel erlebt: Er gab vor, ein Video des griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis gelöscht zu haben, die türkische Regierung erstattete Anzeige gegen ihn und ein Gedicht von ihm wurde verboten. Im vergangenen Jahr bewarb er sich als SPD-Parteivorsitzender.
Ein wesentlicher Kommunikationskanal für Böhmermann ist dabei Twitter gewesen und ist es auch heute noch - über 2,2 Millionen Follower hat er bei dem Kurznachrichtendienst. Im Interview spricht Böhmermann über die Umgangsformen auf Twitter und den Begriff "Cancel Culture", den er für einen Versuch hält, "eine ganze Debatte zu diskreditieren." Kritik äußert er an der ARD, die sich seiner Ansicht nach für den "dümmstmöglichen Zuschauer bückt."
Michael Borgers: 2009 ihr Start bei Twitter, das war das Jahr, in dem Michael Jackson gestorben ist, indem Barack Obama als Präsident vereidigt wurde. Elf Jahre später ist die Welt eine andere, vielleicht sogar eine deutlich andere, aber sie sind immer noch auf Twitter unterwegs. Warum?
Jan Böhmermann: Weil sich das Medium ja auch verändert hat, also das ist mitgewachsen, beziehungsweise mit kaputtgegangen, je nachdem, was man so von der Welt in Anführungsstrichen hält. Das ist einfach ein reizvolles Medium, weil es eine Mischung aus geheimem Tagebuch ist, was man aber auf einer riesigen Bühne letztlich aufführt und was dann wieder, wenn man die Sachen, die man im Kopf hat, veröffentlicht, wirkt mit den Leuten, die das lesen.
Borgers: Sie haben sich, das fällt deutlich auf, wenn man sich das Buch durchschaut, auch deutlich entwickelt seit 2009 und haben vor allem ihr Twitter-Verhalten auch deutlich verändert. Es ist viel, viel mehr geworden und auch anders. Jetzt beim Rückblick, wie haben Sie das selber so nachgelesen: Ihr Tagebuch, ihr Leben und wie Sie sich auch auf Twitter äußern?
Böhmermann: Tatsächlich, als ich dann angefangen habe, das Buch zusammenzustellen, habe ich relativ schnell gemerkt: Ach du Scheiße, du entblößt dich ja an einigen Stellen wirklich komplett und du lässt ja wirklich alle Masken fallen. Und man sieht ja mit einem bisschen Abstand ganz schön, wie es dir oder der Welt in dem Moment gerade durch deine Augen in Anführungsstrichen ging. Und tatsächlich hat sich das auch dann noch verändert mit der Reichweite. Am Anfang mit vier Followern, 2009, kannst du natürlich testosterongeladen in der Gegend rumpupen, und dann so ab 100.000 wird es dann auf einmal ein bisschen wackelig. Und wenn du am Ende dann mit 2,2 Millionen, die du dann in der Tasche hast, herumläufst, dann ist das natürlich etwas völlig anderes, und das kommt dann noch dazu zu dem, dass man sicher auch über elf Jahre verändert. Und dazu kommt, dass die Welt sich eben verändert hat und Dinge, von denen ich gedacht habe, dass die immer da sind, also so Gewissheiten, auf einmal keine mehr waren, sondern die sich in Luft aufgelöst haben. Und im Laufe des Buches merkt man, kommt denn da doch ab und zu so eine Weinerlichkeit oder echte Wut oder auch Verzweiflung durch. Es ist stellenweise, es ist natürlich ein lustiges Buch, aber es ist manchmal auch sehr roh. Für mich sehr unangenehm, sich das anzuschauen.
Borgers: Wenn wir in der Redaktion über Twitter-Themen sprechen, wenn es um Diskussionen geht, die dort gestartet sind, die dort stattfinden, zuletzt Stichwort "Cancel Culture" ganz viel. Dann fragen wir uns oft, wie ernst müssen wir das jetzt eigentlich nehmen? Müssen wir da jetzt jede Diskussion abbilden? Nehmen wir Journalistinnen und Journalisten in ihrer Wahrnehmung, nehmen wir Twitter grundsätzlich zu ernst oder zu wenig ernst?
Böhmermann: Ich glaube, man kann das erst mal gar nicht ernst genug nehmen. Ich würde mir nur wünschen, dass sich so eine gewisse Selbstverständlichkeit im Umgang mit dem Medium einstellt. Das ist eben kein Massenmedium, kein massensoziales Netzwerk, wo viele Leute, möglichst viele sind, sondern wenige Menschen, aber die wenigen Leute, die dort sind, sind auch im wirklichen Leben irgendwie administrativ tätig: politisch, kulturell, journalistisch. Das sind Leute, die im echten Leben was zu sagen haben, und wenn die sich mit dem Thema beschäftigen, muss man eben anerkennen, dass das dann offenbar ein Thema ist. Und dann muss man eben auch, glaube ich, als Journalist oder Journalistin, darüber nachdenken, was bedeutet das denn eigentlich und wie ordnet man das ein? Und man muss da auch genau sein. Also, dieses Phänomen in Anführungsstrichen, "Cancel, Culture", was ja eher so ein politischer Kampfbegriff ist, wie "Gutmenschentum" oder "linksgrünversifft" oder "Systemling", das ist eine Sache, die man natürlich als existent hinnehmen muss, aber man muss da, glaube ich, auch genau sein und mal fragen, was ist das eigentlich?
"Cancel Culture" - "Es geht um den Ausschluss unliebsamer Meinungen"
Cancel Culture ist ein Begriff für die vorauseilende Absage möglicherweise umstrittener Veranstaltungen. Sie ziele nicht auf Wahrheit, sondern auf Zensur, sagt die Tübinger Philosophin Sabine Döring.
Borgers: Ein anderes Sprachbild, ein anderer Begriff, der auf Twitter von einem besonders benutzt wird, ist der des Elfenbeinturms. Ulf Poschardt verwendet dieses Sprachbild immer gerne, beschreibt damit die linksgrüne Bourgeoisie, so nennt er das dann auch gerne, wo man sagen kann, da haben sie sich in den elf Jahren, die sie auf Twitter sind, eine besondere Rolle erarbeitet. Sie sind so etwas wie der Präsident dieser Front. Sehen Sie sich auch in dieser Rolle?
Böhmermann: Ich kann diesen Hang zum politischen Theater verstehen, auch dieses Chefredakteurs, dieses Sprachbilds. Das verstehe ich auch, woher das kommt. Es ist nur, und das ist vielleicht so der grundsätzliche Dissens zu dieser Art von Twitter-Community, dass ich glaube, dass es tatsächlich etwas gibt, um das es geht. Es ist nicht alles Theater, und es gibt einfach gewisse Grenzen, die es auch im echten Leben gibt, die man einhalten muss. Elfenbeinturm ist ein bisschen wie "Cancel Culture", es ist letztlich der Versuch, mit einem einfachen Theaterbegriff eine ganze Debatte zu diskreditieren und woanders eigene Punkte zu setzen.
Borgers: Worauf ich hinaus wollte, ist natürlich auch Ihr Ton, den Sie auch von Anfang an hatten und Ihre Art, sich über Dinge zu äußern, sich über Dinge lustig zu machen. Wenn Sie zurückschauen, bereuen Sie auch den einen oder anderen Angriff, den Sie in der Vergangenheit gefahren haben?
Böhmermann: Ach ja, also gerade die Kleineren. Und wenn ich dann manchmal vergesse, dass ich da mit so einem Ozeandampfer in der Tasche durch die Gegend fahre, also dann einfach zu viel Dampf auf zu dünne Nägel gehauen habe. Da bereue ich natürlich schon, und dann tut mir das auch leid. Und dann entschuldige ich mich in der Regel auch bei den Leuten. Gerade wenn es eben Privatpersonen betrifft oder Leute, die da wirklich dann überrumpelt sind. Aber es ist halt mein Job, Dinge nicht ernst zu nehmen. Und das ist auch das große Missverständnis von Leuten, die bei Twitter sich aufhalten und die dann meinen, in dieser Manege auch anfangen zu wollen, wo die Clowns rumlaufen, mit Torten zu schmeißen. Wenn du in der Manege stehst, und mit Torten schmeißt, musst du dich halt nicht wundern, wenn Du selber mal eine abbekommst. Und wenn das dann wiederum gegen dein Selbstverständnis als Chefredakteur geht oder als Person, die was von sich hält, dann muss man einfach sagen: Augen auf bei dem Ort, an dem du dich der Debatte stellst. Also, ich kann verstehen, dass Robert Habeck sich irgendwann bei Twitter zurückgezogen hat, wenn da einfach nicht dauerhafte Bestätigung einem entgegenschlägt oder man in seiner Eitelkeit dann gekränkt ist.
Borgers: Wann haben Sie sich frei davongemacht zu denken, ich arbeite für die Öffentlich-Rechtlichen, also von mehr oder weniger allen finanziert, da kann ich ja möglicherweise nicht alles schreiben, was ich will?
Böhmermann: Das ist ja mein Twitter-Account. Ich kann schreiben, was ich will. Ich sehe mich eingebunden in ein System der Reflexion, sage ich mal. Also, ich kann jetzt nicht schreiben, der Programmdirektor des ZDF ist doof.
Borgers: Sie schreiben, die ARD schlägt einen komischen Kurs ein.
Böhmermann: Die ARD schlägt ja auch einen komischen Kurs ein. Zu sagen, wir bücken uns nach dem dümmstmöglichen Zuschauer, weil wir in so eine Scheindefensive geraten, weil wir aus Angst nicht in der Lage sind, unsere eigene Position und unsere Stärken zu verteidigen, fängt jetzt die Tagesthemen-Redaktion an, eine jahrzehntealte Rubrik, nämlich den Kommentar, jetzt Meinung zu nennen, weil die Leute das besser verstehen würden. Ich kann das verstehen, woher das kommt. Ich kann auch dieses Defensive nachvollziehen, dem das entspringt, aber ich halte das für völlig falsch.
Borgers: Das ist Ihre Meinung. Damit können wir das ja kurz halten (lachend).
Böhmermann: Das war ein Kommentar.
Borgers: Dieses Thema "Bücken" und sich möglicherweise einem Zeitgeist beugen, was sie damit ja andeuten, das müsste sie persönlich aktuell auch umtreiben. Sie starten bald im ZDF Hauptprogramm mit ihrer neuen Show. Sie haben schon im Podcast "Fest und Flauschig" darüber gesprochen, wie - ironisch gesprochen - so habe ich es verstanden, wie zahm und angepasst Sie sich dann dort möglicherweise verhalten werden. Haben Sie das auch getan, um die Fallhöhe ein bisschen zu verringern, weil sie tatsächlich ein wenig auf die Bremse treten müssen, mit diesem nächsten Karriere- und Aufmerksamkeitsschritt?
Böhmermann: (Lacht kurz) Ich spüre, ich bin in einem Medienmagazin. Ich freue mich sehr über diese Frage. Nein, tatsächlich kann ich ja nicht aus mir raus. Und ich weiß, dass wir da neue Aufgaben haben im ZDF-Hauptprogramm, ein anderes Publikum und auch linear anders bestehen müssen. Ich bin aber relativ sorglos, dass das gelingt, weil der Maßstab nie die Fernsehquote war oder die Quantität von Zuschauern, sondern es ging immer darum: Ist etwas spannend? Und wenn was nicht spannend ist, langweilt mich das und dann höre ich auf damit. Das war jetzt nicht so, dass das "ZDF" gesagt hat, kommt mal hier zu uns ins Hauptprogramm. Ich habe einfach aufgehört. Ich habe gesagt: Okay, ich weiß jetzt, wie das funktioniert. Ich erreichte eine tolle Quote für "ZDFneo". Wir haben jetzt sechs Jahre lang jede Woche die Bude abgefackelt. Habe ich verstanden. Jetzt ist mir zu langweilig. Ich will jetzt aufhören.
Borgers: Jetzt würde ich noch eine kleine Runde "Moritz von Uslar" mit Ihnen gerne spielen, mit kurzen Fragen oder Sätzen, die sie ergänzen, wahlweise, und beginnen würde ich gerne damit, Sie zum Intendanten eines öffentlich-rechtlichen Senders zu machen. Als Intendant eines öffentlich-rechtlichen Senders würde ich …
Böhmermann: Das hängt ganz davon ab, welcher öffentlich-rechtliche Sender das ist. Also, reizvoll fände ich den Mitteldeutschen Rundfunk. Da ist viel zu tun, würde ich versuchen, es "real zu keepen" und den Meinungspluralismus in meinem Haus zu fördern und die Struktur mit weniger Aufmerksamkeit zu belasten und mehr den Journalismus und den Inhalt nach vorne zu stellen.
Borgers: Als Vorstandsvorsitzender von "Axel Springer" und Nachfolger von Mathias Döpfner würde ich …
Böhmermann: ... alles verkaufen und das Geld investieren in eine einsame Insel, um mich da zur Ruhe setzen.
Borgers: Sogenannte Sommerinterviews mit Politikern sind …
Böhmermann: ... mit Vorsicht zu genießen.
Borgers: Die ständig wiederkehrenden Diskussionen über politische Talkshows zeigen …
Böhmermann: ... dass politische Talkshows vor allen Dingen Shows sind und das Gespräch an zweiter Stelle steht, würde ich mich nicht reinsetzen.
Borgers: Nach 16 Jahren als Bundeskanzlerin sollte sich Angela Merkel einen persönlichen Twitter- , Facebook- oder Instagram-Account zulegen.
Böhmermann: Instagram! Ich will "Bubble-Butt"-Fotos sehen.
Borgers: Von Twitter verabschiede ich mich tatsächlich, wenn dort …
Böhmermann: ... wenn dort es keinen Spaß mehr macht. Der Satz ist nicht ganz richtig, aber wenn es keinen Spaß mehr macht. Wenn es unspannend ist. Das ist gerade sehr spannend und war in den letzten Jahren sehr spannend. Ich befürchte, es könnte weniger spannend werden in Zukunft und wenn es "lame" ist, dann geht man weg.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.