Verehrte Freunde des Zweiten Deutschen Fernsehens! Statistisch gesehen, sind Sie - wir sagen es mit allem Respekt - nicht mehr die Jüngsten, sondern 60 plus. Aber heutzutage wird man glücklicherweise immer älter. Und so liegt der Herbst 2020 gewiss noch in der blauen Stunde Ihres Lebens.
Das würde bedeuten, dass Sie in Ihrem geliebten ZDF-Hauptprogramm plötzlich und unerwartet Jan Böhmermann kennenlernen. Ja, genau! Das ist dieser kecke Gelegenheitsflegel, dessen bisherige Sendung "Neo Magazin Royale" als Wiederholung im richtigen ZDF erst kam, wenn um Mitternacht die Wirkung Ihrer Schlaftabletten eingesetzt hatte.
Höchstwerte auf der Dunja-Hayali-Skala
Böhmermann hat sich selbst einen "Digitalspartenkasper" genannt. Was nach geschliffener Ironie klingt, jedoch bloß eine objektive Beschreibung seines traurigen Quotenmisserfolgs mit "Neo Magazin Royale" war.
Aber egal. Uns kommt es auf folgende Warnung an: Sollte der "Fernsehgarten" mit Andrea Kiewel und "Bares für Rares" mit Horst Lichter zu Ihren TV-Schätzchen zählen, könnte Ihnen bei Böhmermann die Kinnlade bis zur Kieferklemme herabfallen. Mit Kiewel und Lichter hat der nämlich so viel zu tun wie, sagen wir, der "Tatort" aus Münster mit "The Walking Dead".
Ein Vergleich, der Böhmermann sicher vor Stolz erröten lässt. Das heißt jetzt nicht, dass der Jan kein ganz Lieber wäre. Nein, er ist politisch im Grunde so korrekt, dass er auf der Dunja-Hayali-Skala Höchstwerte erreicht.
Engagement "für Liebe und Vernunft im Internet"
Nur ein Beispiel: die Aktion "Reconquista Internet", laut Wikipedia eine "Bürgerrechtsbewegung", laut Selbstbeschreibung eine Kampagne "für Liebe und Vernunft im Internet". Die "Zeit" hat "Reconquista Internet" als "eine im deutschen Fernsehen bislang beispiellose pädagogische Meisterleistung" gefeiert – und bei solchem Lob droht dir ganz schnell das Bundesverdienstkreuz.
Darum - und weil ihm der freudianische Vatermord an Harald Schmidt mörderische Energie verleiht - kultiviert der gute Böhmermann das Böse, Unkorrekte und Zynische: "Sackdoof, feige und verklemmt ist Erdogan, der Präsident" begann jenes Schmähgedicht, von dem auch Sie damals gehört haben, verehrte "Fernsehgarten"-Fans, gell?
Ein Mario Barth mit Talent für Endreime
Deshalb müssen wir nicht noch mal erklären, dass Böhmermann im Glanz der prestigeträchtigen Beleidigungsklage Erdogans europaweit erstrahlte, während sich hiesige Politiker an der Quadratur des Kreises versuchten: den diplomatischen Scherbenhaufen aufkehren, ohne die Kunstfreiheit zu verleugnen.
Gut möglich, dass Jan auch im ZDF-Hauptprogramm solche "Nach-mir-die-Sintflut"-Sachen bringt. Klar, grundsätzlich könnte das Mario Barth ebenfalls, wenn er Endreime beherrschen würde. Doch nie gelangt ein Barth dorthin, wo Böhmermanns satirisches Zuhause liegt: auf der Meta-Ebene.
Die Geschichte mit dem SPD-Vorsitz
Ja, "Meta-Ebene" klingt intellektuell, ist aber eigentlich nichts Schlimmes. Sondern bedeutet bei Böhmermann: Etwas ist im Zweifel nicht so gemeint, wie es scheint, sondern so, wie es nicht scheint, wie man meint.
Siehe vor ein paar Wochen: Da kündigte Böhmermann an, für den SPD-Vorsitz zu kandidieren. Die Enttäuschung im Willy-Brandt-Haus muss entsetzlich gewesen sein, als herauskam: Es ging ihm nicht um die Rettung der SPD, sondern bloß um die Bloßstellung der blöden Medien, die ständig auf seine Faxen reinfallen.
Ein Weltverbesserer wie Greta
Nun werden Sie vielleicht fragen: Darf denn einer alles sein und alles zugleich? Ein Aktivist, TV-Blödel und Journalist? Ein Flunkerer wie Claas Relotius, ein Weltverbesserer wie Greta, ein Lästermaul wie, na ja, auf jeden Fall nicht wie Oliver Pocher?
Ja, genau das ist Böhmermanns Geschäftsmodell. Aber schrauben Sie Ihre Erwartungen nicht zu hoch! Es gibt in Böhmermanns Sendungen so öde Passagen, dass man am liebsten zu Oliver Welke in die "Heute Show" flüchten würde.
Wenn Sie zur Vorbereitung da öfter mal reinschauen, müssen Sie nur noch das mit der Meta-Ebene kapieren – und dann können Sie Jan Böhmermann ganz ohne Angst vor einer Kieferklemme einschalten!