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Janáček-Oper in Frankfurt
Menschlichkeit hat hier kaum Platz

Es dominiert die Hoffnungslosigkeit des Lagerlebens in Leoš Janáčeks Oper "Aus einem Totenhaus". Der Komponist beendete das Werk kurz vor seinem Tod, Musiksprache und die Konzeption sind radikal und neu. An der Oper Frankfurt ist dem Regisseur David Hermann jetzt eine bildstarke Inszenierung geglückt.

Von Elisabeth Richter |
    Eine Szene aus Leoš Janáčeks "Aus einem Totenhaus" an der Frankfurter Oper mit dem Bühnenbild von Johannes Schütz, April 2018
    Eine Szene aus Leoš Janáčeks "Aus einem Totenhaus" an der Frankfurter Oper mit dem Bühnenbild von Johannes Schütz, April 2018 (Oper Frankfurt / Foto: Barbara Aumüller)
    "Homo Homini Lupus" – Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Nirgends mag diese Weisheit des römischen Dichters Plautus so gelten wie in einem Strafgefangenenlager. Schwarz, dunkel, tot ist dieser rechtsfreie Raum in David Hermanns Inszenierung von Leoš Janáčeks "Aus einem Totenhaus" an der Oper Frankfurt. In der genialen Bühne von Johannes Schütz droht dieses abgründige schwarze Nichts immer und allgegenwärtig im Hintergrund. Von dort singt oft, mal sicht-, mal unsichtbar der Chor. Eine Fläche des Raums teilt Johannes Schütz gewissermaßen in Zellen mit parallel gesetzten hohen durchlässigen Wänden. Die Drehbühne gibt aber auch größere Aktions-Flächen frei. Das ist ein zeitloser, assoziationsträchtiger Unrechts-Ort.
    Dostojewskis autobiografische Erfahrungen als Gefangener
    Menschlichkeit hat hier kaum Platz. Dostojewski protokollierte seine mehrjährige Erfahrung als politischer Gefangener in seinen "Aufzeichnungen aus einem Totenhaus". In den 1860er Jahren schrieb er sinngemäß, dass die Gefangenen ohne Arbeit einander gefressen hätten wie Spinnen. Janáček fand in seiner letzten Oper dazu eine radikale Musiksprache.
    Man spürt in den scharf schneidenden hohen Lagen mit grellen Flöten und spitzen Trompeten einen unbarmherzigen Schmerz, dumpfe tiefe Posaunen vermitteln Bedrohung und Gewalt, Trommeln rasseln hart wie Ketten, aber es scheinen auch Sehnsuchtsinseln auf, mit tänzerischem Tonfall oder Vogelstimmen. Dirigent Tito Ceccherini kristallisiert mit dem hervorragend präparierten Frankfurter Museumsorchester diese disparaten, aber ungeheuer farbigen Musik-Ebenen souverän und präzise heraus und er verliert auch nicht den Blick auf die Gesamtarchitektur des dreiaktigen Werkes.
    An Brisanz hat diese Oper nichts verloren. Auch wenn der deutsch-französische Regisseur David Hermann die Geschichte zeitlos sieht und wunderbare, durch schillerndes Licht oft surreale Bilder erfindet, stellt er einen aktuellen Bezug her. Gorjančikov, der bei Janáček als politischer Gefangener ins Lager kommt, ist ein Journalist. Während des Vorspiels sitzen er und seine (erfundene) Partnerin arbeitend am Laptop, sie werden verhaftet und ins Lager gesteckt. Das Schlussbild zeigt als positiven Ausblick wieder das freigelassene Paar. Es geht ein wenig unter, dass Janáček am Ende den harten Lageralltag wieder einkehren lässt.
    Verbrechen, Schicksale und Traumata
    "Aus einem Totenhaus" ist eine Ensemble-Oper, Identifikationsmomente werden verweigert, es gibt keine wirklichen Protagonisten. Die Beziehungsebenen werden bewusst diffus gehalten als Ausdruck der Ausweglosigkeit der Lagersituation. Einzelne Gefangene berichten zwar solistisch von ihren Verbrechen, Schicksalen und Traumata – und besonders Johannes Martin Kränzle als Šiškov oder Karen Vuong in der Hosenrolle des Aljeja leisten stimmlich und darstellerisch schlicht Fantastisches -, aber: Hauptakteur ist der von Tilman Michael exzellent vorbereitete Herrenchor. David Hermann gelingt in seiner Inszenierung von Janáčeks sicher bizarrster und politischster Oper ein beklemmend spannendes Agieren mit allen Beteiligten ohne plakative Aktualisierung. Die Bilder wirken lange nach.