Archiv

Janáčeks "Sache Makropulos" an der Deutschen Oper
Ein niemals endender Leidensweg

337 Jahre alt ist die Titelfigur in Leoš Janáčeks Oper "Die Sache Makropulos". Schuld daran ist ein lebensverlängerndes Elixier. Jetzt wurde das Bühnenwerk an der Deutschen Oper Berlin von David Hermann neu inszeniert.

Von Julia Spinola |
    Nirgends stampft und rast die Musik Janáčeks so unbarmherzig wie in dieser Oper und schwelgt doch zugleich in betörender Sinnlichkeit. Schon die ersten Takte der Ouvertüre fassen in Töne, woran die 337 Jahre alte Titelfigur leidet: Die furchtbare Getriebenheit eines Lebens, das wie ein Pfeil in die Unendlichkeit gerichtet ist - und die bodenlose Sehnsucht einer Frau, der jede Chance auf biografische Erfüllung versagt ist.
    Generalmusikdirektor Donald Runnicles betont eher den erotomanisch-leidenschaftlichen Ton dieser Partitur als ihre Schroffheiten. Und auch dem Regisseur David Hermann ist eine ungewöhnlich sinnliche, suggestiv verrätselte Sicht auf dieses Werk gelungen, das in seiner arienlosen Dialogstruktur sonst auch schnell spröde wirken kann. Hermann beschwört die Stummfilmästhetik der 20er-Jahre herauf, in denen die Handlung bei Janáček spielt.
    Auf einem weißen Kinovorhang erscheinen übereinander geblendet die vielen verschiedenen Namen der Protagonistin. Danach sieht man Emilia Marty mit einem kleinen Jungen. Es ist ihr vor Urzeiten geborener Sohn, den sie vergeblich aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu zerren versucht. Die verzitterten Bewegungen der Darsteller wirken dabei wie Bilder von einer uralten Filmspule. Immer wieder wird das Bühnengeschehen durch plötzliches Lichtflimmern, Rahmungen oder Zeitraffer-Projektionen verzerrt.
    Zahllose Filme gleichzeitig
    Denn in Emilia Marty laufen zahllose Filme gleichzeitig ab. Die verschiedenen Episoden ihrer Biografie haben sich längst heillos in- und übereinander geschoben. Ihr ganzes Leben erscheint als ein einziges, undurchsichtiges Gewirr von Wiederholungsschleifen.
    Evelyn Herlitzius gibt ihr Debüt in dieser Rolle und ist schon in ihrer unnachahmlich alterslos wirkenden Erscheinung eine Wucht. Sie ist zugleich zart und zäh, mädchenhaft und dämonisch, ungeschützt und abgebrüht. Und all diese Facetten spiegeln sich grandios auch in ihrem gewaltigen, dramatisch leuchtenden Sopran. Derek Welton ist als Baron Jaroslav Prus ihr stimmmächtiger Gegenspieler.
    In Janáčeks Oper erweist sich der Traum vom ewigen Leben als Fluch. David Hermann findet surreale Gruselbilder für die Konfusion der Zeitebenen. Da wird die Bühne auch räumlich in eine historische und eine gegenwärtige Hälfte geteilt und die arme Emilia zerreißt es zwischen den beiden Sphären. Die Figuren treten mit ihren historischen Doppelgängern auf, oder es verbirgt sich ein gewalttätiger Lustgreis im Clownskostüm.
    Gleich fünf Doppelgängerinnen
    Schließlich wird auch Emilia Martys Identitätsspaltung auf der Bühne monströs sichtbar: Gleich fünf Doppelgängerinnen folgen der Herlitzius dann in Zeitlupentempo wie ein gespenstischer Schwarm.
    Bei allen Groteskerien wird jedoch gleichzeitig deutlich, dass es sich um eine der großen tragischen Frauenopern Janáčeks handelt. Denn Hermanns Inszenierung erzählt auch vom verzweifelten Befreiungskampf einer Diva, die der Männerwelt als bloße Projektionsfläche ihrer Begierden dient.
    Im mittleren Akt erscheint Emilia Marty daher als eine Schwester von Alban Bergs Lulu: eine Preisgegebene, ein Opfer. Und im Unterschied zu Janáček glaubt Hermann nicht an ihre Rettung. Bei Janáček stirbt Emilia Marty am Ende der Oper und ihr Tod erlöst die Musik in einer großen lyrischen Apotheose aus ihrer Getriebenheit.
    Hermann aber lässt die Figur hier nur einen weiteren Filmvorhang öffnen, hinter dem sich die Szene verdoppelt. Sie zeigt den Raum der Anfangsszene. Emilias Leidensweg beginnt noch einmal vorne. Und er wird wohl niemals enden.