Müll ist Musik. In Yokohama jedenfalls, wo die Müllabfuhr mit einer fröhlichen Melodie vorfährt. Die kleinen LKW besuchen jene Plätze, wo die Anwohner ihre Müllbeutel abgestellt haben. Die Orte sind leicht zu erkennen. Meist markiert ein buntes Schild an einem Strommast die Sammelstelle. Da steht auch drauf, an welchem Tag welche Art Müll abgeholt wird. Trotzdem geht immer etwas schief.
"Deswegen müssen die Müllbeutel bei uns in Yokohama transparent sein. Damit jeder Müllmann sehen kann, was da drin ist. Sehen Sie mal hier: Da ist Plastikmüll drin. Der wird heute aber gar nicht abgeholt."
Yoshio Sugiyama ist der lokale Müll-Inspizient in dieser Ecke der Stadt, wo heute ausschließlich brennbarer Müll eingesammelt wird. Plastik gehört nicht dazu. Es kann geschreddert und recycelt werden. Eine alte Frau kommt angelaufen. Sie trägt ein historisches Faxgerät vor sich her.
"Kann das mit?", fragt sie. Mit sicherem Auge taxiert Müllmann Sugaya das Maschinchen. Bis 30 Zentimeter Breite gilt es als "brennbar". Recycelt werden kann es jedenfalls nicht - mit seinen ganzen Bauteilen aus Plastik und Metall. Also gut. Es fliegt in den Schlund des Wagens.
Zehn Kategorien von Müll
2646 Tonnen brennbarer Müll pro Tag fällt allein in Yokohama an, einer Stadt mit 3,7 Millionen Einwohnern, etwas größer als Berlin. Dazu kommen neun weitere Kategorien von Abfall, die getrennt gesammelt werden. Papier, Glas, Metall und PET-Flaschen können wiederverwertet werden, Batterien natürlich nicht. Die Stadt will ihre Bürger dazu erziehen, von sich aus ihren Müll zu trennen. Säcke mit erkennbar falschem Inhalt werden nicht mitgenommen.
"In dieser Tüte ist Plastik und sehr viel Papier, in der anderen Metall und Papier. Die nehmen wir nicht mit, die kriegen einen gelben Aufkleber und bleiben liegen."
... in der Hoffnung, der Besitzer holt sie ab. Oder die Nachbarn üben Druck aus. Wenn der Beutel nach einer Woche noch immer da liegt, wird er geöffnet und durchsucht nach Hinweisen auf den Müllsünder. Ein Fünftel wird erwischt, weil irgendwo eine Adresse klebt, eine Rechnung, eine Quittung, die man zurückverfolgen kann. Das Bußgeld ist lachhaft, der Gesichtsverlust wiegt schwerer.
So gut wie keine Papierkörbe
Yokohamas Müllpolizei - die natürlich nicht so heißt - trägt vorbildlich zu Japans Ruf bei, das sauberste Land der Welt zu sein. Abfall auf der Straße? Gibt es nicht. Und das, obwohl man so gut wie keine Papierkörbe findet. Der Grund dafür hat allerdings weniger mit Müll zu tun, als mit Terror, sagt Abteilungsleiter Norihisa Hattori von der Stadtverwaltung:
"Vor 22 Jahren verübte die Aum-Sekte Terroranschläge in Tokios U-Bahn. Sie packten das hochgiftige Nervengas Sarin unter anderem in öffentliche Abfalleimer. Deswegen sind sie abgeschraubt worden. Die Leute haben sich seither daran gewöhnt, ihren Müll mit nach Hause zu nehmen. Erst in jüngster Zeit sieht man wieder hier oder da Papierkörbe, aber selten."
Kein Müll im Straßenbild also, obwohl man manchmal darauf rumläuft. Denn irgendwo muss er ja hin. Was auch nur wenige Japaner wissen: Er wird zum Beispiel als Straßenpflaster verwendet. Oder zum Bau künstlicher Inseln.
Das Vergnügungszentrum Odaiba in der Tokio-Bucht – ein Touristenmagnet mit Shopping-Malls, Hotels und artifiziellen Stränden - ist eigentlich eine Müllhalde. Eine zweite Deponie wird gerade gebaut, auch als Schein-Insel im Meer. Denn Müll braucht Platz, den man in den Städten nicht mehr hat. Yokohama, Tokio, Kawasaki und dutzende kleinerer Siedlungen sind längst zur größten urbanen Agglomeration der Welt zusammengewachsen - 37 Millionen Menschen auf einem Fleck. Und die sind ja die Verursacher des Mülls.
Eine Insel aus Müll
Der größte Teil brennbarer Abfälle wird in geschlossenen Öfen bei 850 Grad gebacken. Was übrig bleibt, sind einige Giftstoffe, die aufwendig gefiltert werden, und jede Menge Asche. Gemischt mit unbrennbarem, pulverisiertem Müll und geklärtem Schlamm entsteht hier gerade das Fundament für ein künftiges Inselparadies, oder eine Parklandschaft. Das Gelände von rund 1000 Hektar wird gekrönt von einem Hügel, der den idyllischen Namen trägt "Umi no Mori", der Meeres-Hain. Fertigstellung irgendwann nach 2020.
Doch nur ein Achtel des Abfalls wird in künstlichen Inseln oder als Straßenbelag verbaut, der Rest geht in Rauch auf. Trotz riesiger Ventilatoren, die den Qualm nach unten pressen, ist der Gestank in der Nähe der Verbrennungsanlagen bestialisch. Die giftigen Abgase, Quecksilber, Dioxine, werden so weit wie möglich reduziert. Angeblich sind die Emissionen, vor allem durch moderne Filteranlagen, in den vergangenen 20 Jahren auf 1 Fünfzigstel gesunken.
Mehr Einwohner, weniger Müll
Japans "Kampf gegen den Müll" ist nicht neu. Schon seit den 1920er-Jahren gibt es Verbrennungsanlagen, aber auch die Tradition, Abfall ins Meer zu kippen. Erst mit Beginn der 70er-Jahre wurde Müll als Problem wahrgenommen. Inzwischen betreiben Tokio und seine Nachbarstädte ein modernes Müll-Management. Mit der Folge, dass die Mengen nicht mehr zu-, sondern abnehmen. Tokio allein häufte 1989 fast 5 Millionen Tonnen Abfall an, inzwischen sind es 2,7 Millionen. In Yokohama ist es ähnlich, sagt Norihisa Hattori:
"Die Bevölkerung steigt von Jahr zu Jahr, aber die Müllmenge sinkt. Ich glaube, das ist auch ein Effekt unserer Politik: Aufklärung, Anleitung, Mülltrennung, Müllvermeidung. Jetzt haben Supermärkte begonnen, der Flut der Einkaufstüten zu begegnen, indem sie ein paar Yen erstatten, wenn jemand darauf verzichtet."
Akribische Trenn-Pädagogik
Es ist ein mühsamer Lernprozess. 6.327 Zettel wegen falsch deklarierter Beutel müssen Müllmann Sugaya und seine Kollegen täglich ausfüllen.
Der Müllmann Sugaya kreuzt mit einem dicken Filzstift an, was diesmal nicht stimmt:
"Zu viel Plastik, zu viel Papier. Manche Anwohner sind uns dankbar, weil wir gewissenhaft sind, aber andere empfinden unsere Arbeit als selbstverständlich. Die Umwelt ist ihnen egal. Und wir sind ja nur die Müllabfuhr."