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Japan
Besondere Fremdheit

Mit seinen "Studien zum Kulturaustausch zwischen Japan und dem Westen" analysiert der Literatur- und Kulturwissenschaftler Walter Ruprechter anhand einer Essaysammlung die verfehlten und gelungenen Begegnungen zwischen beiden Seiten. Ruprechter wirft dabei nicht nur einen Blick in den Bereich der Literatur, sondern setzt sich auch mit der Architektur und der Urbanistik auseinander.

Von Michael Wetzel |
    Kinkaku, der Goldene Pavillon, ist die Hauptattraktion im Kinkaku-ji-Tempel von Kyoto
    Der Kinkaku-ji-Tempel von Kyoto (Deutschlandradio / Frank Barknecht)
    Kein Land des Fernen Ostens hat die Phantasie der westlichen Welt so sehr erregt wie Japan. Das mag schlicht daran liegen, dass dieses Land als einziges zu Beginn des 17. Jahrhunderts den weisen Entschluss gefasst hatte, das Zeitalter des Kolonialismus nicht mitzumachen. Das Tokugawa-Shogunat stoppte die gerade begonnene christliche Missionierung und untersagte alle Handlungsbeziehungen mit dem Westen – mit Ausnahme einer kleinen Niederlassung von Holländern in Nagasaki.
    Somit konnte man nach der Mitte des 19. Jahrhunderts, als mit der Meiji-Restauration die plötzliche Öffnung des Landes vollzogen wurde, eine quasi unberührte Kultur entdecken, die zwar durch den Austausch mit den ostasiatischen Nachbarn geprägt war, aber ansonsten sich seit dem Mittelalter in ihrer Eigenart erhalten hatte. Das Resultat war, dass man diese exotische Fremdheit enthusiastisch feierte: Der vor allem in Frankreich einsetzende Japonismus war das Resultat der ersten Begegnung von Künstlern und Schriftstellern mit einer völlig neuen Ästhetik, Lebensweise, nicht zuletzt auch mit der ganz anderen Weisheit des Shintoismus und Zen-Buddhismus.
    Schwärmerische Worte über eine fremde Kultur
    Das beste und berühmteste Beispiel für solch eine sentimentalische Sichtweise ist der Amerikaner Lafcadio Hearn, Sohn einer Griechin und eines Iren, der nach einem wilden Leben in den Staaten Zuflucht im Reich der aufgehenden Sonne fand, wo er eine Japanerin heiratete, den neuen Familiennamen ihres Klans annahm und ein allerdings eher unbefriedigendes Leben als Englischlehrer fristete, bis er 1904 überraschend starb. Hinterlassen hat er ein reichhaltiges schriftstellerisches und essayistisches Werk, das im Zuge des Jugendstil-Japonismus auch schnell ins Deutsche übersetzt wurde und in dem er seine Liebe zur neuen Heimat in schwärmerischen Worten zum Ausdruck bringt. Eine Auswahl seiner Schriften liegt jetzt wieder vor, und in ihr begegnen wir all den typischen Phantasien über die ferne Kultur, die den Japan-Diskurs seither immer wieder heimsuchen:
    "Alles scheint elfenhaft – denn alles und jedes ist klein, wundersam und mysteriös: die winzigen Häuschen unter ihren blauen Dächern, die kleinen ausgeschlagenen Verkaufsläden und die lächelnden, kleinen Leute in ihren blauen Gewändern. Nur manchmal wird die Illusion durch das auffällige Vorübergehen eines hochgewachsenen Ausländers gestört oder durch den Anblick verschiedener Ladenschilder mit Aufschriften in einem absurden Kauderwelsch, das Englisch sein soll."
    Diese Beobachtungen sind - wie gesagt - gut hundert Jahre alt, aber ihre Stereotypen scheinen bis heute nichts an Aktualität eingebüßt zu haben. Noch immer fasziniert Japan als das Land , das man nicht verstehen kann, und so unkt auch das Nachwort zur neuen Hearn-Ausgabe mit der Vermutung, dass diejenige Liebe wohl am glücklichsten sei, die ihre Missverständnisse des geliebten Gegenstandes nie aufgeklärt habe.
    "Disencontros" nennt in diesem Sinne der Literatur- und Kulturwissenschaftler Walter Ruprechter von der Tokyo Metropolitan University solche verfehlten Zusammenkünfte mit einem portugiesischen Ausdruck, der übrigens auch die frühe Begegnung zwischen Portugal und Japan im 16. Jahrhundert geprägt hatte. In seiner Essay-Sammlung zu den verfehlten oder vielleicht doch gelungenen Passagen zwischen Japan und dem Westen muss er aber nicht nur Lafcadio Hearn als ein solches Beispiel anführen. Auch ein anderer Zeitgenosse Hearns, der Portugiese Wenceslau de Moraes schwärmte in seinem jetzt ins Deutsche übersetzten Werk "Dai Nippon: Das große Japan" von einen Zauberreich der ganz anderen Art und bediente ein anderes Stereotyp, das vom Land des Lächelns:
    "Japan ist ein Land, entstanden aus Lachen oder vielmehr aus einem Lächeln; der Schöpfer, der alles vermag, war gar nicht erstaunt darüber, dass dieser subtile Rohstoff für die Ausgestaltung seiner Wunderwerke ausreichte. Alles lachte ... Japan besitzt die geheime Gabe, die Liebe eines jeden zu gewinnen, der aus Europa kommt ..."
    Vielseitigkeit kultureller Phänomene
    Ruprechter macht in seinen Studien allerdings deutlich, dass diese Verblendung durch Vorurteile kein Betriebsunfall, kein "lost in translation" darstellt, der einem wirklichen Verständnis oder Verstehen im Wege steht. Das Entfremden bzw. Sich-Fremdwerden in der anderen Kultur ist vielmehr die Bedingung eines tieferen Verstehens seiner selbst: In der Fremde findet man zu sich selbst, findet man Vertrautheit im Fremden ebenso wie Fremdes im Vertrauten. Das ist die Dialektik, die nicht nur den Blick von Hearn und de Moraes auf das exotische Japan bestimmte, sondern die sich auch in den unterschiedlichen Beispielen wiederfindet, die von Ruprechter untersucht werden.
    Das Faszinierende des Buches ist nicht zuletzt die Vielseitigkeit der kulturellen Phänomene. Walter Ruprechter erweist sich als Experte nicht nur in Sachen Literatur und kultureller Praktiken, sondern auch im Bereich der Architektur und Urbanistik. So kehren seine Überlegungen z. B. wiederholt zum Paradigma des japanischen Hauses zurück, das schon für die japanische Architekturszene der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Paradigma für eine hybride Kulturentwicklung wurde. Am Beispiel des 1895 geborenen Architekten Sutemi Horiguchi wird gezeigt, wie europäische Einflüsse des Jugendstils oder der Wiener Sezession produktiv angeeignet werden und in die eklektischen Entwürfe neuer japanischer Wohnhäuser eingehen. Umgekehrt entdecken europäische Architekten z. B. im japanischen Bauernhaus - als Schlüssel zur japanischen Kultur - einen Archetypus bäuerlichen Wohnens überhaupt. Vor allem Bruno Taut, der in den 30er-Jahren einige Zeit in Japan verbrachte, verklärt in seiner Liebeserklärung an die neue Heimat dieses Ideal einer architektonischen Vereinigung von Ethik und Ästhetik, ohne sich um die materiellen und mentalen Unterschiede der Lebensformen zu bekümmern und ohne das Fremde als Fremdes zu respektieren:
    "Dass man das Fremde in seiner Fremdheit belässt, muss nicht zu einer exotischen, bzw. 'sentimentalen und romantischen Betrachtungsweise' führen, wie Taut meint, sondern kann eine Erweiterung der menschlichen Denk- und Vorstellungsmöglichkeiten mit sich bringen. Für eine solche Verschiebung des Fokus von der 'Gleichheit des Menschenwerks' auf Differenzen in demselben scheint mir der Begriff des Kosmopolitismus eher zuzutreffen."
    Es gilt also unterhalb der vielen Projektionen und Affinitätsbehauptungen das eigentliche Japan in seiner besonderen Fremdheit zu entdecken, die vor allem in seiner Fähigkeit besteht, Fremdes zu assimilieren und Heterogenstes zu vereinen. Neben den bekannten Beispielen wie der Adaption der chinesischen Schrift und der friedlichen Koexistenz von traditionellem Shintoismus und übernommenem Buddhismus verweist Ruprechter auch auf architektonischen Konzepte des Zwischenraums, der Leere und des Übergangs in einem Denken des "Sowohl-als-Auch". Höhepunkt dieses Plädoyers für eine nicht-exotische Alterität der japanischen Kultur sind die Ausführungen zu "mitate", der Kunst, in den Dingen ganz Unterschiedliches zu sehen, d. h. symbolische Mehrdeutigkeit in vagen Anspielungen zu erzeugen. Das gilt auch für das Japan-Bild selbst: Es ist nicht eines, sondern wie ein Kaleidoskop sich wandelnder Ansichten, es umfasst auch die Stereotypen, die am besten demonstrieren, wie sich die fremde Kultur dem totalen Zugriff entzieht:
    "Stereotypen sind zur Konstitution von Bildern aber unerlässlich, wenn man darunter die Verfestigung von Bildelementen versteht. Doch alle Stereotypien, sei es das Rätsel, die Insel oder das leere Zentrum, sind ursprünglich starke und erst mit zunehmendem Gebrauch verblassende Bilder."
    Walter Ruprechter: "Passagen. Studien zum Kulturaustausch zwischen Japan und dem Westen."
    Iudicium Verlag München 2015, 258 S., 32,60 €